Auch wenn die Coronakrise allgegenwärtig ist und die Medien nahezu sprengt: Andere Debatten, wie die um die Flüchtlingspolitik, werden dadurch nicht automatisch weggeschwemmt – sollten jedenfalls nicht. So forderten diese Woche unzählige Menschen über die verschiedensten Social Media-Kanäle: «Bundesräte, holt diese Menschen rein!», trotz der momentan anhaltenden Sperrung der Grenzen. Klar ist, dass eine Verschlimmerung der humanitären Situation der Flüchtlingskrise vehemente Konsequenzen nach sich zieht, besonders für die Politik und die Regierenden der Stunde.

Dass sich die humanitäre Krise auf Lesbos durch das Coronavirus bald zuspitzen würde, war schon im Vorhinein klar. Um die 20`000 Personen leben im Flüchtlingslager «Moria» auf engstem Raum zusammen, Hygiene und fliessendes Wasser sind Mangelware. Laut dem SRF habe sich auch schon die Krätze im Camp eingeschlichen, die die Bewohner «bei lebendigem Leibe auffresse». Um nun die Menschen vor einer Corona-Ansteckung zu schützen, fordert Amnsesty International die sofortige Evakuierung des Lagers. Zudem verlangt die Organisation vom Bundesrat, den Geflüchteten auf dem Weg nach Europa Schutz zu bieten. Doch wäre das Gesundheitssystem der Schweiz überhaupt darauf vorbereitet, gerade jetzt, wo es überall an Betten, Beatmungsgeräten und anderem Equipment mangelt?

Die Schweiz am Limit der Kapazität

Wie uns Bilder aus dem Tessin und anderen stark betroffenen Kantonen der Schweiz zeigen: nein und ja. Gerade die Spitäler im Süden leiden unter der Pandemie. Bereits Kantone aus der Deutschschweiz, wie dem Aargau, übernehmen Patienten aus dem Tessin. Dennoch sei die Kapazitätsgrenze der Krankenstationen im italienischen Kanton noch nicht erreicht. Ähnlich sieht es in der restlichen Schweiz aus: Die Spitäler sind zwar an ihrer oberen Grenze angekommen, durch die frühzeitige Vorbereitung auf die Pandemie bestehe aber immer noch Kapazität. Ein Bericht des SRF zu Beginn des Monats April zeigt, dass beispielsweise die meisten Berner Spitäler zu 50% leer seien. Zu allem zu muss aber beachtet werden, dass trotz stetigem Rückgang der Fallzahlen noch immer täglich hundert bis dreihundert Menschen in der Schweiz mit dem Coronavirus angesteckt werden.

Bei einer Grenzöffnung für Schutzbedürftige aus der Ägäis besteht ausserdem die Gefahr, dass Coronaviren aus den Camps unbewusst innerhalb der Landesgrenzen eingeschleust werden. Genügend Arzt- und Pflegepersonal müsste also zur Verfügung stehen, um die Menschen medizinisch zu kontrollieren und im Notfall auch operativ eingreifen zu können. Ob das Angebot an Fachpersonal dann noch gewährleistet werden könnte ist fraglich – mit einer strikten Isolation der Neuaufgenommenen wäre dies aber auch nicht unmöglich.

Prekäre Situation als Folge einer verdösten Politik?

Die überfüllten Lager an der Grenze zur Türkei sind nicht ein Problem, das erst seit COVID-19 existiert (für mehr zum Thema, hier klicken). Wie der SRF berichtet, fordert die EU nun, genau wie Amnesty International, dass Camp Moria evakuiert wird und die Bewohner ans Festland gebracht werden, stösst bei der griechischen Regierung aber auf taube Ohren. Nur noch eine Person pro Familie dürfe Camp Moria verlassen, das auch nur mit einer polizeilichen Genehmigung. Stelios Petsas, der griechische Regierungssprecher, nimmt dazu Stellung: «Es wird nun für alle deutlich, dass wir das Problem besser in geschlossenen Camps in den Griff bekommen können als in diesen offenen chaotischen Camps, wie es sie vorher gab.»

«Es wird nun für alle deutlich, dass wir das Problem besser in geschlossenen Camps in den Griff bekommen können als in diesen offenen chaotischen Camps, wie es sie vorher gab.»

Stelios Petsas, Regierungssprecher Griechenlands

Das tut die Schweiz

Aber was unternimmt die Schweizer Politik, um der androhenden Katastrophe entgegen zu wirken? Auch SP und Grüne fordern umgehendes Handeln. Wie Nau.ch berichtet, hatte SP-Nationalrat Fabian Molina das Lager auf Lesbos bereits zwei Mal besucht und die Lage als «katastrophal» beschrieben. Nach ihm hätten alle Unterzeichnerstaaten des Dublin-Abkommens eine gewisse Verantwortung und müssten dringend handeln, so auch die Schweiz. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigte, dass der Bund die prekäre Situation in Griechenland anerkenne und sich dazu bereiterklärt, unbegleitete und minderjährige Jugendliche per sofort aufzunehmen, allerdings wenn diese bereits familiäre Kontakte in der Schweiz besitzen. Da die Einschränkungen im Reiseverkehr erschwert seien, sind die Minderjährigen noch nicht in der Schweiz angekommen, wie der stellvertretende Informationschef des SEM, Reto Kormann, gegenüber Nau erklärt.

Auch die Schweiz hilft also mit, eine weitere Krise abzuwenden und lässt die Debatte um die Flüchtlingskrise nicht ganz im Schatten verschwinden. Die Frage, ob damit schon alles Mögliche getan ist, bleibt aber offen.

Informationen zu COVID-19 auf Tize.ch

Unter diesem Link sind weitere auf Tize erschienene Beiträge zum Coronavirus zu finden.

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