Spätestens seitdem in meiner Nachbargemeinde ein vorübergehendes Asylaufnahmezentrum eröffnet wurde, war ich direkt mit dem Umgang und Begegnungen von Flüchtlingen konfrontiert. Es ist gar nicht so einfach, Nähe und Distanz angemessen hinzukriegen. Ich tappe immer noch stets aufs Neue im Dunkeln, irgendwo zwischen Neugierde und Respekt, wenn ich solchen Menschen begegne. Einerseits möchte ich jeweils gerne möglichst viel über die mir fremde Kultur erfahren. Andererseits ist eine Hemmschwelle da, die mich unsicher macht.

Wie ist es für sie, hier zu sein? Welche Unsicherheiten plagen sie? Welche Fragen würden von ihnen gerne beantwortet werden und welche Fragen könnten als beleidigend, intolerant oder Provokation wahrgenommen werden? Wie kann ich Fremden unsere Kultur vermitteln, ohne den Eindruck zu machen, ihnen eine Lebensweise aufzwingen zu wollen? Wo darf man von ihnen mehr Eigeninitiative erwarten und wo muss man auf sie zukommen?

Vielleicht werden mir diese Fragen irgendwann beantwortet. Von einem Flüchtling persönlich, via Integrationsprojekt aus dem Rheintal, das sich #Refujournalists nennt. Das Wortspiel erklärt: Refugees (engl.: Flüchtlinge) und Journalists (engl. Journalisten). Flüchtlinge also, die als Medienschaffende ihre Situation, ihre Ansichten und ihre Kultur authentisch und echt vermitteln können.


Ein Bericht von Alyssia Kugler


Ein mediales Integrationsprojekt

Wenn geflüchtete Menschen Medien machen, dann können wir endlich Berichte von Flüchtlingen und nicht nur über Flüchtlinge lesen. Das ermöglicht eine ganz andere Sichtweise auf das Thema Flucht.
Flüchtlingsschicksale, Kriegsgräuel, Terror und Unterdrückung sind fast allgegenwärtig in den Medien. “Wenn das Erlebte jedoch ein Gesicht bekommt, das anonyme Schicksal einen Namen, erreichen uns die Informationen anders, sie gehen uns nahe, sie berühren”, sagt Alex Arnold, Präsident der Fachgruppe Integration beim Verein St. Galler Rheintal.  Das ist auch ein Kernziel des Projekts: Die Vermenschlichung von Flüchtlingen. Die Öffentlichkeit soll besser wahrnehmen, was die geflüchteten Menschen beschäftigt, welche Probleme sie haben und welche Fragen sie sich stellen.

Die Teilnehmenden am Integrationsprojekt kommen aus Syrien, Bangladesch, Eritrea und weiteren Ländern. Sie schreiben jeweils auf freiwilliger Basis für ihre Lokalzeitung. Partnerzeitungen des Projektes sind «Der Rheintaler», «Werdenberger & Obertoggenburger» sowie dem «Liechtensteiner Vaterland». Christopher Eggenberger coached die Teilnehmenden sprachlich, hilft die Texte zu übersetzen, und gibt Tipps zum Aufbau eines Zeitungsartikels. Es gibt viele Themen, die aufgegriffen werden wollen und die Teilnehmenden haben allesamt “ein grosses Mitteilungsbedürfnis und Freude am Erzählen”, schrieb Christopher Eggenberger im Bericht vom “Rheintaler” am 23. Juni dieses Sommers. “Und das Wichtigste sei, die Flüchtlinge zu Wort kommen zu lassen und eine Stimme bekommen, indem ihre Texte auch gezeigt werden”, ergänzt Christopher im persönlichen Gespräch.

Von der Idee zur Umsetzung

Das Projekt hatte laut Chantale Beusch, eine der Projektinitianten, ein Vorläuferprojekt “SecondoMedia”. Bei jenem wurden Secondos und Secondas bei einem Wettbewerb Praktika bei Zeitungen, Radio und Fernsehen vergeben. Das Ziel des Projekts «SecondoMedia» war es, Menschen einen Zugang zur Medienproduktion zu verschaffen, die sonst keinen Zugang haben und die sonst auch nicht sichtbar waren in der Medienlandschaft. Es war ein Vorläuferprojekt, weil diese Grundidee natürlich auch beim Projekt #refujournalists zentral ist. Es geht darum Zugänge zu schaffen, eine Türe zu öffnen. Und die Medienlandschaft etwas vielfältiger zu gestalten. Das entwickelte sich zum Projekt “refujournalists”.

Die Projektinitianten Chantal Beusch und Jakob Gähwiler

“Das Schwierigste in der Umsetzung war es, die Redaktionen zu einer Zusammenarbeit zu überzeugen und auch die Coachsuche war eine Herausforderung”, erklärt Chantale. Christopher ergänzt: “Es war auch nicht einfach Teilnehmende zu finden.”

Die Arbeit mit den Flüchtlingen geht eher schleichend voran. Die meisten arbeiten noch nebenbei und Treffen gäbe es nur ein Mal pro Woche. Das Thema einzuschränken ist besonders wichtig, damit der Text übersichtlich und gut verständlich ist. “Wir möchten auch Themen wählen, die in der Medienlandschaft noch nicht vorgekommen waren.” Die teilweise bestehenden Sprachbarrieren bedeuten auch einen höheren Aufwand, weil Dolmetscher eingesetzt werden müssen. “Aber es ist mir sehr wichtig, dass die Teilnehmenden genügend Zeit haben und es ist mir lieber, es dauert etwas länger, dafür ist es gut”, verteidigt Christopher die Situation. “Das Projekt ist noch jung und wird noch Anlaufzeit benötigen. Die Reaktionen der Leserschaften sind bisher positiv ausgefallen.”

Verbreitet sich das Projekt noch?

Das Projekt ist von finanzieller Unterstützung von Seiten der Kantone, Stiftungen und Zeitungsredaktionen abhängig. Ideen für eine Projektausweitung seien aber da: Die Ideen gehen von einer besseren Homepage über Nutzung der sozialen Medien bis zu bewegten Bildern mit Videoprojekten. Das bestehende Konzept könnte eigentlich relativ einfach von anderen Regionen übernommen werden. Die Vorarbeit ist geleistet. Die Vorzeigefunktion keimt langsam. Mit Österreich (Vorarlberg) wäre ein drittes Land dabei. Bis jetzt beteiligen sich die Schweiz (Rheintal und Werdenberg) und Liechtenstein am Projekt.


Azam Khan aus Bangladesh lässt den Leser an seinen Gedanken zur Frage, wie man sich in die Gesellschaft des Gastlandes integrieren kann, teilhaben. Und Manal Salhia aus Syrien, erzählt, wie in ihrer Kultur gespart wird. Diese Beiträge findest du hier. Weitere Informationen zum medialen Integrationsprojekt #Refujournalist sind hier verlinkt.

Bildquellen

  • 20170623_refujournalists-Front: Foto von Mohamad Hassaneen
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