Zurzeit richtet sich die volle Aufmerksamkeit der Medien nach Amerika und auf die dortigen Geschehnisse. Dass auf der anderen Seite der Erdkugel eines der grössten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit stattfindet, geht im Schwall von anderen, aktuelleren Nachrichten unter.
Rund 10 Millionen Uiguren leben in China. Die Uiguren gehen zurück auf den Zusammenschluss verschiedener indoeuropäischer, turkstämmiger, wahrscheinlich auch mongolischer Volksgruppen. Ihre Heimat Xinijang östlich von Kazakhstan wurde 1949 von der Volksrepublik China erobert.
Die Uiguren waren einmal unabhängig und wollen es wieder werden, so Journalistin der New York Times Didi Kirsten Tatlow in einem Interview. Chinas Kommunistische Partei propagiert immer wieder, Xinjian befreit zu haben – eine Aussage, die die muslimische Volksgruppe mit eigener Kultur und Sprache nicht hören will.
Peking sieht in der vergleichsweisen grossen Minderheit eine Bedrohung, da die Uiguren die Ideologie des chinesischen Staatschef Xi Jinping nicht übernehmen wollen. Durch Xinjiang verläuft mit der neuen Seidenstrasse eine wichtige Handelsroute, die Peking nicht verlieren möchte. Umso wichtiger für Peking, dieses Gebiet kontrollieren zu können.
Vor einigen Jahren gab es die ersten schweren Unruhen in Xinjiang und terroristische Attacken in China. Daraufhin reagierte Peking mit dem Plan „Kontrolle“. Die Provinz ist seither voll von Polizeiposten. Die Uiguren werden regelmässig durchsucht. Auch die Inhalte ihres Mobiltelefons werden überprüft und bei verdächtigen Fotos oder Anrufen ins Ausland, wird mit einer Festnahme vorgegangen.
Um jede Ecke der Region zu überwachen, wurde ein grossangelegtes Gesichtserkennungsprogramm installiert und Umerziehungslager errichtet.
In den mehr als 1000 Lagern komme es zu Gewalt und Folter an über eineinhalb Millionen Menschen.
Im Lager gebe es Menschen im Alter von 13 bis 80 Jahre, so Omir Bekali im SRF Interview mit Viviane Manz. Zudem hätten die Insassen fünfmal täglich über die glorreiche Kommunistische Partei China, die sie gerettet und ihnen ein gutes Leben gegeben habe, singen. Omir Bekali ist nicht der einzige Zeuge. Immer mehr trauen sich über das Geschehene zu sprechen.
Bis Mitte Juni 2019 leugnete China, dass es überhaupt Lager gibt. Nach und nach gaben die chinesischen Behörden zu, dass es Anlagen, sogenannte Berufsbildungszentren gebe. Der Gouverneur des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang, Shöhret Zakir, beteuert die guten Absichten der Zentren. Laut seinen Angaben erhalten die Insassen eine gute Ausbildung und werden vor der Armut bewahrt.
„Unsere Praxis beweist, dass die Berufsbildungszentren geeignet sind, um gegen Terrorismus und Extremismus vorzugehen und für die Stabilität in Xinjiang zu sorgen.“
Die chinesische Behörde streitet die Gewalt in den Lagern ab und zeigen im Staatsfernsehen glückliche Menschen.
Ende 2019 kamen geheime Dokumente der Kommunistischen Partei ans Licht, die die systematische Verfolgung und Anleitung, wie die massenhafte Internierung der Uiguren abzulaufen hat, enthüllt. Die, von dem Konsortium Investigativer Journalisten (China Cables) veröffentlicht wurde zeigt, dass es viele Regeln für den Betrieb der Lager gibt. Von streng abgesperrten Zimmern und Gängen bis hin zu „Züchtigung“ und „Methoden der erzwungenen Indoktrination.“
Die Dokumente stammen aus den Jahren 2017 und 2018, zugespielt von Exil-Uiguren und von mehr als 75 Journalisten ausgewertet.
Vor Ort ist es für Journalisten unmöglich, mehr herauszufinden. Die Lager werden streng überwacht, Medien haben kein Zugang. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass Hunderttausende bis eine Million für mindestens ein Jahr in solche Umerziehungslager gesteckt worden sind.
Laut East Turkistan National Awakening Movement (ETNAM) werden die Uiguren an über 450 Orten festgehalten. Didi Kirsten Tatlow äussert sich zudem noch dazu: Exil-Uigaren werden durch Botschaften und Konsulaten auch im Ausland bespitzelt.
ETNAM offenbart, dass sie rund 180 Lager ausfindig gemacht haben und auf rund 200 mutmassliche Gefängnisse wie auch rund 70 mutmassliche Arbeitslager gestossen sind.
Nach der Veröffentlichung dieser Geheimen Dokumente gab es zunächst keine offizielle Reaktion auf die Offenlegung der Dokumente. Später weist die chinesische Regierung jegliches Fehlverhalten zurück und betrachtet die Vorgänge in der Provinz Xinjiang als innenpolitische Angelegenheit.
Quellen: SRF, Frankfurter Rundschau