Im Moment gilt: Abstand. Weder Umarmung noch Händeschütteln. Desinfizieren und Händewaschen sind kaum mehr aufgezwungen, sondern wurden bereits perfekt in den Alltag eingefügt.

Vor Eintritt ins Einkaufszentrum zweimal drücken, Hände einreiben, beim Verlassen des Geschäfts am besten nochmals. Wer sich den Weg in die Geschäfte ersparen will, geht online shoppen. Würde man von geschlossenen Grenzen absehen und sich auf das Inland Geschäft konzentrieren würde, wäre der Online-Handel am Boomen. Selbst kleine unabhängige Läden, bisher bloss liquid geblieben durch die treue Kundschaft im Dorfe, muss umdenken und bewirbt nun durch die geschlossene Ladentür mit einem Hinweis auf den neuen Online-Shop. Eine vom WordPress Baukasten gezimmerte Seite, einige Bugs, zu viele Kategorien, aber Hauptsache das Geschäft bleibt am Laufen.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Selbst unangenehme Tätigkeiten bleiben über längere Zeit Bestandteil einer Tagesroutine. Haben wir in Bezug auf das Social Distancing ähnliches zu befürchten?

Die Solidarität, von der wir nebst haarsträubenden Beiträgen, gelegentlich in den News lesen floriert und erfüllt mich mit grosser Zuversicht. Auf der Kehrseite verbringe ich um einiges mehr Stunden im Internet. Scrolle, müde vom Homeoffice gelangweilt durch den Social Media Feed, bis ich Kopfschmerzen krieg und mich unter der Vorstellung erkrankt zu sein die Corona Hotline wähle. Am nächsten Tag die gleiche Leier, schliesslich ist dies mein einziger Zugang zu sozialen Kontakten. Gleichzeitig versuche ich täglich durch Mindfullness und Awareness, meinen Körper, gekleidet in ein schmuddeliges Pyjama-Outfit in seiner ganzen Pracht wahrzunehmen bevor ich ihn dann über mehrere Social Media Stunden hinweg wieder vergesse und ihm im Stundentakt Stoff zuführe, der wie das Virus selbst vermeintlicherweise aus einem Reagenzglas stammt.

Während ich täglich von Bett, zu Sofa, zur Küche, zum Fenster, in den Garten und zurück ins Bett pendle, erfreut sich die Natur ab der Krise. Sonnenstrahlen und blauer Himmel in China, Fische in den Kanälen von Venedig. Gelegentlich raffe ich mich ebenso auf, den distanznahen Wald zu erkunden. Schmeiss mich in weite Hosen, mit dem kläglichen Versuch, den Homeoffice-Modetrend voll auszuleben und schlängle mich Minuten später zwischen Mann und Frau und Kinderwagen, durch das Dickicht. Naturnah, Selbstheilung und Atemübung. Dabei ernte ich ernste Blicke und erweitre den 2 Meter Bogen um weitere 50 sichere Zentimeter.

Zurück in meinen 90 Quadratmetern, zurück in der Isolation, poste ich meinen täglichen Hinweis auf Instagram. #StayTheFuckHome und ernte Emoji Herzen, die sich über das Vogelzwitschern freuen. Immerhin erhält man hier die nötige Aufmerksamkeit, ohne 2 Meter Lücke. Ich baue auf Facetime, auf das globale Zoom und die Möglichkeiten von Whatsapp, Instagram und Co. Was als glücklicher Fels in der Brandung scheint, ist wohl eher ein Steinbruch, der mit uns ins Tal donnert. Seit Jahren steigt der Trend der Social Media Nutzung an. Wie bei jedem Trend entwickelt sich natürlich bald darauf ein Gegentrend. Menschen, die versuchen komplett auf Soziale Medien zu verzichten, die sich auf ein altes Nokia Natel beschränken, um Kontakte real intensiv zu pflegen.

Das Internet als neuer «Safe Space»

Laut den BAG Vorlagen in heutiger Zeit, nicht zu empfehlen. Also flüchten wir ins Internet, in diese warme süsse Blase, die wir so formatieren können, wie sie uns gefällt. Ganz ohne Corona News, nur mit Blümchensoaps, hirnzerrissenen YouTube Videos und Tumblr-Stil Fotografien. Wir ergreifen jegliche Chance, bei einer neuen #InstaChallenge mitzumachen und distanzieren uns legitimerweise je länger je mehr von der Realität. «So retten wir leben!», schreiben die User auf Instagram und posten das zehnte Selfie in Folge beim Home-Workout.

Ich werfe mich ebenso in Schale, stell mich vor mein Homeoffice Fotostudio und lass den Timer der Kamera laufen. #ChallengeAccepted, um auf der Trendwelle mit zu surfen.

Selbstverständlich ist auch hier eine Gegenbewegung gegeben. Wer zuvor den Weg ins Büro als frische Luft bezeichnete, geh nun aktiv einmal am Tag nach draussen. Die Sehnsucht nach einem Besuch bei Oma und Opa keimt bei zahlreichen Menschen auf. Verbotene Dinge riefen schon immer ein grösseres Verlangen hervor. Briefe erleben eine neue Beliebtheit und die Kreativität der Menschheit in ihren eigenen vier Wänden sprengt diese beinahe. Was zuvor durch materielles Habgut in der Kamera präsentiert wurde, verlor an Wert. Stattdessen erleben Alltagsgegenstände eine neue Ära in ihrer Existenz. Die Streamaufrufe steigen, Herzchen werden doppelt so oft vergeben und zu guter Letzt merken gar Fotografen, dass ein Fotoshooting per Facecam eigentlich ganz passabel ist. Wer braucht denn schon persönlichen Kontakt? Internet sei Dank sind wir so stark verknüpft wie noch nie. Haben die Möglichkeit zu verfolgen, wie selbst Länder auf der anderen Seite des Globus zu Zeiten der Krise beschäftigen.

Doch wie folgt der Rückweg zur Normalität? Herr und Frau Schweizer, zurückhaltend und distanziert, sehen in der Krise den nötigen Grund sich noch weiter von sozialer Nähe zu entfernen. Das Internet regelt’s schon. Dabei ist gerade in Zeiten wie diesen der soziale Kontakt unabdingbar. Die Verbindung des Sorgentelefons 147 läuft heiss. Ob aus Angst oder weil die Kontakte fehlen. «Haben Sie Geduld.», beruhigend beunruhigende Worte, und schon wird der Hörer aufgelegt, schliesslich warten noch duzend andere kontaktlose in der Leitung.

Bald wieder gemeinsam etwas unbeschwert trinken gehen. Doch wann?

Werden wir denn nun noch digitaler?

Dieser Text ist über die letzten Wochen entstanden. Zu Beginn mit Unbehagen. Mit etwas Furcht und ängstlich in die Zukunft blickend. Die Menschen zogen sich zurück, verschanzten sich im Internet, folgten Trends in ihren eigenen vier Wänden und rechtfertigen ihren sozialen Rückzug mit der globalen Pandemie.

Nach vielen Gesprächen mit vertrauten Personen. Nachdem ich selbst zu viele Stunden alleine verbracht hatte. Ohne Austausch mit Mitstudenten, ohne Reisen, ohne augenöffnende Begegnungen mit fremden Menschen, hat sich meine Meinung etwas geändert. Wir werden wohl kaum digitaler, wenn wir zurzeit gezwungen sind, unsere Kontakte ausschliesslich auf diese Art und Weise zu pflegen. Schliesslich lässt sich kaum ein Mensch gerne Dinge vorschreiben. Ein starker Gegentrend, spätestens wenn alle Festivals abgeblasen, und der Sommer sich bald dem Ende neigt, wird die breite Masse nach draussen tragen. Um zumindest einmal miteinander zu sein. Alle gemeinsam – so stelle ich es mir vor – auf offenem Gelende, freundlich, offen, lachend, tanzend, singend. Der Mensch ist ein soziales Wesen, viele Facebook und Instagram Freunde sind toll, aber am Ende sind es Berührungen und eine direkte Kommunikation auf weniger als 2 Meter Distanz, die in der Lage sind unsere sozialen Bedürfnisse zu stillen.

Geschrieben von:

auf der Suche nach etwas Inspiration

1 Comment

  1. herbstzeitlose Reply

    tod den a-sozialen medien (RIP)

    lang lebe das achtsame miteinander
    und
    die dennoch begegnung im alltäglichen gewusel des seins.

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