Seit den 1960er Jahren erlebt Südkorea einen wirtschaftlichen Aufschwung. 2010 wurden Waren im Wert von 466 Milliarden US-Dollar exportiert. Traditionell existierten Frauen in der südkoreanischen Gesellschaft in der Vergangenheit nur in der ihnen zugeteilten Rollen in ihren Familien und waren von Männern abhängig. Doch wie sieht es heute aus?

Im Jahr 2022 beträgt die Fertilitätsrate in Südkorea geschätzt rund 0,87 Kinder je Frau. Südkorea ist eines der Länder mit den niedrigsten Geburtenraten weltweit. Laut einer Prognose der Vereinten Nationen wird sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2100 mehr als halbieren. Experten befürchten aufgrund des Bevölkerungsrückgangs eine rasche Überalterung der Gesellschaft, wenn das Problem nicht rechtzeitig angegangen wird. Für das Geburtenproblem lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. In den Jahrzehnten nach dem Koreakrieg (1950-1953) stieg die Bevölkerungszahl derart stark, dass die Regierung Paare ermutigte, nur ein Kind zu bekommen, um so den Babyboom einzudämmen. Nun gibt die Regierung jedes Jahr viele Milliarden Dollar aus, um den Trend umzukehren.

Eine veraltete Familienpolitik

Die «Nicht-Ehe» ist eines der aktuellsten Themen in der modernen Gesellschaft Südkoreas. Die traditionell strukturierte Kultur sah bisher vor, dass eine Person die Ausbildung vor Mitte zwanzig abschliesst, eine Arbeit bekommt und vor Mitte dreissig heiratet und Eltern wird. Lange Zeit wurde eine andere Option nicht in Betracht gezogen, da die Südkoreaner den Erwartungen des sozialen Standards der Gesellschaft gerecht werden wollten. Besonders Frauen spürten die sozialen Erwartungen und wurden oft als minderwertig in der Gesellschaft angesehen, wenn sie nicht verheiratet waren.

Gleiche Ausbildung für Mann und Frau

Als Südkorea in den 1980er und 1990er Jahre ein rasantes Wirtschaftswachstum erreichte, erhielten Frauen die gleiche Ausbildung wie Männer. Die Frauen blickten nun immer mehr auf das Leben ihrer Mütter und begannen die Stereotypen, die ihnen in der Vergangenheit vermittelt worden waren, abzulehnen. Entschlossener denn je wehren sich die Südkoreanerinnen gegen den Alltagsseximus, mit dem sie zu kämpfen haben. Sie sind nicht mehr bereit zu Hause zu bleiben und Aufgaben im Haushalt wie Kochen, Putzen und Kindererziehung alleine zu übernehmen. Die Aussicht auf eine Ehe sei zu unattraktiv, da das nur bedeute, dass man zu Hause bleibe.

Von Gleichberechtigung ist noch nicht die Rede

Im «Gender Gap Report» des World Economic Forum, einem Ranking zum Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern, landet Südkorea 2022 auf Platz 99 von 146 Ländern. Südkorea befindet sich hinter den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kenia. Auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung, Gesundheit und zum Zugang zu Ämtern, werden Frauen benachteiligt. 2020 kam es pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner zu mehr als 58 Vorfällen von sexueller Gewalt inklusive Vergewaltigungen in Südkorea. Übergriffe in der U-Bahn werden nicht erfasst. In den vergangenen Jahren traten vermehrt Fälle auf, bei denen Frauen auf öffentlichen Toiletten und in Hotelzimmern heimlich gefilmt werden.

Männer werden diskriminiert

Das Thema «Gleichberechtigung» gewinnt an immer mehr Wert – und die Männer reagieren. Vor rund 20 Jahren wurde das Ministerium für Gleichberechtigung geschaffen. Nun soll es wieder abgeschafft werden. Anfang 2022 machte Präsident Yoon Suk-yeol sein Wahlversprechen wahr und verkündete in der offiziellen Begründung, dass es Zeit sei, Diskriminierung «sowohl für Frauen als auch für Männer» abzuschaffen. Zur Diskriminierung von Männern nennt Präsident Yoon den Militärdienst, der für alle Männer verpflichtend ist und die Rechnung, die die Männer im Restaurants meist zahlen müssten. 78.9 % der befragten Männer zwischen 20 und 29 fanden in einer Umfrage der Zeitung Hankook Illbo und des Meinungsforschungsinstituts Hankook Research, dass «die Diskriminierung von Männern schwerwiegend» sei.

Benachteiligung gegenüber einem Geschlecht, Gruppe, Religion, sollte immer ernst genommen werden. Jedoch sollte die Situation nicht als Vorwand genutzt werden, um die Entrechtung von Frauen kleinzureden.

In den vergangenen Jahren ist die Gruppe «Männer in Solidarität» entstanden. Sie organisieren Demonstrationen und Online-Kampagnen gegen Männer-Hass. Ihr YouTube-Kanal, (Start Anfang 2021) zählt mehr als eine halbe Million Follower. Aus ihrer Sicht tragen die selbstbestimmten Frauen die Schuld an der niedrigen Geburtenraten. Chef der «Männer in Solidarität»- Gruppe, Bae In-kyu, nennt Feministinnen ein soziales Übel. In einem Video auf seinem YouTube-Kanal äussert Bae In-kyu, dass das Streben nach Gleichberechtigung eine «physische Krankheit» sei und Frauen sich als Opfer inszenieren und in allen Männer Sexualstraftäter sehen würden.

Der Feminismus ist lauter als der Anti-Feminismus

Vorerst sieht es nicht so aus, als werde Südkorea zu einem Matriarchat. Der Anti-Feminismus entstand als Gegenbewegung, als die Feministinnen öffentlich sichtbarer wurden. Südkoreas Gesetze im Sinne berufstätiger Mütter mit Mutterschutz und flexiblen Arbeitszeiten sind fortschrittlich. Dennoch bevorzugen viele südkoreanische Firmen gerade deshalb noch immer Männer.

«Es gibt immer noch viel Diskriminierung gegen berufstätige Frauen», sagt Lee Sook-jong, Professorin für öffentliche Verwaltung an der Sungkyunkwan-Universität, «Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, werden seltener befördert, verdienen weniger.»

https://www.fluter.de/suedkorea-antifeminismus

Buchempfehlung

«Kim Jiyoung, geboren 1982» von Cho Nam-Joo, gehört inzwischen zu einem der meistverkauften koreanischen Romane überhaupt. 2021 erschien der Roman auf Deutsch im Verlag Kiepenheuer&Witsch.

In Epochenabschnitten beschreibt die Autorin das Bild einer südkoreanischen Frau, die umgeben ist von Rollenbildern, Sexismus und Ungerechtigkeit. Dabei treten die Männer im Buch nicht als bewusst feindselig auf, nehmen aber den Alltag ihrer Töchter, Frauen und Kolleginnen gleichgültig hin.

Die Geschichte regt zum Nachdenken an. Das Cover ist passend gewählt, denn es stellt eine von vielen Frauen dar, die noch heute darunter leiden, dass ihr Bruder, ihr Mann, ihr Vater oder ihr Kollege bevorzugt werden – weil sie eben keine Frau sind.


Geschrieben von:

Eat the Spaghetti to forgetti your regretti

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