Urkraut. Da denke ich zunächst an etwas unerfreuliches und was viel Arbeit mit sich bringt. Im Zusammenhang mit dem Blog urkraut.ch trifft letzteres tatsächlich zu. Wobei auch im positiven Sinne. Ich hab mich mit Melissa Knüsel und Pascale Amez, den beiden Gründerinnen des Schweizer Foodblogs Urkraut, getroffen und mich mit ihnen nicht nur über ihre kreativen Rezepte, sondern insbesondere über ihre Leidenschaft für eine nachhaltige Ernährung unterhalten. Eine Ernährungsweise, die – daher der Name «Urkraut» – beim Urknall, und in ihrem Falle beim kleinen Knospen und dem reinen Samen beginnt.

«Urkraut ist die namentliche Verbindung zwischen «Zurück zum Ursprung» und gleichzeitig ist es sehr naturbasiert.»

Naturbasiert. Ein Stichwort, das Urkraut meines Erachtens bestens beschreibt. Saisonal, regional, pflanzlich ist die Philosophie hinter Urkraut und hebt sich damit von geläufigen Foodblogs ab. Ihr Ziel: mit ihren Rezepten zeigen, wie einfach der Umstieg auf eine saisonal und regionale Ernährung sein kann.

Die Idee für den Blog kam den beiden ausgebildeten Interactive Media Designerinnen vor rund einem Jahr. Beide interessierten sich bereits stark für das grosse Thema «Nachhaltigkeit» und suchten nach einer passenden Lösung, um ihre Leidenschaft mit anderen Menschen zu teilen und ihre Erkenntnisse und Erfahrungen weiterzugeben. Aufgrund ihrer Ausbildung lag eine webbasierte Lösung auf der Hand, seither haben die beiden über 60 Rezepte veröffentlicht.

Eine durchgehend nachhaltige Ernährung

Beim ersten Anblick von Urkraut könnten geneigte Leser*innen anhand des frischen Designs, den ansprechenden Bildern annehmen, dass es sich hier zwar um einen ökologischen aber nicht per se pflanzlichen Foodblog handelt. Für die beiden Frauen ist aber klar: «Wir sehen eine pflanzliche Ernährung als die nachhaltigste Ernährungsweise an.» Ob die Rezepte pflanzenbasiert sind oder nicht, stand nie zur Diskussion, es war schlichtweg selbstverständlich. Zudem sind sie sich beide bewusst, dass das Label «vegan» ein gewisses Stigma vertritt und somit vielleicht Leser*innen vertreiben könnte, die sich lediglich für die Punkte regional und saisonal interessieren.

«Wir hängen vegan nicht an die grosse Glocke, da es für uns selbstverständlich ist.«

Pflanzlich bedeutet u.a. der Verzicht auf jegliche tierischen Produkte. Im Speziellen bei Urkraut erhält man durch ihre Inputs auf Instagram einen kleinen Blick hinter die Kulissen und merkt ihre pflanzennahe und erdenbasierte Herangehensweise für neue Gerichte. Sei es der eigene kleine Garten, den beide pflegen oder die aktive Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Lebensmittel. Passend dazu gibt es auf Urkraut nicht nur Rezepte, sondern auch spannende Fakten, Tipps und Tricks und sogar Reportagen (zuletzt beschrieben sie die den Arbeitsprozess in einer Tofu-Fabrik in Frutigen) zu lesen und sehen.

Bild: Urkraut
Eine der vielen kreativen Kreationen von Urkraut: veganer Kirschkuchen mit Whiskey-Guss.

Exkurs Gemüse- und Obstimport

Melissa und Pascale finden es beide schade, dass beispielsweise zur Erbeersaison zwar die regionalen Schweizer Erdbeeren angeboten werden, auf der anderen Seite jedoch auch die günstigere einsweilen spanische Alternative. Gesetzlich sind solche Auslandimporte von Obst und Gemüse u.a. im Landwirtschaftsgesetz (LwG), der Agrareinfuhrverordung (AEV) und der Verordung über die Ein- und Ausfuhr von Gemüse, Obst und Gartenbauerzeugnissen geregelt. Hierbei gilt, dass die Einfuhr der meisten in der Schweiz angebauten Früchte und Gemüse limitiert ist und bewirtschaftet wird. Lediglich Importeure mit einer Generaleinfuhrbewilligung haben die Möglichkeit, ihre Produkte auch in der Schweiz abzusetzten. Durch diese Massnahmen sollen inländische Produkte während der Erntesaison nicht übermässig konkurrenziert werden. Der Import wird bspw. aufgrund hoher Nachfrage angenommen, sodass das Grundangebot gedeckt bleibt und keine Produktlücken entstehen.

Nicht bewirtschaftetes Gemüse und Obst hingegen wird unlimitiert in die Schweiz importiert. Darunter gelten mitunter folgende Produkte: Spargeln, Knoblauch, Pilze, Mandeln, Haselnüsse, Bananen, Mangos, Ananas, Trauben, Melonen, Avocado und einige weitere.

Dies sind aber lediglich die gesetzlichen Vorschriften. Natürlich besteht auch ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Interesse für den Import entfernter Frischwaren. Mit der Globalisierung stieg die Reisefreudigkeit der Schweizer*innern und damit die Freude an internationalen kulinarischen Delikatessen. Ausserdem bringen zahlreiche Schweizer*innen persönliche familiäre kulinarische und kulturelle Gewohnheiten in den Alltag mit ein, die zur internationalen Vielfalt von Gemüse und Obst im Grossverteiler beitragen. Laut einer Statistik von swiss-impex.admin.ch aus dem Jahr 2014 werden jährlich für rund 1.7 Milliarden Franken Gemüse und Obst u.a. als Marktergänzung importiert.

Vom kleinen Umstieg zum Selbstversorger

Aller Anfang ist schwer. Damit kann man jegliche Art von Umstellung beschreiben. Auch für Pascale und Melissa war es zu Beginn aufwändiger, sich die Thematik bewusst vor Augen zu führen. Was hat denn nun Saison? Eine gute Planung bewährte sich gleich von Beginn an. «Du musst dich aktiv damit auseinandersetzen und pro Monat schauen, was hat Saison und welche Rezepte man machen will.», meint Melissa. Wobei man dies schnell intus hat.

Seither kaufen die beiden auch privat möglichst regional und saisonal, sofern es die Zeit erlaubt. Passend zum Thema haben sich beide in diesem Jahr zum ersten Mal einem eigenen Garten gewidmet, ein weiteres kleines Projekt, welches sie laufend auf ihren sozialen Medien teilen. Von Randen, Kohlrabi und Kartoffeln bis hin zu Spinat, Lauch, Mangold und allmöglichen Beeren und Kräutern spriesst so einiges aus dem Boden. «Das Selbstversorgungkonzept fasziniert uns sehr, aber wir sind uns auch bewusst, dass das ein riesen Aufwand ist. Es braucht Zeit und Energie. Und wir müssten uns noch viel mehr einlesen.» Durch den lohnswerten Aufwand, so bestätigen sie es beide, haben sie einen neuen Bezug zum einzelnen Gemüse entwickelt und lernen es besser kennen und auch schätzen.

«Du setzt dich ganz bewusst mit deinem Essen auseinander.»

Bild: Urkraut
Pascale und Melissa u.a. beim Fotografieren ihrer Köstlichkeiten.

Das erlangte Wissen möchten sie weitergeben. Gegenwärtig finden sich auf Urkraut grösstenteils Rezepte. In Zukunft sollen diese nur noch einen von mehreren Pfeilern ausmachen, um dadurch Reportagen und Hintergrundinfos mehr Raum zu bieten. «Wir möchten Menschen unterstützen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und dazu unsere Bildungsarbeit ausweiten.» Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Was uns vorgelebt wird, übernehmen wir ungeachtet und geben dies ebenso unbewusst an unsere Nachkommen weiter. Ausserdem kauft der Mensch, was im Grosshandel angeboten wird. Urkraut verzichtet auch im privaten nicht komplett auf exotische Früchte.
«Bei mir ist das Bewusstsein viel mehr da, was jetzt regional ist oder nicht. Das heisst nicht, dass ich nie mehr eine Banane essen werde, aber zumindest bin ich mir bewusst.» Dieses Bewusstsein wünschen sie sich auch bei anderen Menschen.

So gelingt der Umstieg auf regional/saisonal

Es gibt bereits einige Grosshändler, die ihre regionalen Nahrungsmittel kennzeichnen. Trotzdem fehlt es an vielen Orten an einheitlichen Deklarierungen. Dazu erwähnt Pascale Unverpackt-Geschäfte, die meist ihre Bezugsquellen offen kommunizieren. Auch Biogeschäfte und Märkte sind gute Anlaufstellen für regionale Produkte. Das klingt zuweilen um einiges teurer als die herkömmliche Einkaufsweise, beide Frauen betonen jedoch, dass saisonale Produkte fast immer günstiger sind.

Ein Saisonkalender ist ebenfalls ein guter Einstieg in eine saisonale Ernährung und sich zu Beginn der Umstellung Zeit nehmen, sich mit dem Monat und den aktuell saisonalen Nahrungsmittel auseinandersetzten. Passende monatliche Aufzählungen finden sich ebenfalls auf Urkraut.

«Wir werden oft gefragt, wie wir das im Winter machen.», meint Pascale lächelnd. Natürlich gibt es im Winter eine weitaus kleiner Auswahl an frischem Gemüse. Die Lösung: ein Kilo Kreativität und wer will mit einer Prise Vorausplanung. Einmachen und Konservieren von Sommergemüse sei eine gute Alternative für eine kulinarische Abwechslung im Winter, geben mir beide als Tipp mit. Oder dann ein Nahrungsmittel anders als gewohnt verarbeiten und anstelle dies zu braten, vielleicht zu backen.

Von der Idee zum Endprodukt

In Whiskey eingelegte Aprikosen, Randen-Rhabarber Salat, Bärlauch-Kartoffel-Suppe. Die kreative Vielfalt der Rezepte auf Urkraut ist gross. Dabei erzählen die beiden jungen Frauen von einem mehr oder wenigen spontanen Entstehungsprozess.

«Wenn wir uns in der Stadt treffen gehen wir einkaufen und stehen etwas planlos herum und überlegen uns zuerst ob es ein Hauptmenü gibt, oder eine Pizza vielleicht? Dann schauen wir was Saison hat, probieren das Ganze aus und manchmal kommt es gut und manchmal auch nicht.
Oder wir setzten uns zusammen und sagen ‘Hey, dieses Gemüse hat nächsten Monat Saison und schreiben dann alle Ideen auf, was man damit machen kann. Manchmal sind es sehr verrückte Kombinationen und dann probieren wir es einfach mal und manchmal funktioniert es.»

Bild: Urkraut
Pflanzliche Grillalternativen auf offenem Feuer.

Immer mit dabei: die grosse Experimentierfreude, die sich auch in den Endrezepten wiederspiegelt. Ebenfalls als kreativen Output können Urkraut auch ihr erstes eBook präsentieren. Mit «glühend», ihrem Kochbuch über pflanzliche Grillalternativen, wollten sie der pflanzlichen Grilleinöde ein Ende setzten und haben, über mehrere Wochen hinweg, zig Rezepte auf offenen Feuer getestet, verworfen, degustiert, angepasst und gelegentlich auch ausversehen angebrannt.  

Eine saisonale und regionale Ernährung scheint zwar zu Beginn wenig spontan und zeitintensiv. Urkraut zeigt den Leser*innen, dass der Umstieg einfacher als gedacht ist und auch bereits kleine Schritte zu einer nachhaltigeren Lebensweise beitragen. Die authentische und sympathische Art von Melissa und Pascale gibt einem zusätzlich ein entspanntes Gefühl, nicht gleich von null auf hundert aufzudrehen und sich Schritt für Schritt an die nachhaltige Ernährungsart heranzutasten.

«Urkraut gibt so ein schönes Gefühl und grad weil wir es zu zweit machen, kann man sich so gegenseitig pushen und die Begeisterung für das Thema teilen!»

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Geschrieben von:

auf der Suche nach etwas Inspiration

1 Comment

  1. herbstzeitlose Reply

    … sehr gut geschrieben 😀 …. und bedenke stehts:

    «Der Mensch ist, was er ißt.»

    – Paracelsus –

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