Ganze Städte verwaist, Schulen und Restaurants geschlossen, jegliche Reisen eingestellt – ein nur Nanometer grosses Virus hat zustande gebracht, was nicht der mächtigsten Armee dieser Welt gelungen wäre. Es hat eine Gesellschaft, deren Leben von Umtriebigkeit und ständigem Wachstum nicht genug kriegt, zum Stillstand gebracht. Gerade der Westen, der sich sonst vor Krisen jeglicher Art gefeit glaubt, wurde von der Corona-Krise ins Mark getroffen. Jetzt, drei Monate später, scheint die Krise zumindest in der Schweiz weitgehend überstanden, während in vielen anderen Teilen der Welt  das Schlimmste noch bevor steht.

So fängt man hierzulande bereits an, über die Flut an historisch einzigartigen Ereignissen zu reflektieren. Über den 16. März etwa, als der Bundesrat zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg per Notrecht die Geschicke dieses Landes in die Hand nahm und sich anschickte eine humanitäre Tragödie zu verhindern. Erfolgreich, wie sich bald zeigen sollte. Die neuen Fallzahlen gingen schnell zurück, die Anzahl der Todesopfer blieb im internationalen Vergleich tief.

Fader Beigeschmack

Trotzdem: Ein fader Beigeschmack bleibt. Denn wenn die Politik in den letzten Monaten eines bezeugt hat, dann ist es ihre Fähigkeit, schnell und wirksam einen Kurswechsel durchzuführen, um grössere Unglücke zu verhindern. Auf ein solches steuern wir mit der Klimakrise bereits seit längerer Zeit zu. Die Politiker bleiben aber lethargisch, als scheinen sie den Ernst der Situation nicht zu erkennen. Besser als Thomas Gsella in der Wochenendbeilage «Das Magazin» – wenn auch in Bezug auf die Flüchtlingskrise – hätte man die notorische Untätigkeit der Politik nicht zusammenfassen können:

«Quarantänehäuser spriessen, Ärzte, Betten überall. Forscher forschen, Gelder fliessen Politik mit Überschall. Also hat sie klargestellt: Wenn sie will, dann kann die Welt. Also will sie nicht beenden, das Krepieren in den Kriegen, das Verrecken vor den Stränden. Und dass Kinder schreiend liegen, in den Zelten, zitternd, nass. Also will sie. Alles das.»

Denn so tragisch die Covid-19-Pandemie mit bald einer halben Million Toten sein mag – die letzten Monate haben gezeigt, wer vom totalen Stillstand der Gesellschaft am meisten profitiert: die Umwelt. Noch immer präsent sind die Bilder aus China, das für mehr als ein Viertel des weltweiten CO2-Austosses verantwortlich ist. Plötzlich schien über den sonst so smogverseuchten Megastädten die Sonne, während Wissenschaftler eine signifikante Abnahme der Luftverschmutzung feststellten. Bilder der US-Weltraumbehörde Nasa zeigten einen deutlichen Rückgang der Stickstoffdioxid-Werte über China – für viele Experten historisch einzigartig. So zitiert die Welt Nasa-Forscher Fei Liu: «Dies ist das erste Mal, dass ich für ein bestimmtes Ereignis einen so dramatischen Rückgang über ein so weites Gebiet sehe.»

Totschlagargument Arbeitsplätze

So abrupt der Stillstand kam, so schnell machte sich die chinesische Zentralregierung daran, ihren ruhenden Wirtschaftsmotor auf Hochtouren zu bringen – ohne Rücksicht auf Verluste. Cao Liping, Direktor des chinesischen Büros für Ökologie und Umweltdurchsetzung im Ministerium für Ökologie und Umwelt, liess, kurz nachdem sich die Lage wieder ein wenig beruhigt hatte, an einer Pressekonferenz verlauten: «Die Umweltaufsicht sollte den praktischen Bedürfnissen der sozialwirtschaftlichen Situation angepasst werden.» In anderen Worten plant China seine Umweltstandards zumindest temporär zu lockern, um den Produktionsverlust während der Corona-Krise wieder auszugleichen.

Ähnlich, wenn auch nicht im gleichen Ausmass, sanken CO2- und andere Emissionen über Europa, wo vor allem der Flugverkehr seit Wochen beinahe stillsteht. In vielen europäischen Städten wurde eine starke Abnahme der Stickstoffdioxid-Werte registriert, was hauptsächlich auf den Stillstand von Individual- und Flugverkehr zurückzuführen ist. Doch obwohl nun zum ersten Mal sichtbar wurde, wie schnell sich die verminderte Aktivität des Menschen positiv auf den Planeten auswirkt, bleibt die Politik zögerlich.  So zeigen die Milliarden-Garantien des Bundes an die beiden Lufthansa-Töchter Edelweiss und Swiss, dass sich die Politik noch immer davor scheut, einen radikalen Umschwung zugunsten des Klimas zu wagen – natürlich mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze. 

Sorgen um Erwerbstätigkeit überwiegen

Zudem könnte sich aufgrund der schwächelnden Wirtschaft und drohenden Rezession das in den letzten Jahren mühselig aufgebaute Umweltbewusstsein breiter Gesellschaftsteile auf einen Schlag in Luft auflösen. Diese Befürchtung vertritt etwa Rob Jackson, Professor für Erdsystemwissenschaften an der Universität Stanford, im Interview mit CNBC: «Wenn die Weltwirtschaft abstürzt, werden die Emissionen kurzfristig sinken, da wir weniger Güter produzieren, aber die Klimamassnahmen werden sich verlangsamen. In der Politik übertrumpfen Sorgen um die Erwerbstätigkeit solche über die Umwelt.»

Ob Covid-19 die Bemühungen der Klimabewegung der letzten Jahre tatsächlich torpediert, wird am Ende wohl vor allem an der Standfestigkeit und Prioritätensetzung der Politik liegen. Sollte sie nämlich zum Schluss kommen, dass die Wirtschaft nur durch eine Deregulierung auf Kosten der Umwelt wieder auf Vordermann gebracht werden kann, würde dies dem Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens einen herben Dämpfer versetzen. Der diesjährigen Klimagipfel in Glasgow wurde bereits auf nächstes Jahr verschoben. So wird es noch eine Weile dauern, bis klar wird, ob Politiker rund um die Welt die Chance für einen Neustart packen oder trotzdem wieder in alte Muster zurückfallen.

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