Verspätete Fallzahlen, Spekulationen über Ansteckungsorte, etc.: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geriet in den letzten Tagen stark in Kritik. Nun wird der Ruf nach Seriosität in der Bevölkerung lauter. Nicht nur die Politik – auch die Medien leiden unter dem ständigen Druck der bedürften Aktualität und des mangelnden Vertrauens. Dieses Misstrauen kann fatale Folgen mit sich bringen – ein Beispiel.
Lange Zeit galt in der Schweizer Bevölkerung der Weg des «Mister Corona» Daniel Koch und des BAG’s als der Richtige. Viele begrüssten den ruckartigen Lockdown, denn er zeigte: Die Ansteckungszahlen dezimierten sich rasant. Alain Berset und der restliche Bundesrat wurde für sein Handeln gelobt. Doch Ende Mai verabschiedete sich Koch in die Pension – und liess ein plötzlich überfordertes BAG zurück. Fehleinschätzungen, zu spät gelieferte oder sogar falsche Fallzahlen wurden zur Regelmässigkeit. Die mangelnde Transparenz weckt das Gehör für Kritik an Massnahmen, an der generellen Arbeit des BAG und befeuern Verschwörungstheorien, deren Anhängerzahlen bezüglich der Corona-Pandemie erschreckend hoch sind. Die Köpfe hinter Verschwörungen und «Fakenews» blieben vor der Pandemie im Hintergrund – treten nun aber immer offener auf. Dabei sticht ein Name besonders heraus.
Aufstieg und Fall des Ken Jebsen
Lange vor der Corona-Pandemie wurde der YouTube-Kanal «KenFM» vom Journalisten Ken Jebsen gegründet. Jebsen begann seine Karriere beim Privatsender Radio Neufunkland und war später auch für den ZDF und die ProSieben-Heuteshow als Moderator vor der Kamera tätig. Im Jahre 2007 den «Civis Medienpreis» gewonnen, endete seine Karriere vier Jahre später als Journalist in den öffentlichen Medien abrupt. Während seiner Zeit beim RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) wurden Vorwürfe gegen Jebsen laut, er solle im Mailverkehr mit Zuhörern seiner Sendung den Holocaust geleugnet und Antisemitismus betrieben haben. «Ich weiss, wer den Holocaust als PR erfunden hat», war der genaue Wortlaut in Jebsens Mail. Der Publizist Henryk M. Broder veröffentlichte besagte Nachricht in seinem Blog, so berichtet der Tagesspiegel. Nach einer Verwarnung wurde Jebsen schliesslich vom RBB ausgeschlossen.
«Ich weiss, wer den Holocaust als PR erfunden hat.»
Ken Jebsen, 2011
Ein Profiteur in der Corona-Krise
Seit seiner Entlassung beim RBB wirkt Jebsen als «freier Journalist». 2012 eröffnete er den YouTube-Kanal «KenFm», auf dem er mehrere Podcast-Reihen veröffentlicht und auch selbst vor der Kamera spricht. Unter journalistisch klingenden Bezeichnungen getarnt, wie beispielsweise unter dem Format «Standpunkte», verbreitet Jebsen in seinen Videos Halbwahrheiten und Falschinformationen. Ein von ihm im Frühling veröffentlichtes Video über angebliche Machenschaften der Bill und Melinda Gates-Stiftung in der Corona-Pandemie erreichte mehr als fünf Millionen Zuschauer. Laut zdf-heute sind Zahlen, die Jebsen in diesem und anderen Videos erwähnt, schlichtweg falsch. Als Beispiel nennt zdf-heute die Behauptung, die Bill Gates-Stiftung stemme 80% der Finanzen der WHO (World Health Organisation), faktisch sind es lediglich um die 10%. Weitere Beispiele im Falle Ken Jebsens liefert Correctiv.org im Faktencheck.
Trotz Halb- und Unwahrheiten: Ken Jebsen feiert mit seinem YouTube-Content Erfolg. Sein Kanal weist ca. eine halbe Million Abonnenten auf und die Videos verzeichnen hauptsächlich positive Bewertungen. Ein Coronavirus-Skeptiker, der die Pandemie verherrlicht und gleichzeitig davon profitiert.
Beirut war ein «Outside-Job»
Jebsen profitiert nicht nur von der anhaltenden Pandemie. Vor allem der Nahe Osten scheint den «Journalisten» zu interessieren. So hatte Jebsen auch zum Unfall durch explosives Ammoniumnitrat anfangs August in Beirut ein Video hochgeladen. Der Kommentar der Reihe «Tagesdosis» wird zwar von Jebsen selbst vorgetragen, wie er aber sagt, stammt das Geschriebene von Dirk Pohlmann. Pohlmann steuert regelmässig Beiträge an KenFM zu, ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber westlichen Medien und gibt russischen Sendern wie «Russia Today» und «Sputnik News» hin und wieder Interviews.
In seinem Kommentar befeuert Pohlmann die These, der Hafen Beiruts sei einem Angriff von israelischen Truppen zum Opfer gefallen. Diese Aussage versucht er mit einer Rede des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vom 27.09.2018 an einer UNO-Generalversammlung zu untermauern. Netanjahu wies den Versammelten eine Karte von angeblichen Raketenlagern der schiitischen Hisbollah in Beirut vor. Auf Netanjahus Karte sind Standorte der Raketen in der Nähe des Beiruter Flughafens eingezeichnet, nicht aber wie Pohlmann behauptet im Hafenbecken, wo sich die Explosionen ereigneten. Dies ist nicht die einzige Falschaussage, die in diesem Video zur Sprache kommt. Pohlmann vergleicht die zweite Explosion mit der Wucht einer Atombombe, spekuliert über Einsätze von westlichen Spionageflugzeugen zum Zeitpunkt der Ereignisse, beschimpft die Medienhäuser Europas und der USA als «westliche Propaganda» und kommt zum Schluss zur These, das alles gehöre zu einem «Plan des Westens», die neue Seidenstrasse zu unterbinden und China an der Expansion zu hindern. Viele Kontrahenten, möglichst eng ineinander verstrickt und auf einen Schauplatz bezogen, um mögliche Falschinformationen zu verdecken – ein typisches Merkmal von Verschwörungstheorien.
«Corona-Müdigkeit» Grund für Verschwörungstheorien?
Oben genannte Beispiele zeigen, dass gerade Krisensituationen, wie die Corona-Pandemie oder Beirut, eine besondere Anziehungskraft für Verschwörungstheorien aufweisen. Doch weshalb? In den Kommentarspalten von der Website des SRF ist es deutlich herauszuhören: Der Wunsch nach «Good-News» wird grösser. Die Menschen sind «Corona-müde», werden tagtäglich mit neuen Fallzahlen, Massnahmen, Änderungen konfrontiert und wissen in der Informationsschlacht gar nicht mehr, welchen Medien und Politikern sie noch zuhören können. Die «Good-News» fehlen, statt die deutliche Verbesserung in Schweizer Spitälern zu erwähnen, wird auf Fallzahlen getrimmt. Hier ein Kommentar eines anonymen Users unter dem Liveticker von SRF:
Da die Meinungen gerade zum Coronavirus stark voneinander wegdriften, ist es essenziell, im alltäglichen, politischen Diskurs ein sachliches Miteinander zu pflegen und in Diskussionen beide Seiten zu hören. Kritisches Denken ist wichtig, solange die Faktenlage stimmt und nachgewiesen werden kann und die Zahl der Opfer (sei es durch Corona oder die Explosionen in Beirut) nicht heruntergespielt wird. Eines ist aber sicher: Die Pandemie ist nicht vorbei und die Probleme im Libanon nicht gelöst.