Es fühlte sich an, als würde man acht Tage lang in einer eigenen Blase leben, in der die Aussenwelt weit entfernt ist und es nur noch das Hier und Jetzt gibt. Auch die Zeit, die Emotionen und die Menschen schienen völlig anders zu funktionieren als sonst.

Diese Erfahrung machte ich, als ich letzte Woche mit elf weiteren Jugendlichen bei einem Workshop am Dokufest in Prizren teilnahm. Wir waren alle Teil eines Projekts namens Borderpass der Schweizer Jugendfilmtage. Das Ziel dieses Projekts ist es, Jugendliche aus der Schweiz, dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina, und ursprünglich noch Serbien zu einem Filmworkshop in einem der jeweiligen Länder zusammenzubringen. Borderpass sorgt also dafür, dass eine Gruppe von Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren, für eine Woche lang in eines der oben erwähnten Länder reist, dort bei einer Gastfamilie wohnt und einen eigenen Kurzfilm dreht. Und das alles ist für die Jugendlichen komplett gratis. So dass es sich auch diejenigen, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, leisten können. Borderpass fand dieses Jahr das erste Mal statt, und wurde von zwei unglaublichen Frauen ins Leben gerufen, die für uns alles organisierten, die Reise mit uns antraten und ständig als Ansprechpersonen und Motivationsfiguren verfügbar waren.

Für mich begann dieses Abenteuer um 5:08 Uhr morgens am Zürcher Hauptbahnhof, von wo unser Zug vom Sonnenaufgang begleitet in Richtung Basel fuhr. In Basel, wo zumindest die Teilnehmer aus der Schweiz fast vollzählig waren, setzten wir unsere Reise mit dem Flugzeug fort, und einige Stunden später landeten wir schliesslich im Kosovo am Flughafen von Pristina.

Vom Flughafen aus fuhren wir in das ungefähr 80 Kilometer entfernte Prizren, wo seit 16 Jahren jeden Sommer das Dokufest stattfindet. Dort wurden wir dann von einem der zahlreichen Freiwilligen zum Haus unserer Gastfamilie geführt, um uns erst einmal auszuruhen und den versäumten Schlaf nachzuholen. Obwohl  wir fast alle kein Albanisch konnten, wurden wir von der Gastfamilie enorm liebevoll aufgenommen und umsorgt. So brachte uns zum Beispiel die Gastmutter jeden Morgen eine Tasse Schwarztee mit Zitrone und Zucker. Dem nicht genug, tischte sie uns am Donnerstag, an dem wir den ganzen Tag lang filmten – und  somit einem der wichtigsten Tage der Woche – ein köstliches Frühstück auf, und rettete uns damit wirklich den Tag. Und nicht nur mit der Gastfamilie, sondern auch mit ihrem Haus, hätten wir es nicht besser haben können. Es besass nämlich einen wunderschönen Garten voller Blumen, und eine, von Trauben überdachte, Terrasse mit mehreren Sitzmöglichkeiten, wo wir abends immer mehrere Stunden verbrachten und den Tag ausklingen liessen.

Jeden Morgen fanden wir uns um 10 Uhr morgens im Gebäude der Musikschule von Prizren ein, wo unser Workshop stattfand. Der Workshop wurde von drei Filmemacherinnen – Ludovica Fales, Kumjana Novakova und Jelena Maksimovic – geführt, die uns zwar manchmal bis an unsere Grenzen pushten, von denen wir aber auch extrem viel gelernt und mitgenommen haben.  Während wir vom Mittwoch an, völlig mit unseren eigenen Kurzfilmen, die übrigens an den nächsten Schweizer Jugendfilmtagen ihre Prämiere feiern, beschäftigt waren, so hatten wir zu Beginn der Woche eher andere Kurzaufgaben gestellt bekommen, um uns besser einzufinden. So war zum Beispiel die erste Aufgabe, die Stadt Prizren auf uns wirken zu lassen und in einem einzigen Shot einzufangen. Da ich zu den unerfahrensten der Borderpass-Teilnehmer gehörte, war dieser Auftrag für mich, als würde ich einfach ins kalte Wasser geworfen werden, ohne zuvor schwimmen gelernt zu haben. Und genau dafür war ich dann gegen Ende sehr dankbar.

Eine andere Aufgabe, die wir zu Beginn gestellt bekommen hatten, war das sogenannte Silent Portrait. Diese Aufgabe bestand darin jemanden auf der Strasse aufzugabeln, mit dieser Person etwas Zeit zu verbringen und sie kennenzulernen, und sie dann, möglichst ohne dabei zu reden, einfach in ihrem natürlichen Habitat zu filmen. Diese Aufgabe war zunächst sehr frustrierend, da die meisten Leute entweder nicht wirklich Englisch konnten, irgendwo hin mussten oder sich lediglich nicht filmen lassen wollten. Als wir aber schliesslich jemanden fanden, lernten wir wirklich unglaubliche Menschen kennen, und ich glaube dass ich aus dieser Aufgabe wirklich das meiste mitgenommen habe. Jetzt weiss ich nämlich, dass man manchmal, auch wenn es einen frustriert, nur lange genug suchen muss, und es sich dann wirklich lohnt. Als wir nämlich zu zweit auf der Suche nach jemandem waren, trafen wir auf eine Band und deren Manager, die sich schliesslich bereit erklärten uns bei unserer Aufgabe zu helfen. Und so hatten wir sogar die Möglichkeit mit ihnen Backstage zu gehen und ihnen bei den Vorbereitungen für den bevorstehenden Auftritt zuzusehen.

Ein Teil des Dokufests ist unter anderem nämlich auch die Dokunight, wo jede Nacht Musiker und DJs  auftreten und den Besuchern die Möglichkeit geben, die Nacht durchzufeiern. Das war aber nur das Sahnehäubchen, denn das Dokufest ist so vieles mehr. Es gab zahlreiche Filmvorführungen, Auftritte, Workshops und tolle Menschen, sodass die acht Tage, an denen wir an alledem teilnehmen durften, noch ewig hätten so weitergehen können.

Doch nicht nur das Dokufest war es, was diese Woche so magisch machte, sondern die ganze Konstellation von Borderpass. So bin ich so dankbar für diese Woche die ich erleben durfte, in der ich so viel über andere Kulturen und Arbeitsweisen erfahren haben. Und über diese wundervollen Menschen, mit denen ich zu „The Clash“ aufgewacht oder in Selbstmitleid ertrunken bin, mit denen ich Wassermelone gegessen, auf der Terrasse gesessen, und Schmuck gekauft habe, oder mit denen ich mir die Haare geflochten und nach einer durchfeierten Nacht auf der Strasse gesessen und über Gott und die Welt geredet habe. Und ich erinnere mich so gerne an all diese unbezahlbaren Momente, wie zum Beispiel an einen Abend an dem wir auf der Burg einer Performance beiwohnen durften, und dort gemeinsam picknickten, während die Sonne über der Stadt unterging. Oder als eine der Borderpass Teilnehmerinnen in einer Bar die Chance hatte ein Konzert zu geben und wir ihr alle völlig elektrisiert zuhörten. Oder auch die letzte Nacht, in der wir statt feiern zu gehen, einfach so lange es nötig war in der Musikschule blieben, und unsere Kurzfilme fertig schnitten, und in völlig übermüdetem Zustand dort einfach unsere eigene kleine Dokunight veranstalteten und sangen und tanzten.

Ich glaube im Leben erlebt man nur selten solche magischen Momente, und diese acht Tage waren so überfüllt von Erlebnissen, dass wir bei einem Versuch die Woche zu rekonstruieren irgendwie auf neun Tage kamen, da wir einfach nicht glauben konnten dass das alles innerhalb so kurzer Zeit passiert war.

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