Mittlerweile fühlt es sich schon fast normal an, die neongelbe Jacke von der Kleiderstange zu nehmen, im Vorbeigehen ein Paar Einweghandschuhe einzustecken und in der Ambulanz neben der Patientenliege Platz zu nehmen. Aber trotzdem bin ich auch beim vierten Einsatz noch genauso gespannt darauf zu sehen, was uns erwartet, wie beim Ersten.

Ein zweites Mal Altersheim und ein zweiter Sturz

Wieder beordert uns die Einsatzmeldung in ein Altersheim, jedoch in ein anderes als beim letzten Einsatz. Auf dem Weg zu unserer Patientin kommen wir an einer Gruppe von Frauen vorbei, die anscheinend gerade ihren Nachmittagskaffe geniessen. Eine der Damen ist ganz begeistert von unseren gelben Jacken und schwärmt ihren Freundinnen vor, wie gut wir in diesen Jacken doch aussehen. Ob die neongelben Softshelljacken, die zur Ausrüstung der Rettungssanitäter gehört, einen wirklich so vorteilhaft aussehen lassen, sei dahingestellt, aber eines ist klar: Man fällt auf. Tatsächlich ist man in dem neongelben Aufzug und mit den vielen Reflektoren kaum zu übersehen, was ja auch Ziel der Sache ist. Und man wird ernst genommen. Das merke ich selbst, als Nadine mir bei unserem ersten Einsatz sagt, ich soll mich etwas weiter vorne mitten auf die Strasse stellen, damit sie genügend Platz hat, um mit der Ambulanz rückwärts vom Strassenrand auf die Strasse zu fahren. Das nötige Outfit dafür hätte ich ja an. Gesagt, getan, und was, wenn ich meine privaten Kleider angehabt hätte, einem Selbstmordkommando geglichen hätte, ist kein Problem. Die Autos halten an und nicht ein Einziger hupt. Doch nicht etwa, weil da eine Verrückte einfach auf die Strasse gesprungen ist, sondern weil da Eine mit einer neongelben Jacke steht. (Wahrscheinlich hat aber auch die blinkende Ambulanz hinter meinem Rücken nicht unwesentlich dazu beigetragen.) Was die richtigen Kleider nicht alles ausmachen können…

Wir erreichen unsere Patientin im Altersheim und auf den ersten Blick scheint es ihr ganz gut zu gehen. Doch der erste Blick kann täuschen. Die Dame ist schon seit mehreren Tagen krank und mittlerweile so schwach, dass sie auf den zwei Metern von ihrem Bett zur Patientenliege von den beiden Sanitätern gestützt werden muss. Was sie genau hat, können die Pflegefachleute und auch die Retter nur vermuten, weswegen sie für weitere Abklärungen ins Unispital gebracht wird.

Wir sind nicht die einzigen, die gerade jemanden in die Notaufnahme bringen. Zeitweise stehen in der Garage der Notfallstation, die eigentlich für drei Ambulanzen konzipiert ist etwa sechs Fahrzeuge. Auf einmal scheinen alle gleichzeitig ausgerückt zu sein, nachdem vorher stundenlang kaum etwas gelaufen ist. Das Chaos ist schnell wieder behoben, als die vordersten Ambulanzen wieder weggefahren sind. Doch die ganze Situation zeigt wieder, wie unberechenbar Notfälle und somit die Einsätze der Sanitäter sind.

Unsere letzte Patientin für heute ist wieder eine ältere Frau, die gestürzt ist. Doch dieses Mal ereignete sich der Unfall nicht in einem Altersheim, sondern bei ihr zu Hause. Bei ihrem Sturz hat die Frau ihren Kopf unglücklich an der Bettkannte gestossen und deshalb nun eine Platzwunde am Hinterkopf. Die Dame hatte aber Glück im Unglück, denn sie wurde bereits nach relativer kurzer Zeit von ihrer Nachbarin gefunden. Leute, die weniger Glück haben, liegen manchmal stundenlang und völlig hilflos am Boden, bevor sie von jemandem gefunden werden.

Neben der Platzwunde am Hinterkopf scheint die Patientin nicht verletzt zu sein. Da die Frau in einem Haus mit einem sehr engen Lift wohnt, ist es nicht möglich mit der Patientenliege bis in ihre Wohnung zu fahren. Nun kommt ein spezieller Stuhl zum Einsatz, der neben Rollen auch mit Raupen ausgestattet ist, die den einfachen Transport über eine Treppe ermöglichen. Diese sind in dem Fall zwar eigentlich nicht nötig, doch im Gegensatz zur Patientenliege passt dieser Stuhl in den Lift, was einem holprigen Abstieg über die Treppe natürlich vorgezogen wird.

Bei unserer letzten Ankunft des heutigen Tages im Unispital begleite ich für einmal nicht Paolo mit der Patientin in die Notaufnahme, sondern Nadine zur Anmeldung. Denn auch die Patienten, die von der Sanität ins Spital gebracht werden, müssen irgendwo erfasst werden. Und das geschieht am gleichen Empfang, an dem sich auch Patienten anmelden müssen, welche nicht mit der Ambulanz auf der Notfallstation eintreffen.

Nachdem auch diese Patientin dem Spitalpersonal übergeben ist, machen wir uns zum letzten Mal an diesem Tag auf die Rückfahrt zur Basis. Als wir dort ankommen, ist es zirka 18 Uhr und mein Tag bei der Sanität Basel ist so gut wie Geschichte. Die Tagschicht der Rettungssanitäter dauert zwar noch eine Stunde, doch während dieser Stunde bleiben die Alarmtelefone stumm und nach der Abrechnung der letzten zwei Einsätze bleibt nur noch das Warten auf den Feierabend.

Kein Tag wie der andere – der Alltag eines Rettungssanitäters

Der Alltag eines Sanitäters ist sehr abwechslungsreich und wie ich selbst mehrmals erfahren habe, oft unberechenbar. Darum kann man auch nicht wirklich von einem Alltag sprechen, denn jeder Tag bei der Sanität ist anders und das, was ich in diesen 12 Stunden erlebt habe, ist nur ein kleiner Einblick in die Arbeit der Rettungssanitäter.

Während meinen 12 Stunden bei der Sanität Basel habe ich viel gesehen und gelernt, viel erlebt und über einiges gestaunt. Da waren zum Beispiel die Mutter und ihre Tochter, die Französisch sprachen. Etwas, das in einer Grenzstadt wie Basel eigentlich nichts sonderlich Überraschendes ist, die Kommunikation aber trotzdem erschwert. Da war der Patient, der sich über das «ewige Gschnorr» der Sanitäter beklagte. Da war Nadine, die mir während den Fahrten zum Spital von waghalsigen Rettungsaktionen, bei denen die Patienten von der Feuerwehr mit der Drehleiter durchs Fenster nach draussen geholt werden mussten, erzählte. Oder von Einsätzen, bei denen die Polizei gerufen werden musste, weil der Patient die Sanitäter angriff. Und da waren die ganzen Rettungssanitäter, die Tag und Nacht einsatzbereit sind um Verletzte und Kranke zu versorgen und ins nächste Spital zu transportieren.

Rettungssanitäter – ein abwechslungsreicher Job, in dem man viel erlebt, der einem aber auch viel abverlangt. Nicht ohne Grund sind laut einer Statistik von OBSAN (Schweizerisches Gesundheitsobservatorium) aus dem Jahr 2016 fast 40% aller Rettungssanitäter jünger als 35 Jahre alt. Doch ohne Frage ist die Sanität eine absolut unersetzbare Institution und ich verlasse an diesem kalten Montagabend die Einsatzbasis der Sanität Basel mit grösstem Respekt vor den hartarbeitenden Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern, die, obwohl sie gerne vergessen werden, einen elementaren Teil unseres Gesundheits- und Rettungswesens darstellen.

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tize.ch bedankt sich bei Daniel Kobler (Stv. Leiter Sanität Rettung Basel-Sadt), Toprak Yerguz (Mediensprecher Justiz und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt), den Rettungssanitätern Nadine und Paolo, sowie der Sanität Basel-Stadt für die Ermöglichung dieser Reportage.

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