Einen Film sehen, eine Autobiographie lesen oder das Thema in der Schule behandeln ist eines. Aber frühmorgens in einen Bus in Krakau zu steigen mit dem Wissen, der nächste Halt ist Auschwitz, ist dann doch nochmal etwas Anderes.

Nur schon der Anblick von aussen machte mir zu schaffen. Die Zäune und die bekannten Bauten, die nach dem zweiten Weltkrieg nicht dem Erdboden gleichgemacht worden sind, vermitteln ein beklemmendes Gefühl. Doch genauso ging es mir mit dem kleinen Buchladen und dem Restaurant. Natürlich ist Auschwitz mittlerweile ein Touristenort. Aber diese Läden an einem solchen Ort zu sehen war für mich einfach falsch.

Genauso falsch fühlte es sich für mich auch an, Fotos zu machen. Neben mir liefen englischsprachige Touristen mit Fotoapparaten, die all zwei Minuten kurz anhielten um viermal beim gleichen Sujet abzudrücken. Ich dagegen habe es in den ersten paar Minuten nur insgesamt viermal übers Herz gebracht ein Foto zu machen. Danach verschwand mein Handy in der Jackentasche und blieb auch dort.

Ein KZ betreten

Wenn mich im Nachhinein jemand gefragt hat, wie es sich denn angefühlt habe, ein ehemaliges Konzentrationslager zu betreten, so konnte ich nur mit einer Antwort, bestehend aus verschiedenen Gefühlsfetzen, dienen.

Komisch, beklemmend, einschüchternd, erdrückend und einfach schrecklich.

Auch wenn ich mit vielen Menschen da war, die dem Ort etwas Lebendes verleihen, so lauerte meiner Meinung nach überall der Tod. Jedes Gebäude, welches ich betrat, weckte in mir die Erinnerung, dass hier vor ungefähr 75 Jahren auch Menschen gewesen waren. Allerdings erlebten sie einen grässlichen wahrgewordenen Albtraum und fast keiner von ihnen hatte das Privileg, das Gelände, so wie ich, nach zwei Stunden wieder verlassen zu können.

Dieses „Am selben Ort aber zu einer anderen Zeit“ Gefühl liess mich während meinem ganzen Aufenthalt in Auschwitz nicht mehr los.

Schlussendlich keine Tränen

Ich dachte erst, dass mir auf der Führung pausenlos die Tränen runterrollen würden, doch schlussendlich geschah nichts dergleichen. Es hört sich im ersten Moment seltsam an, doch die Führung und auch der Besuch an sich haben mich in erster Linie nicht traurig gestimmt. Zwar war Trauer schon eins der Gefühle, dass sicher in meinem Emotionscocktail seinen Platz hatte, doch das stärkste, was ich gefühlt habe, war Eckel gegenüber der Menschheit.

Dieser Besuch hat mir stärker denn je gezeigt, zu welch grausamen Taten Menschen fähig sind und wie schlimm etwas ausarten kann. Wäre ich auch zu so etwas fähig wie all die SS Mitglieder es waren, fragt man sich automatisch. Natürlich ist der erste Impuls sofort, zu verneinen. Doch wie gut kennt man sich überhaupt, wenn man noch nie eine solche Extremsituation erlebt hat?

Schockierende Glasvitrinen

Während unserer Führung durch das Stammlager Auschwitz I betraten wir diverse Blöcke, in denen zum einen Fotos, Tafeln mit Fakten aber eben auch Gegenstände aus der damaligen Zeit ausgestellt waren. An diesem Tag sah ich so viele Gesichter von ermordeten Menschen, Bergeweise Schuhe oder Töpfe von Menschen, deren Ende das KZ war. Sowie Koffer beschrieben mit Namen, da die Menschen anfangs mit dem Glauben nach Auschwitz kamen, hier wie halbwegs normale Bürger untergebracht zu werden.

Doch das schlimmste, was in diesen Glasvitrinen ausgestellt ist, sind Haare. Eine gefühlt über 15 Meter lange Glaswand trennte mich von abertausenden Zöpfen, langen, kurzen, dunklen oder hellen Haaren, die den deportierten Menschen hier abgeschnitten oder abrasiert wurden, um sie zu Kriegszwecken weiter zu verarbeiten.

Und erneut überkam mich der Eckel. Aus den Haaren von unschuldigen, toten Menschen wurden Stoffe gemacht, die andere Leute ohne schlechtes Gewissen benutzen. Dasselbe galt für Goldschmuck, der aus Goldzähnen von Ermordeten gemacht wurde. So viele Male habe ich mich an diesem Tag gefragt, wie man bloss derart rücksichtslos und grausam sein konnte, um solch einen Massenmord gepaart mit dieser immensen Leichenschändung zu betreiben.

Schweigeminuten

Zwei Orte betraten wir im Stammlager Auschwitz stillschweigend. Den Innenhof eines Blocks mit der sogenannten Todesmauer und die erste Versuchsgaskammer. Sich an diesen Orten zu befinden löst in einem Menschen vieles an Emotionen aus. Ich wusste in diesen Momenten gar nicht richtig was denken, da sich einfach alles falsch anfühlte und ich mir die Szenarien, die sich hier in vergangenen Jahren abgespielt haben mussten, gar nicht vorstellen wollte.

Auch wenn diese zwei Orte für mich die am meisten mit dem Tod verbundenen Stellen im Stammlager waren, so war das Gefühl des Todes noch nicht vorüber, als wir das Tor zur Freiheit im Stammlager wieder passierten. Die Erfahrung Auschwitz war noch nicht vorbei, denn eine weitere Führung im Vernichtungslager Birkenau stand noch an, selbst wenn mir in diesem Moment das Stammlager schon genug war.

Auschwitz-Birkenau

Das Bild mit dem noch stehenden Gebäude am Eingang gepaart mit den nach hinten verlaufenden Schienen brennt sich ins Gedächtnis ein. Es steht für so viel Zerstörung und Grausamkeit, dass es wirklich schwierig zu beschreiben ist, wie man sich in einem solchen Moment fühlt, wenn man alles mit eigenen Augen sieht. Dasselbe gilt für die Ruinen der Baracken, das Denkmal am hinteren Ende von Birkenau oder den verbrannten Geruch, der die Ruinen der Krematorien noch heute zu verströmen scheinen.

Bild: Linda Biblekaj

Vier Gedenktafeln, die aussehen wie Grabsteine, sehen nach wenig aus, dafür, dass in Auschwitz womöglich knapp 1,5 Millionen Menschen ermordet worden sind. Und trotzdem bin ich der Meinung, dass man Auschwitz unbedingt stehen lassen muss. Als eine Erinnerung und Abschreckung für alle Menschen. Damit so etwas nie mehr passiert. Und damit Menschen Geschichte erleben können. Denn ich stimme unserem Tourguide auf jeden Fall zu bei ihrer Aussage, dass es schlussendlich etwas ganz Anderes sei, Auschwitz von innen gesehen zu haben, als nur immer davon zu hören.

Bildquellen

  • 26588196-2188-4d7c-a490-d1cfab779a78: Linda Biblekaj
  • auschwitz-dunkel: Linda Biblekaj
Geschrieben von:

"Write it. Shoot it. Publish it. Crochet it. Sauté it. Whatever, Make!" - Joss Whedon

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