Das JKF ist zwar schon vorbei für das Jahr 2023, doch die Leidenschaft von Léonard Wiesendanger geht weiter. In einem Interview erzählt er mir von seinen Erfahrungen am Jugend Kulturfestival Basel und seiner Faszination für die Literatur.

Stell dich doch kurz einmal vor

Ich heisse Léonard Wiesendanger und schreibe seitdem ich 20 bin. Seitdem ich Sprache als künstlerisches Ausdrucksmittel für mich entdeckt habe, hat sich mein Denken aktiviert, das Studium ist spannender geworden, vieles hat sich verbunden. Durch das habe ich auch Interesse an anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln gewonnen. Zum Beispiel habe ich letztes Jahr an einer Fotoausstellung teilgenommen. Im Sommer 2022 schrieb ich «Arkadien brennt» mit der Absicht, den Text auf einem Spaziergang in Szene zu setzen. Daraus ist dann die Lesungsreihe «Gehstück, das.» entstanden. Die hat das Ziel, das «Gehstück» als Textgattung zu begründen und auch besser zu verstehen. Was macht ein «Gehstück» aus? Damit beschäftige ich mich jetzt hauptsächlich.

Was hat dich dazu gebracht beim JKF mitzumachen?

Ich wurde angefragt. Die hatten mich in der Datenbank, weil ich beim GGG Kulturkick Geld für eine Broschüre, für «Arkadien brennt» beantragt hatte. So ist das JKF auf mich gestossen.

Was hat dir am besten am JKF gefallen?

Die Stimmung war sehr angenehm. Die Texte im JKF Zine haben mir sehr gefallen, auch der Slam und die Offene Bühne – die Menschen.

«Arkadien brennt» mitten in der Stadt aufzuführen und noch dazu, wenn so viel los ist, das hat super gut geklappt, bis dahin war ich damit eigentlich immer in Parks unterwegs. Die Beschreibung vom Naturparadies wurde so nochmals stärker ins Lächerliche gezogen. Da war richtig viel Spannung. Es war witzig. Wir hätten auch fast noch eine Hochzeitsgesellschaft gecrasht, die im Hof des Antikenmuseums gefeiert hatte. Ein Securitas hat uns aufgehalten.

Um was geht es in dem Gehstück «Arkadien brennt»?

Die Vorstellung einer „heilen Welt“ findet sich überall und hat eine Geschichte so alt wie der Mensch selbst. Das Gehstück „Arkadien brennt – ein Zwischenspiel“ erzählt den Mythos Arkadien in Anpassung an die heutige Zeit. Das Gehstück fragt nach der Krise als Krise der Wahrnehmung und nach der Haltung, die wir Spazierenden einnehmen 
können gegenüber einer sich schnell verändernden Welt.

https://programm.jkf.ch/acts/arkadienbrennt

Es geht um die Bilder in unseren Köpfen, die wir von der Welt haben, und darum, dass diese Bilder mit der Welt, der echten, in Konflikt stehen. Wir haben Vorstellungen davon, wie die Welt sein sollte, aber sie ist ganz anders. Und manchmal denken wir, wir haben etwas verstanden, nur um später zu bemerken, dass wir eigentlich gar nichts verstanden haben. Dieser Widerspruch, in dem wir uns mit der Welt befinden, und wie wir mit diesem Widerspruch umgehen, das ist das Thema von «Arkadien brennt».

Im Stück beschwört ein vor der verrückten Welt flüchtender Spaziergänger «Arkadien» herauf, also das antike griechische Natur- und Hirtenparadies. Der Spaziergänger kommt langsam zur Ruhe. Er legt sich in den Schatten einer Buche und schliesst die Augen – so auch die am Gehstück Teilnehmenden. Dann spiele ich eine Tonaufnahme ab, Medienberichte von Waldbränden. Die Krise bricht also von Neuem in die heile Welt des Spaziergängers hinein. Der Spaziergänger wacht schreiend auf, der Gott Pan nimmt von ihm Besitz und spricht durch den Spaziergänger an den Spaziergänger gewandt.

Die Quintessenz des Gottes Pan: Stell Dich ein auf die Widersprüche, den Widerstand, den Wandel und lass die einfachen Bilder, ob jetzt Utopie oder Stereotyp, brennend hinter dir zurück. Arkadien hat in diesem Sinn schon immer gebrannt, kein Grund entmutigt zu sein.

Was unterscheidet ein literarischer Spaziergang von einer normalen Lesung?

Bei einer normalen Lesung sitzt man hin und hört der Person vorne zu. Dabei muss man sich als ZuhörerIn konzentrieren, was ziemlich schwer sein kann. Das Tolle, wenn man einen Text draussen liest, ist, dass sich der Text mit der Umwelt verbindet. Das macht Literatur niederschwelliger. Auch wird das Erzählte dadurch von der Umwelt herausgefordert, auf eine Art geprüft. Ein literarischer Spaziergang ist dem Zufall ausgesetzt – wie eben zum Beispiel am JKF mit dem Securitas.

Beim Spaziergang ist man als ZuhörerIn Teil einer Handlung und macht ganz persönliche Erfahrungen. Gleichzeitig wachsen die Teilnehmenden über den Spaziergang, die gemeinsame Erfahrung, zu einer Gruppe zusammen. Nach der Lesung kommt man deshalb leichter ins Gespräch.

Nach welchen Kriterien hast du dir Texte für dein Programm im Jahr 2023 ausgesucht? Hast du ein Schema?

Nein, Kriterien oder Schemata hatte ich dafür nicht. Ich musste das Programm in kurzer Zeit zusammenstellen. Da habe ich mich einfach an den grossen Namen orientiert. Für 2024 will ich ein diverseres Programm, mehr Autor*innen. Das ist auch als Open Call zu verstehen, an alle, die sich an einem Gehstück versuchen wollen.

«Arkadien brennt» hast du ja selber geschrieben. Hattest du eine Inspiration dazu?

«Arkadien brennt» war einmal eine Headline irgendwo, das hat eingeschlagen, weil ich mit der Utopie Arkadien und der griechischen Mythologie vertraut war. Das interessante ist, Arkadien ist nicht nur ein utopischer Ort in der Literaturgeschichte, sondern auch ein realer Ort nördlich von Athen, der also damals gebrannt hat.

Etwa zeitgleich kam ich über die Uni in Kontakt mit der Spaziergangswissenschaft, der Promenadologie. Thema ist dort die Umweltwahrnehmung und wie diese Wahrnehmung kulturell geprägt wird. Der Spaziergang ist Methode. Davon habe ich also mitgenommen, dass ein Spaziergang nicht «nur» ein Spaziergang sein muss. Und da kam der Wunsch auf, etwas unter dem Titel «Arkadien brennt» zu schreiben, ein literarisches Stück für den Spaziergang gedacht.

Was bedeutet dir Literatur im Alltag?

Beschäftigung und ein gutes Mittel gegen Langeweile. Ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu wenig mache. Manchmal nehme ich am Morgen einen Text mit vier Sätzen, immer der gleiche, und schreibe ihn immer wieder um. Das ist sehr interessant, weil es auch mit vier Sätzen bereits Milliarden von Kombinationen gibt. Ich könnte ein Leben lang nur an diesen vier Sätzen schreiben, Satzzeichen variieren, Satzteile umstellen, mit den Absätzen spielen, Synonyme austauschen, Wiederholungen, Wörter auslassen und so weiter.

Was willst du den Menschen mit auf den Weg geben, die an deine Auftritte kommen?

Zuerst einmal einfach eine neue, spannende Erfahrung bieten. Und ausgehend von dem ihren Blick auf die Welt prägen. Ich denke, Literatur ist einflussreicher, wenn die Menschen einen alltags- und lebensnahen Bezug dazu aufbauen können. Im Gegensatz zu einer Lesung auf einer blassen Bühne kann Literatur auf Spaziergängen einfach viel stärker wirken.

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Bildquelle Titelbild

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