Mein Bruder isst gerne Fleisch. Als er aber kürzlich den Film «The Game Changers» gesehen hatte, sagte er zu mir, er überlege es sich, Vegetarier zu werden. Ich war ziemlich überrascht und wollte natürlich genauer wissen, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam. Also schaute ich mir den Film auf Netflix an. Jetzt verstehe ich ihn bestens.
Ideale Ernährungsform: vegan
Im Film «The Game Changers» geht es um den britischen MMA-Kämpfer James Wilkes. Als er sich im Training die Bänder an beiden Knien reisst, beginnt er, nach der perfekten Ernährungsform für einen möglichst schnellen Heilungsprozess zu suchen. Anfangs ist er davon überzeugt, dass er tierische Proteine für den Muskelaufbau braucht, doch dann stösst er auf eine Studie, die besagt, dass römische Gladiatoren vorwiegend Vegetarier waren. Dies macht Wilkes neugierig und er beginnt, sich mit veganer Ernährung auseinanderzusetzen. Wilkes liest Studien, spricht mit Ärzten und Leistungssportlern und führt Versuche durch. Er kommt zum Schluss, dass sich durch eine vegane Ernährung nicht nur sein Genesungsprozess beschleunigen wird, sondern dass sich damit ganz generell die sportliche Leistungsfähigkeit steigern lässt. Zudem ergeben sich seiner Meinung nach zahlreiche weitere Vorteile, wie etwa ein geringeres Krebsrisiko, eine Senkung des Cholesterinspiegels, eine bessere Durchblutung des Körpers, eine Potenzsteigerung und natürlich eine Schonung der Umwelt.
Nachdem ich den Film gesehen hatte, war ich wie mein Bruder schwer beeindruckt. Scheinbar hat die vegane Ernährung unglaublich viele Vorteile. All die Athleten wie etwa Arnold Schwarzenegger, Patrik Baboumian, Lewis Hamilton, Morgan Mitchell oder Dotsie Bausch, die unter anderem im Film zu Wort kommen, berichten von unglaublichen Auswirkungen, die die Umstellung ihrer Ernährung mit sich brachte. Auch renommierte Ärzte wie etwa Walter Willett, Kim Williams oder Robert Vogel sind überzeugt von den Vorteilen einer veganen Ernährung. Eine Frage liess mich aber nicht los: Wenn es so klar ist, dass vegane Ernährung derart positive Effekte hat, warum sind denn nicht alle Leistungssportler vegan?
Propaganda oder Revolution?
Ich begann, mich im Internet über den Film «The Game Changers» zu informieren. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der vom Film beeindruckt ist, denn ich habe eine Vielzahl von Rezesionen, Kommentaren und Studien gefunden, die sich mit dem Film und damit mit dem Thema der veganen Ernährung beschäftigen. Die Urteile sind extrem durchmischt. Während die einen den Film als Revolution betrachten, der den Veganismus mainstreamtauglich macht, kritisieren andere, dass Studienergebnisse verdreht und einseitig präsentiert oder Zitate der Sportler ausserhalb des Kontexts verwendet würden. Für mich als Laie war es nicht einfach, zwischen berechtigter und unberechtigter Kritik zu unterscheiden. Im Folgenden habe ich zwei Filmszenen genauer analysiert, die Inhalt zahlreicher Diskussionen im Internet sind.
In der ersten Szene, welche mir ein Beispiel für berechtigte Kritik zu sein scheint, sehen wir den Kampf zwischen den MMA-Kämpfern Conor McGregor und Nate Diaz. Während McGregor zu Protokoll gibt, jeden Tag mehrmals Fleisch zu essen, ist Diaz ein Veganer. Obwohl McGregor der Favorit ist, gewinnt Diaz den Kampf. Im Interview danach spricht McGregor nochmals über seinen Fleischkonsum und meint, er habe neun Tage vor dem Kampf begonnen, zwei Steaks pro Tag zu essen. Dies habe ihn am Ende eingeholt. Im Kontext des Films bekommt man das Gefühl, McGregor habe aufgrund seines Essverhaltens den Kampf verloren. Die Geschichte dahinter ist aber eine andere. McGregor sollte ursprünglich gegen einen anderen Gegner kämpfen, der sich aber verletzt hatte. Diaz wurde elf Tage vor dem Kampf McGregors neuer Gegner, obwohl er in einer höheren Gewichtsklasse ist als McGregor. McGregor musste also in kürzester Frist mehrere Kilos zunehmen. Um dies zu erreichen, warf er seine Diät über Bord und begann unter anderem seine zwei Steaks pro Tag zu essen. Als er im Interview nach dem Kampf sagt, sein Steakkonsum sei suboptimal gewesen, bezieht er sich nicht auf den Fleischkonsum an sich, sondern auf seine Steak-Strategie, die die falsche Wahl war, um an Gewicht zuzulegen. Mit veganer Ernährung hat McGregors Statement also nichts zu tun.
«Nine days before the fight I started eating 2 steaks per day and it just came back to bite me on the ass you know.» – Conor McGregor
Bei der zweiten Szene, die meiner Meinung nach fälschlicherweise kritisiert wird, geht es um die Frequenz und Intensität von Erektionen während der Nacht in Abhängigkeit von veganer Ernährung. Drei junge Athleten müssen dazu ein spezielles Gerät tragen, welches sämtliche Veränderungen des Penis misst. Vor der ersten Nacht werden ihnen Burritos mit Fleisch serviert, vor der zweiten Burritos mit Fleischersatz. Bei allen drei zeigen sich dieselben Resultate. Die Intensität der Erektionen der drei Athleten steigt in der zweiten Nacht zwischen neun bis 13 Prozent, während sich die Dauer der Erektionen um 300 bis knapp 500 Prozent erhöhen. Kritiker mäkeln, dass die Probandenzahl und die Dauer von zwei Nächten für eine mögliche Aussagekraft des Experiments zu gering seien. Zudem gäbe es keine andere offizielle, kontrollierbare Studie, die diese Ergebnisse bestätigen würde. Nicht die Ernährung, sondern der Stress sei das entscheidende Kriterium für die Frequenz und Intensität von Erektionen, meinen sie. Diese Einwände mögen stimmen – aber genau das sagt auch der Mediziner Aaron Spitz, der das kleine Experiment im Film leitet. Es sei keine wissenschaftlich validierte Studie, aber die Ergebnisse seien trotzdem sehr spannend.
Ist «The Game Changers» also Propaganda oder Revolution? Auch nach meinen Recherchen kann ich die Frage nicht abschliessend beantworten. Grundsätzlich bin ich ein Fan des Films, denn er zeigt erstens, dass auch mit einer rein pflanzlichen Ernährung sportliche Höchstleistungen möglich sind. Der Mythos, dass nur Fleisch stark, schnell und ausdauernd macht, wird eindrucksvoll widerlegt. Zudem kann zweitens nicht bestritten werden, dass wir der Umwelt und auch uns einen grossen Gefallen täten, wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren würden. Alles was über diese zwei Tatsachen hinausgeht, gilt es meiner Meinung nach mit Vorsicht zu geniessen. «The Game Changers» bietet keinen neutralen Überblick, sondern eine ziemlich selektive Auswahl von Fakten und Studien, die für den Laien als solche schwer zu erkennen ist. Trotzdem ist «The Game Changers» ein aussergewöhnlicher Film, den man gesehen haben muss.