Ich bin Zivi. Das heisst, ich leiste anstelle eines Militärdienstes einen zivilen Ersatzdienst. Im Gegensatz zu früher, als man ziemlich dafür kämpfen musste, genügt heute ein einziger Klick im Internet. Ich wusste nicht wirklich, auf was ich mich da einlasse, denn im Gegensatz zum Militär rekrutiert der Zivildienst nicht aktiv. Beim einzigen obligatorischen Anlass, den man als angehender Zivi besuchen muss, geht es grösstenteils nur um Administratives. Darum möchte ich mit diesem Artikel ein wenig Licht ins Dunkel bringen und berichte über meine Erfahrungen.

Um gleich mit einem Klischee aufzuräumen: Ich stehe auch nicht auf Hintern putzen, egal ob bei Jung oder Alt. Es gibt im Zivildienst aber unzählige Möglichkeiten, dieses Tätigkeitsfeld zu vermeiden. Von Chauffeur über Waldarbeiter hin zum Museumsmitarbeiter gibt es ein wenig alles. Da ich Kinder mag, habe ich mir einen Platz an einer Primarschule gesucht. Um mein Einsatz ein wenig spannender zu gestalten, habe ich mich bei einer Schule beworben, die mit schwierigen Kindern arbeitet. Zudem habe ich zwei meiner Kollegen überzeugt, an derselben Schule ihren Einsatz zu leisten. Seit August sind wir nun im Einsatz, und zumindest ich habe in dieser Zeit extrem viele, neue Erfahrungen machen können.

Den Horizont erweitern

Meine Klasse besteht aus neun Kindern, einer Lehrerin, einer Sozialpädagogin und mir. Offiziell bin ich der «Gischmer-Längmer-Holmer» der Lehrerin, doch glücklicherweise wird mir viel Vertrauen entgegengebracht und Verantwortung übergeben, sodass ich gewissermassen die Funktion eines zweiten Lehrers habe. Ich versuche dieses Vertrauen zu rechtfertigen, indem ich mein Bestes gebe, um den Kindern etwas beizubringen. Dies ist aber gar nicht so einfach, denn sie sind alles andere als leicht zu handhaben. Bei jedem meiner Kinder beginnen die Problemen schon zuhause. Mutter und Vater sind oft getrennt, das Geld ist meistens knapp, die deutsche Sprache stellt für einen Grossteil ein riesiges Hindernis dar, von den kulturellen Unterschieden ganz zu schweigen. Ich arbeite mit Kindern, die zum Beispiel täglich bis spätabends zum Gebet angehalten werden, mit solchen, die im Heim wohnen, weil Vater und Mutter ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommen können oder mit Kindern, die geschlagen werden. Viele dieser Kinder zeigen eine Lernschwäche, eine damit verbundene, niedrige Frustrationstoleranz und ein hohes Aggressionspotential. Normaler Unterricht wie in einer Regelschule ist daher prinzipiell unmöglich, vielmehr geht es darum, mit den Kindern an ihren Schwächen und Probleme zu arbeiten, damit sie später einmal gesellschaftstauglich sind.

Wer jetzt aber denkt, dass mein Leben als Zivi der Horror ist, liegt absolut falsch. Natürlich ist es schwierig und manchmal auch mühsam, doch gleichzeitig auch wahnsinnig spannend. Vor meinem Einsatz war ich mir überhaupt nicht bewusst, was es alles für Lebensumstände gibt, und dies in der Schweiz, in Basel, eigentlich direkt vor meiner Nase. Erst durch meinen Einsatz habe ich realisiert, wie unglaublich privilegiert ich aufgewachsen bin und wie sehr andere seit Geburt mit zahlreichen Hindernissen zu kämpfen haben, für die sie rein gar nichts können. Ich versuche, meinen Kindern zu helfen, diese Hürden zu überwinden. Die Momente der Freude und auch der Dankbarkeit, die ich erfahre, wenn wir gemeinsam ein Zwischenziel erreichen, sind unbezahlbar.

Den Augenblick geniessen

Ausserdem ist die Arbeit als Zivi an einer Schule nicht nur eine Herausforderung, sie kann auch für lustige Momente sorgen. Wenn Josef und Maria beispielweise plötzlich nach «Belechem» anstatt Bethlehem ziehen, dann muss ich zuerst schmunzeln, merke dann aber, dass in Bethlehem ja tatsächlich Arabisch gesprochen wird und mein Schüler bei der Aussprache wahrscheinlich gar nicht so daneben liegt. Eine andere, amüsante Situation ereignete sich, als wir kürzlich einen neuen Schüler bekamen, der breites Baseldeutsch spricht. Eines meiner anderen Kinder, das einen fremdsprachigen Ursprung hat, meinte zu mir: «Ehy Herr Kaiser, er redet so komisch, zu Beginn ha ich voll nit verstande!»

Ein anderes Mal verdroschen sich zwei Jungen aufs Übelste. Dies kommt ziemlich regelmässig vor, obwohl ich den Kindern immer einbläue, dass Schlagen keine Lösung ist. Da meine Worte aber anscheinend keine Wirkung zeigen, beschloss ich nach dieser Schlägerei, ihnen eine pädagogisch wertvolle Geschichte von meinem Bruder und mir zu erzählen. Wir kämpften früher nämlich auch ziemlich regelmässig, bis unsere Mutter uns einmal klarmachte, dass Schlagen ab einem gewissen Alter richtig gefährlich werden kann. Die beiden Jungen hörten meiner Geschichte andächtig zu und ich war richtig stolz darauf, ihnen endlich die Augen geöffnet zu haben. Als ich fertig war, leuchteten sie mich an und riefen: «Ohh was Herr Kaiser, hesch du au mol gschleglet?!?»

Alles in allem bin mit meiner Entscheidung für den Zivildienst sehr zufrieden. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Dank tollen Vorgesetzten und einer coolen Stelle trage ich viel Verantwortung. Klar gibt es mühsame Momente, doch die restlichen Erfahrungen überwiegen diese bei weitem.

Bildquellen

  • Symbolbild: Gaëtan Bally
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