Täglich sorgt die Polizei in der ganzen Schweiz für Sicherheit und Ordnung. Tize durfte bei der Kantonspolizei St. Gallen eine Nacht lang hinter die Kulissen schauen.
Eine Reportage von Alyssia Kugler und Marc Hanimann
“Polizisten sind auch nur Menschen.”
„Anspucken geht gar nicht! Das ist für mich unterstes Gebot“, das steht für Marcel Dietsche und Pascal Helg gleichermassen fest. „Von mir aus können sie mich beschimpfen oder beleidigen, aber anspucken lasse ich mich nicht!“, da sind sich die beiden Polizisten von der Kantonspolizei St.Gallen weiter einig. Es ist kurz nach 19 Uhr. Schichtbeginn auf dem Polizeistützpunkt in Thal. Nach einer kurzen Lagebesprechung mit dem Schichtleiter werden die Ereignisse, welche Einfluss auf die Arbeit haben können, besprochen. Dann geht es für uns los, mit einer kurzen Führung durch den Polizeistützpunkt Thal. Während wir durch die Gänge gehen, müssen wir immer wieder stehen bleiben, bis Pascal die nächste Sicherheitstür geöffnet hat. Gefühlsmässig Dutzende davon müssen wir durchschreiten, um zum internen Gefängnis zu gelangen.
Die Wände sind grau, es sind keine Fenster vorhanden, die Gänge verlaufen schmal und die Türen fallen schwer ins Schloss und können nur mit einem Sicherheitscode wieder geöffnet werden. Etwas mulmig wird einem in diesen Räumlichkeiten.
Es gibt sieben Zellen, eine davon besonders spärlich eingerichtet. “In diese Zelle kommen die ganz schweren Fälle. Sie stehen meist unter starkem Drogen- oder Alkoholeinfluss, zeigen ein besonders aggressives Verhalten ohne Hemmungen gegenüber der Polizei oder sind suizidgefährdet”, erklärt Pascal. Suizidgefährdete finden immer Ideen, sich das Leben zu nehmen, etwa indem sie ihre Hose nehmen, ein Ende beim Fensterspalt einklemmen und das andere Ende um die Gurgel legen.” Bei Vandalismus kenne die Kreativität auch keine Grenzen. Obwohl es nur einen Betonsockel mit einer Matratze darauf, und als WC wahrlich nur ein Loch im Boden gibt, fänden die Häftlinge in ihrem Delirium Möglichkeiten, um sich zu rächen. Sie polterten gegen die Stahltüre und das darin enthaltene Panzerglas. So stark, dass sich darin Beulen und Kratzer befinden – man bedenke, dass sie keine harten Gegenstände bei sich haben! In den anderen Zellen gibt es ein normales WC und Lavabo, ein Regal und ein Bett und natürlich noch viel mehr Möglichkeiten für Verunstaltungen des Raumes. “Mit einer Rolle Klopapier kann absichtlich das WC verstopft werden, so dass die Zelle überschwemmt wird. Mit dem Hosenknopf wird der Spiegel zerkratzt. In dieser Standardzelle kann das Bett angehoben und fallen gelassen werden, was in diesem Bunker einen Höllenlärm verursacht.” Und wer leidet am meisten? Der Polizist, der im Stützpunkt ist und nach dem Rechten sehen muss. Auch leidet die Notrufzentrale, denn die Notsprechanlage der Zelle ist direkt mit dieser verbunden.
Abwechslung pur
“Bei der Polizei ist kein Tag wie der andere. Das macht den Beruf so attraktiv für uns” begründen sie, trotz gewissen Strapazen, ihre Motivation für ihren Beruf. Dies wird sich für uns im Verlaufe der Schicht, während der die beiden erfahrenen Polizisten Vieles und vor allem Unterschiedlichstes zu erzählen haben, bestätigen. “Es sind nicht nur die unterschiedlichen Situationen, die Abwechslung verschaffen, sondern auch die unterschiedlichsten Menschen. Es kann sein, dass genau der gleiche Fall zwei Mal vorkommt. Während dieser Fall mit dem einen Typ Mensch einfach und angenehm zu lösen ist, kann es mit einem anderen Typ Mensch zu einer echten Herausforderung werden.” Polizisten müssen für diesen Aspekt des Berufs gute Menschenkenntnisse und Einfühlungsvermögen haben. Auch ist es gut, wenn man sich mit verschiedenen Kulturen und deren Traditionen auskennt, damit man nicht in diverse Fettnäpfchen tritt und die Situation zum Ausarten bringt.
Aber auch Polizisten sind nur menschlich und wissen und können nicht alles. Das betonen die Polizisten auch immer wieder. Ihre Aufgaben haben ein breites Spektrum: Verkehrssicherung nach einem Unfall, Personenschutz bei Fussballmatches, Privatrecht, Streitschlichtung, Tatortsicherung und vieles mehr. Es ist schier unmöglich, über jede Regelung aus dem “Effeff” genauestens Bescheid zu wissen. ”Wir sind keine Maschinen, sondern Menschen.”
Einsatzbereit
Nach der Inspizierung der Zellen gehen wir weiter zu den Einsatzfahrzeugen. Hier in der Garage dominiert die Farbe Orange. Das einzige zivile Fahrzeug fällt da gleich auf. Es ist schwarz und unauffällig. Um diese Unauffälligkeit zu bewahren, müssen die Polizisten, die damit auf Patrouille gehen, auch zivil gekleidet sein. Aber wir steigen nun in einen Polizeikastenwagen und machen uns auf Streifzug in dem uns zugewiesenen Gebiet.
Die Zweierteams dieser Schicht wurden zuvor in der Schichtbesprechung jeweils einem Gebiet zugeteilt. So ist die Präsenz der Polizei mehr oder weniger gleichmässig über das Gebiet verteilt. Die Verteilung und Besetzung kann ständig mit einer App überprüft werden. Sie zeigt das gesamte Zuständigkeitsgebiet der Kantonspolizei St.Gallen, worauf die eingesetzten Patrouillenwagen eingezeichnet sind. Die dafür verwendeten Symbole kennzeichnen noch zusätzlich, ob sie frei sind oder sich im Einsatz befinden. Wenn ein neuer Fall gemeldet wird, kann das nächstgelegene freie Einsatzfahrzeug aufgeboten werden. Dieses System ermöglicht Zeiteffizienz und gute Organisation.
Mitten im Geschehen
“Wir sind gerne an der Front. Erstens haben wir hier direkten Menschenkontakt. Zweitens können wir aktiv helfen. Hingegen in der kantonalen Notrufzentrale kann es manchmal sehr schwierig sein und einen beinahe um den Verstand bringen. Wenn man nämlich am Telefon vom Anrufer keine nützlichen Informationen bekommt. Das sind Momente der Ohnmacht. Man hört Verzweiflung und Panik und weiss, dass vielleicht jede Sekunde zählen könnte. Trotzdem kann man erst Hilfe zukommen lassen, wenn man weiss, wo man sie hinschicken muss.”
“Für uns im Aussendienst ist dafür die schwierigste Aufgabe, Todesnachrichten zu überbringen. Auch hier ist es die gleich schlimme Nachricht, die unterschiedlich schlimme Situationen hervorrufen. Während die einen einfach fürchterlich traurig sind und weinen, schlägt bei anderen die Trauer in Wut und Aggression um. Dann ist man natürlich als Übermittler der Erste, der das zu spüren bekommt. Dabei hatte man selber nichts mit dem Tod des betreffenden Menschen zu tun.”
Jede Strassenecke hat seine Geschichte
Auf unserer Fahrt durch die Region kann Marcel Dietsche zu fast jeder Strassenecke etwas erzählen. Ein Diebstahl in einem Elektronikgeschäft von einem jungen Mann mit einem Smart als Fluchtauto, Nachbarschaftsstreit über Bagatellen, wie Heckengrösse oder Betreten eines Grundstücks bis zu Verkehrsunfällen mit stundenlangen Sperrzeiten auf der Autobahn oder häuslicher Gewalt. Bei häuslicher Gewalt könne man die häufigsten Gründe an einer Hand locker abzählen. Fast immer sei der Grund Geld oder Sex. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten seien es immer wieder die gleichen, welche die Polizei alarmierten. Und die Reklamationen scheinen so kleinlich, dass man sich ernsthaft denkt, uns ginge es zu gut, dass wir in so kleinen Dingen überhaupt Probleme sehen. Für die Polizei gelte aber: “Egal wie kleinlich einem der Fall scheint, er muss immer ernst genommen werden und man muss sich bewusst sein: Für die hilfesuchende Person ist ihr Fall immer eine schlimme Situation.”
Aber eine Frage bleibt offen: Wieso sagt der durchschnittliche Bürger immer, er sei gestresst, findet aber für Bagatellreklamationen Zeit? Es scheint uns, dass es nicht üblich ist, sich für andere einzusetzen. Bei auffällig herumschleichenden Personen im Quartier oder einem Verdacht von häuslicher Gewalt wird die Polizei leider selten von Aussenstehenden alarmiert. Kann man das wirklich mit mangelnder Zeit rechtfertigen? Oder damit, sich nicht ins Leben anderer einmischen zu wollen? Weil man sich selber auch nicht würde helfen lassen wollen? Weil Hilfe zu holen fälschlich interpretiert wird: Die Hilfe suchende Person hat irgendetwas nicht im Griff oder ist eine – psychisch oder physisch – schwache Person?
In einer Gesellschaft sollte es doch aber nicht darum gehen, ein möglichst perfektes Leben vorzutäuschen, sondern trotz Schwächen, Fehlern und Authentizität eine schöne Gemeinschaft zu haben. Hinzu kommt die fehlerhafte Wahrnehmung, die Polizei würde nur Standpauken halten und Regeln und Gesetze emotionslos durchsetzen wollen. Wahr ist jedoch, dass die Polizei nicht nur Autoritätsperson ist, sondern vor allem Freund und Helfer. Damit sie das sein können, brauchen sie Hinweise und die Hilfe von aufmerksamen Bürgern, die der Polizei zu wichtigen Erfolgen der Sicherheitsgewährleistung verhelfen. Polizei und Bürger sind nicht zwei Parteien, die sich ärgern wollen, sondern sollten kooperativ sein, damit alle in Sicherheit leben können. Deshalb wünschen sich Marcel und Pascal im Namen der Polizei: “Meldet euch unmittelbar nach Beobachten irgendwelcher Verdachtsfälle, unbekannter und auffälliger Personen! Lieber ihr ruft einmal zu viel, als einmal zu wenig an!”
Der Anblick des Polizeiautos
Es wird uns nachgeschaut, als wären wir in einer Stretch-Limousine mit Staatsflagge und Patrouillenführung. Was es ausmacht, wenn man bloss in einem anderen -zugegeben etwas Auffälligen- Auto mitfährt! “Was macht die Polizei hier?”, denkt sich wohl manch einer. Oder “Ui, ich sollte mich zusammenreissen und mich in polizeilicher Gegenwart vorbildlich verhalten. Ein Junge steht in dem Moment mit seinem Fahrrad an derselben Kreuzung, wie wir. Kein Helm auf dem Kopf, dafür ein Regenschirm über dem Kopf. Somit nur eine Hand auf der Lenkstange. Eigentlich nicht gern gesehen, dass weiss wohl auch der Junge. Er blickt etwas panisch in unsere Richtung und wagt es nicht einhändig mit dem Schirm loszufahren, bis wir ausser Sichtweite sind. Wir grinsen im Polizeiauto und Pascal rühmt sich an seiner Kulanz, die er heute zeigt. Sie bemerken oft, dass Personen, die sich gerade nicht an die rechtmässigen Regeln hielten, just ab dem Moment, in dem sie die Polizei erblicken, zu korrektem Verhalten wechseln. Als ich Pascal nach diesem Phänomen fragte, lachte und nickte er nur.
Präsenz zeigen als hohe Priorität
Normale Strassenpatrouillen zeigen schlicht polizeiliche Präsenz. Sinnlos? Überhaupt nicht! Nicht nur das vorherige Beispiel vom jungen Fahrradfahrer zeigt, dass die Präsenz der Polizei alleine ausreicht, um den Bürger seinem (Fehl-) Verhalten bewusst zu werden. Marcel ist überzeugt, dass zum Beispiel mit Präsenz in Quartieren, Einbrüche verhindert werden konnten. Nur ist das ein Erfolg, den man nicht beweisen kann, aber stark vermutet wird. Besonders, wenn weniger Anrufe wegen Einbrüchen in der kantonalen Notrufzentrale eingehen.
Die kantonale Notrufzentrale: Hier laufen alle Fäden zusammen.
Während der Fahrt durch die Nacht zeigen uns Marcel und Pascal die kantonale Notrufzentrale. Egal ob in Ebnat-Kappel, Altstätten oder Wittenbach: Wenn irgendwo im Kanton St. Gallen Hilfe gesucht wird, dann landet dieser Notruf in dieser Zentrale in der Nähe des Klosters St. Gallen. Die Beamten nehmen im Drei-Schichten-Betrieb die Notrufe von den Nummern 117 (Polizei), 118 (Feuerwehr), 144 (Sanität) und 112 (internationaler Notruf) entgegen. “Die Beamten der Kantonspolizei nehmen die Anrufe auf die Nummern 117, 118 und 112 entgegen”, erklärt Marco Sutter. Er hat heute zusammen mit drei weiteren Beamten Dienst. Für den Sanitätsnotruf ist eine Frau der Sanitätervereinigung eingeteilt. Hier sind nicht die Beamten der Kantonspolizei zuständig, da auch am Telefon bereits erste Hilfe geleistet wird. “Wir sind pro Schicht zu zweit”, erklärt sie uns. Wenn der Sanitätsnotruf überlastet ist, dann nimmt auch einmal einer der Kantonspolizisten das Telefon ab und leitet dann weiter. “Dann weiss man wenigstens, dass bereits jemand für einen da ist”, sagt Marco. Die Notrufzentrale ist mit der neuesten Technik ausgestattet. Ein intelligentes Programm hilft bei der Erfassung des Notrufes und schlägt weitere Massnahmen vor. Diese werden von Beamten entgegen genommen und auf einem der vielen Bildschirme koordiniert. “Wenn man hier arbeiten möchte, dann muss man schon ein wenig technikaffin sein”, erzählt uns Marco.
In der KNZ – so wird die Notrufzentrale von den Beamten genannt – wird aber noch weit mehr gemacht als nur Notrufe entgegengenommen. Die Überwachung der gesamten St. Galler Stadtautobahn, genauso wie auch die Sturmwarnungen für den Bodensee oder die Erfassung der Personen- und Sachfahndungen für die interne Fahndungsapp. Steht ein Fahrzeug irgendwo auf der Stadtautobahn still, so wird ein Alarm in der KNZ ausgelöst und der zuständige Beamte kann entscheiden, was getan werden muss. Und auch Nachfragen der Polizisten auf Streife, egal ob Personen- oder Halterabfrage, laufen auch hier zusammen. Hier bestätigt sich unser Bild vom diesem Freitagabend: “In der Region in der ihr beim Dienst dabei seid, ist heute praktisch nix los”, wird uns gesagt.
Mit Floskeln durch die Verkehrskontrolle
Nach ungefähr drei Stunden Patrouille ohne Zwischenfall und ohne Aufgebot für einen Einsatz, treffen wir uns zur Kaffeepause mit den anderen Patrouillen auf einer Raststätte. Die Uhr zeigt bereits kurz nach 22 Uhr an. Auch die anderen Polizisten sind erstaunt über die Ruhe am heutigen Freitagabend. Deshalb machen wir ab, dass wir nach der Pause mit zwei Fahrzeugen bei einem Kreisel eine Verkehrskontrolle durchführen werden. Etwas frische Luft wird guttun. Wir platzieren uns gleich bei der Autobahnausfahrt. Die andere Patrouille im Kreisel.
Nun kommt trotz der späten Stunde das Gespräch mit dem Bürger zum Zug. Endlich. Ein Fahrzeug kommt von der Autobahnausfahrt. Es blendet uns gewaltig. “Hend sie no Nebel irgendwo?” Dem Fahrer leuchtet es nicht ein. “Stelled sie doch bitte s’Nebelliecht ab”, nimmt ihm Marcel die Schlussfolgerung vorneweg. Dann winkt er das Fahrzeug durch.
Nur auffällige Autos werden angewiesen anzuhalten. Auffällig kann das Nummernschild sein, die Ladung, ein sichtbarer Defekt, offensichtliches Tuning und auch die äussere Erscheinung des Fahrers und der Mitfahrenden. Bei der Kontrolle eines Führerscheins stockt Marcel: “Kürzeri Haare hesch jetzt, hä!” – “Frau isch schuld” – (lacht) “Isch sie iifersüchtig gsi?” Solche kurzen humorvollen Dialoge machen die Arbeit als Polizist unter anderem auch schön. Man muss auch einige darauf aufmerksam machen, dass es tatsächlich möglich ist, dass Scheinwerferlampen kaputt gehen können, weil sie kaum glauben respektive kaum zugeben wollen, dass sie mit nur einer funktionierenden Scheinwerferlampe auf der Strasse unterwegs sind. Einer hat die Tuningfelgen von seinem schicken Auto im Fahrzeugausweis nicht angegeben, einer war nach acht Kilometern Autobahnfahrt noch immer nicht angegurtet und bei einem fehlte das hintere Kontrollschild.
Ertappt!
Die Erfahrung aus 16 Jahren Polizeidienst von Marcel Dietsche hat sein Auge geschult. Das beweist er uns damit, dass er ein Auto herauswinkt und viel weniger den Fahrer, dafür umso mehr die Mitfahrerin inspiziert. Sie ist im Ripol, dem Fahndungssystem der Schweiz, ausgeschrieben. Sie wurden bereits in anderen Kantonen für Straftaten belangt. Aufgrunddessen, dass sie Rechnungen auch nach mehreren Mahnungen nicht bezahlt hat, wurde sie von der Kantonspolizei zur Fahndung ausgeschrieben. Widersprüchliche Aussagen machen den Fall schwieriger. Wir fahren ihr nach und wollen uns die Quittung zeigen lassen.
Die Quittung ist nicht auffindbar. Nun steht die Wahl zwischen Busse oder Haftstrafe. Unsere Klientin zieht die Busse dem mehrtägigen Aufenthalt im Gefängnis vor, womit sie für die unbezahlte Rechnung sanktioniert wird. Somit ist die Sache für sie abgeschlossen.
Schauergeschichten aus der Realität
Im Vergleich zu anderen Einsätzen, die Marcel in seinen 16 Amtsjahren gemacht hat, ist dieser harmlos: Ein Polizist sei auf der Autobahn bei einem auszuführenden Auftrag tödlich angefahren worden. Damals war Marcel noch frisch von der Polizeischule; in seiner zweiten Woche bei der Polizei. Das ging ihm durch Mark und Bein. Ein weiteres Ereignis, das ihm besonders in Erinnerung geblieben ist, war ein Doppeltötungsdelikt. Ein Mann hätte zwei Frauen erschossen. Der Täter hätte die Polizei selbst alarmiert und gesagt er bleibe am Tatort bis sie da sein würden. Auch für einen geschulten Polizisten sei das eine Situation, die nervös mache. Hat er noch die Waffe? Wartet der Täter nicht auf uns, um sich selber auszuliefern, sondern um uns auch noch zu töten? Werden wir schiessen müssen? Vor Ort zeigte der Täter seine Hände nie, so dass die Polizei wirklich nicht wusste, was er in den Händen hielt und was er im Schilde führte. “Bei diesem Einsatz hätten wir wirklich beinahe schiessen müssen. Aber zum Glück musste ich das trotzdem nicht machen -bis jetzt noch gar nie”, sagt Marcel und ist merkbar froh darüber.
“Einmal ist ein kleiner Junge aus dem Fenster gefallen und hat sich dabei schwer (nicht tödlich) verletzt. Das war eine sehr schwierige Situation, vor allem, weil wir den Vater des Kindes zurückzuhalten mussten”, erzählt Pascal, als eines seiner einschneidendsten Erlebnisse bei der Polizei. “Auch Polizisten haben mal den “Zitteri” vor einem riskanten, furchteinflössenden Einsatz. Aber grundsätzlich ist es so, dass man keine Zeit hat für solche Gedanken. Im Moment der Wahrheit hat man so viel zu tun und abzusichern, dass man nur noch funktioniert. Erst im Nachhinein realisiert man dann die Gefahr, der man ausgesetzt war”, beschreiben sie den Umgang mit riskanten, herausfordernden Einsätzen.
Wie geht man mit solchen Erlebnissen um?
Solche Erlebnisse und Bilder vergesse man dann nicht gleich wieder. Nicht nur die direkt Betroffenen müssten das verarbeiten, sondern auch die anwesenden Polizisten. Viel mit dem Team darüber reden helfe und intern sei das auch vom Personen- und Datenschutz her in Ordnung. “Reden ist wie eine Reinigung der Psyche”, nennt es Pascal Helg. “Manchmal kann es sein, dass man trotzdem nach einem Einsatz nach Hause kommt und noch die unruhige Gefühlslage des Einsatzes mit sich herumträgt. Das ist für die Beziehung und die Familie nicht so schön und auch nicht so einfach zu handhaben”, fügt Marcel an. Allgemein sei es mit dem Polizeiberuf schwierig, eine gute Work-Life Balance hinzukriegen und es brauche sehr viel Toleranz von Seiten der Familie, vom Freundeskreis und der Partnerin beziehungsweise der Ehefrau.
Trotz allem sind die beiden zu 100 Prozent überzeugt von ihrem Beruf. Besonders den Kontakt zu den Menschen schätzen sie sehr, aber auch die Tatsache, dass man nie weiss, was kommt. Man geht zur Arbeit ohne zu wissen, was für Einsätze im Verlaufe des Tages beziehungsweise im Verlaufe der Nacht zu leisten sind. Und jeder Einsatz ist mit Garantie anders, weil immer ein Mensch dahinter steht – und jeder Mensch ist bekanntlich unterschiedlich. Und was natürlich auch noch erwähnt sein muss: “Auch noch mit 40 Jahren fängt das Herz schneller an zu schlagen, wenn mit Blaulicht gefahren werden muss.“ sagt Marcel.
Pascal Helg und Marcel Dietsche (von links nach rechts) sind bereits seit mehreren Jahren im Polizeidienst. Dietsche arbeitet in Diepoldsau, Helg in Goldach. Ca. 4-Mal pro Monat haben die beiden Nachtdienst auf dem Stützpunkt Thal.
Wir danken allen Beteiligten bei der Kantonspolizei St. Gallen für die Ermöglichung dieser Reportage.
Für dich unterwegs waren Alyssia Kugler und Marc Hanimann.