In einer kleinen Monarchie in Südasien setzt sich der König ein ehrgeiziges Ziel. Er will die Zufriedenheit der Bürger über die wirtschaftlichen Interessen des Landes stellen. Weg vom Bruttonationaleinkommen. Wirtschaftswachstum? Nicht mehr oberste Priorität in der Agenda der Minister. Was für eine Utopie, möchte man zuerst meinen. Etwas so Subjektives wie Glück zur Nationaldoktrin zu erklären. Doch der kleine König vom Königreich Bhutan lässt sich nicht beirren. Das Bruttonationalglück ist geboren.
Bhutan im Sandwich.
Doch zuerst eine Standortaufnahme: Bhutan, umringt von den mächtigen Gipfeln des Himalaya, ist ein kleines Land mit der Fläche der Schweiz, Einwohner zählt man zehnmal weniger. Die Geschichte ist geprägt von den beiden mächtigen Nachbarn, im Norden China, im Süden Indien, die das Land in eine „Sandwich-Position“ drängen.
Bhutan ist eine Monarchie, seit Kurzem konstitutionell, mit langer Vergangenheit. Seit Ende des 17. Jahrhunderts wechselten sich die Herrscher ab und liessen, in stetiger Unbeständigkeit, die Politik des Landes rotieren. Mal Isolation, mal Öffnung. Seit 1907 hat sich in Bhutan eine Erbmonarchie der Wangchuck-Familie etabliert. Nach der beinahe vollständigen Isolation in den Zwanziger bis Fünfziger Jahren öffnet sich das Land nun langsam der Aussenwelt. 1971 folgte der Eintritt in die UNO, erst 2008 die vollständige Einführung eines demokratischen Systems.
Der Begriff des Bruttonationalglücks wurde 1979 vom damaligen König Jigme Singye Wangchuck in einem Interview mit einem indischen Journalisten geprägt. Dieser entgegnete auf die Frage nach dem Bruttonationaleinkommen des Landes, dass für ihn eine wirtschaftliche Entwicklung, die der bhutanischen Kultur und ihren buddhistischen Werten gerecht werde, oberste Priorität habe. Das Bruttonationaleinkommen betrug zu diesem Zeitpunkt 50 US-Dollar pro Kopf, das niedrigste weltweit. Möglicherweise ein Grund für die Antwort des Königs.
Wie Nordkorea?
Ausgewogenheit und Nachhaltigkeit stehen im Zentrum dieses Entwicklungsmodells. Es basiert auf vier Säulen:
- Die Förderung einer sozial gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung
- Bewahrung und Förderung kultureller Werte
- Umweltschutz
- Gute Regierungs- und Verwaltungsstrukturen
Es fällt auf: Die hier genannten Richtlinien sind nur schwer objektiv bewertbar, widerspiegeln aber den stark religiösen Charakter des Landes. Der Einklang von Mensch und Umwelt steht dabei stark im Zentrum. So stark, dass der Tourismus gezielt reguliert wird. Nur eine beschränkte Anzahl von Touristen darf das Land jährlich besuchen. Diese müssen im Vorfeld eine Tour bei einem lizenzierten Reiseanbieter gebucht haben. Tönt nach Nordkorea, dient aber nicht der Überwachung, sondern dem Erhalt der Natur und Kultur.
Um die Richtlinien einzuhalten, besteht in Bhutan eine Kommission für das Bruttonationalglück. Dieses stellt jeweils einen Fünfjahresplan zusammen, in dem verschiedene Massnahmen und Regulierungen angebracht werden müssen, um die vier Säulen einzuhalten.
Überprüft wird die Effektivität des Konzepts mit einer Volksbefragung. 750 (!) Fragen umfasste die Letzte. Darunter befanden sich unter anderem Fragen spiritueller Art. Zum Beispiel: „Wie oft achten Sie bei Ihrem Tun auf mögliche Folgen für Ihr Karma?“ Oder: „Wenn Sie nachts durch die Straßen gehen: Wie sicher fühlen Sie sich vor Gespenstern?“
Visionär oder utopisch?
Wie glücklich sind die Bhutaner nun also? Laut dem Happy Planet Index, der nach Messung verschiedener Indikatoren, wie Lebenszufriedenheit oder ökologischer Fussabdruck, misst, wie glücklich ein Land ist. Dort befindet sich Bhutan ungewöhnlich weit vorne. Platz 56 nämlich und damit noch vor Länder wie Japan oder Schweden.
Trotzdem lebt nach wie vor rund ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit befindet sich das Land in den hinteren Rängen. Bruttonationalglück hin oder her: Das visionäre Konzept mag durchaus sympathisch erscheinen, hat das Königreich aber noch nicht entscheidend weitergebracht. Für einen strukturschwachen, stark religiösen Staat wie Bhutan mag das Bruttonationalglück das richtige sein. Ob es in einem Land mit starker Industrie und Lobby umsetz-, bzw. durchsetzbar ist, darf bezweifelt werden.