Den Job kündigen, die Wohnung auflösen und mit dem Fahrrad um den Globus fahren. Für mich klingt das fast schon wie eine utopische Vorstellung, die Wohl kaum jemand in die Tat umsetzen würde. Doch genau das hat einer meiner Cousins getan. Mit seiner Frau Lisa ist mein Vetter Christian vor fast einem Jahr aufgebrochen. Über Polen und Russland durch China bis nach Indonesien sind sei hauptsächlich mit dem Fahrrad gereist. Ganze 17 Staatsgrenzen haben sie überquert – und alles haben sie auf ihrem Blog www.goglocal.de festgehalten.

Christian mit seiner Frau Lisa

Da die beiden immer noch unterwegs sind, ich die Möglichkeit meine Neugier zu stillen aber nicht missen wollte, habe ich sie kurzerhand per Mail interviewt. Wie Goethe schon sagte, findet der Mensch die beste Bildung auf Reisen. Von wem sollte man also mehr über das Leben, die Heimat und die Freiheit erfahren, als von Menschen, die schon seit 10 Monaten durch die verschiedensten Kulturen reisen.

«Wir wollen keinen Urlaub an einem sonnigen Südseestrand machen und von Insel zu Insel jetten. Wir wollen die Welt erleben – und dazu bleiben wir am Boden, bei den Menschen, an der Natur, erleben Jahreszeiten und Klimazonen – und Orte, die wir sicher NIE als Destinationen ausgewählt hätten! Und das wird richtig spannend» – aus www.goglocal.de


Dem Vorsatz ohne Flugzeug zu reisen, sind die beiden treu geblieben, auch wenn sie ihn aufgrund des Coronavirus und den dadurch verursachten Grenzschliessungen Chinas eventuell doch noch brechen müssen. Doch wie kam die Route, die die beiden zurückgelegt haben überhaupt zustande?

Chris: «Ich würde sagen, die grobe Idee unserer bisherigen Route stand schon eine Weile vor der Abreise fest. Es sollte nach Osten gehen, ich wollte China und Südostasien sehen und am liebsten bis nach Neuseeland kommen. Da wir auf keinen Fall fliegen, sondern klimaschonend reisen und etwas von der Welt sehen wollten, war die Frage, wie wir da hinkommen. Irgendwann stand dann fest, dass wir über Russland gehen würden, wobei die Route über Zentralasien bestimmt auch spannend gewesen wäre. Doch abgesehen hiervon entwickelte sich die Route eher on-the-go. Was dann ungefähr so aussah, dass man sich zirka für zwei Wochen einen groben Plan gemacht hat, wo man hin wollte, und dann von Tag zu Tag Wege dorthin suchte.»

In ganzen sechzehn Ländern wart ihr schon, doch wie geht es weiter?

Lisa: «Aktuell sind wir in Indonesien. Hier ist jetzt aber auch der Wendepunkt unserer Reise erreicht. Da wir beide als Trauzeugen im Sommer zuhause gebraucht werden, haben wir uns entschieden, umzukehren und es bei einer Reise ans andere Ende der Welt zu belassen – keiner Weltumrundung. Von jetzt an geht es wieder nach Westen, was die Zahl der kommenden Länder auf unserer Reise überschaubar macht. Von hier aus wird es in nordwestlicher Richtung weitergehen. Durch Singapur, Malaysia, Thailand, Myanmar, Indien, Pakistan, Iran, Armenien, Georgien und übers Schwarze Meer zurück nach Europa. Wobei wir die Lage im Iran gerade – schon alleine wegen der besorgten Familien daheim – im Auge behalten.»

Macht ihr euch Sorgen über euren Aufenthalt im Iran?

Chris: «Es geht. Über WhatsApp sind wir mit anderen Rad-Weltreisenden verbunden, und von denen hört man aus dem Iran immer noch das Lied vom Land der höchsten Gastfreundschaft. Also scheint die Lage in der Bevölkerung eher friedlich. Und ehrlich gesagt, hätte ich das auch nicht anders erwartet.

Die überwältigende Mehrheit der Menschen auf unserem schönen Planeten ist friedlich und liebenswert und daran ändert das Medienbombardement zwischen den Parteien, Ost und West, Sozialismus und Kapitalismus und so weiter nichts.

… Sorry, zurück zum Thema.»

Zehn Monate zu reisen ist eine lange Zeit, was überwiegt, das Heimweh oder das Fernweh?

Lisa: «Bei uns beiden mal das eine, mal das andere – je nach Situation und Stresslevel. Wobei bei Chris eher das Fernweh und bei mir eher das Heimweh Oberhand behält. Auch wenn es in Asien richtig leckeres Essen gibt, vermisse das deutsche Essen. Brot, Kartoffelauflauf, Salate, Semmelköndel,… bzw. auch eine eigene Küche.  Was ich auch besonders vermisse sind die Jahreszeiten. Ich liebe den Wechsel in der Natur, den die Jahreszeiten mit sich bringen. Und das heiss-schwüle Klima hier strengt mich oft auch an.»

Chris: «Wir haben vor der Abreise den Deal gemacht, ein Jahr zu reisen. Mehr wollte Lisa nicht und weniger war für mich nicht drin. Inzwischen werden es dennoch 14 Monate, womit Lisas Schmerzgrenze jetzt auch erreicht ist. Unsere Freunde und Familien fehlen uns schon und ab und zu. Trotzdem würde ich wirklich gerne weiterreisen, besonders da wir ohne zu Fliegen kaum mal eben wieder so weit kommen – und Fliegen ist für mich inzwischen wirklich ein No-Go geworden.»

Sehr wichtig für euch, und auch ein Grund weshalb ihr das alles mit dem Fahrrad macht, ist weil ihr möglichst viel von der Kultur und den Menschen mitnehmen wollt. Gab es eine Bekanntschaft, die ihr gemacht habt die euch speziell in Erinnerung geblieben ist?

Lisa: «Wir treffen immer wieder auf sehr faszinierende Menschen. Teilweise Reisende, die schon seit Jahren unterwegs sind. Die haben natürlich einiges zu erzählen und können uns viele Tipps geben. Zum Teil begegnen uns Menschen, die uns mit unglaublicher Gastfreundschaft begegnen. Das bleibt im Kopf.»

Chris: «In Jekaterinburg in Russland trafen wir einen betrunken Soldaten, der uns sein Herz ausgeschüttet hat und uns gar nicht mehr gehen lassen wollte. Der hat uns dann auch allerlei von seinen Dienstutensilien schenken wollen. Auch in China trafen wir einen älteren Mann der sich als `Seybinsey`vorstellte, er lud uns in sein Haus ein und stellte uns die Grundschüler und den Parteikader des Orts vor. Auch wenn wir uns nur schwer über den Translator verständigen konnten lud er uns in allerlei Restaurants ein und fuhr uns mit dem Auto in eine andere Stadt. Ein Nein Danke akzeptierte er nicht, obwohl er augenscheinlich aus ärmeren Verhältnissen stammte. Natürlich, gibt es auch zahlreiche schräge Begegnungen. Lediglich einmal hatten wir eine sehr unschöne Begegnung, wo ich fast geschlagen und sogar mit dem Tod bedroht wurde von einem aufgebrachten Taxi-Vermittler in Indonesien, der uns nicht in Ruhe liess. Aber das war zum Glück das einzige mal. Ansonsten waren die Leute, besonders in Asien, immer super freundlich, offen und hilfsbereit. Und grosszügig!»

Streitet ihr?

Lisa: «Wir zicken häufig.»
Chris: «Manchmal ist das Reisen echt stressig und wenn dann noch etwas am Rad kaputt geht, man nichts zu Essen findet oder keinen Schatten, einer von uns versehentlich Mücken ins Zelt lässt, der Kocher nicht angehen will oder das einzige Hotel in der Nähe überteuert oder ekelhaft ist, dann liegen gerade bei mir auch gerne mal die Nerven blank und ich werde bissig. Wenn wir dann beide gleichzeitig zickig sind, dann zoffen wir uns auch mal. Aber richtig streiten, das kommt eher selten vor.»

Seid ihr frei?

Lisa: «Wir sind schon allein darin frei, mal eben den Job zu kündigen und mit dem Ersparten in die Welt hinaus ziehen zu können. Wir sind in westeuropäischen Verhältnissen zwar eher arm, doch global gesehen total reich und das ist ein grosses Privileg. Unser deutscher Reisepass ermöglicht uns da auch extrem viel – und wir lernen unterwegs, dass das nicht selbstverständlich ist. Das wäre eine Ebene dieser Freiheit, die wir spüren. Eine andere ist, eine innere Freiheit, das Mind-Set das man braucht, um sich auch von den sogenannten Sachzwängen in unserer Gesellschaft frei zu machen. Da geht es für mich darum, Entscheidungen für ein freies Leben zu treffen. In unserem Fall bedeutete das bestimmte Sicherheiten wie ein Dach über dem Kopf, einen festen Job und damit ein festes Einkommen hinter mir zu lassen und ins Ungewisse zu starten. Das ist mir nicht leicht gefallen, aber während der Reise habe ich gelernt, wie wenig wir zum Leben eigentlich brauchen. Es macht frei, darüber nachzudenken was im Leben zählt und was ich wirklich brauche. Wenn mir weniger reicht, muss ich weniger Sachen kaufen und weniger Geld verdienen. Dann kann ich die Zeit und das Geld, die mir übrig bleiben, auch in Beziehungen oder Projekte investieren, die mir am Herzen liegen. Das ist meine Idee der Freiheit.»

«Ich würde sagen, dass wir sehr freie Menschen sind, zumindest äusserlich.

Kann man jemals wirklich frei sein?

Chris: «Gute Frage. Es gibt da für uns eben die äussere und die innere Freiheit. Aus unserer westlichen Warte gesehen ist die äussere Freiheit fast schon selbstverständlich. Das ist aber wie gesagt ein absolutes Privileg angesichts der Armut, der Ungerechtigkeit und der Repressionen in anderen Ländern. Leider ist man zum Beispiel als Asylbewerber in Deutschland auch alles andere als frei. Wir geniessen diese Freiheit und sind uns dessen auch bewusst. In einigen Punkten was die innere Freiheit, also was die Einstellung angeht, sind wir wahrscheinlich immer noch eher unfrei, zum Beispiel von eigenen Vorstellungen, Vorurteilen, Ängsten. Ich wage zu behaupten, da können wir im Westen einiges von anderen Kulturen lernen. Dankbarkeit zum einen, Akzeptanz und Gastfreundlichkeit zum anderen und sicher einiges mehr.

«Was für mich an dieser Stelle noch wichtig ist, sind die Grenzen unserer Freiheit. Wie frei DARF ich überhaupt sein? Damit meine ich die ethischen Grenzen unserer Freiheit, die eben da liegen, wo die Freiheiten anderer berührt werden. Wie frei darf ich sein, wenn ich mir der Konsequenzen meines Handelns für andere bewusst bin? Da geht es dann um Konsum, um Lebensstile und Verhalten, die global Effekte haben und ebenso global Menschen betreffen. Wir sind schon länger darauf bedacht sozial gerecht und so nachhaltig wie möglich zu leben. In dieser Konsequenz sind wir dann aber auch eben NICHT frei beispielsweise zu fliegen. Damit würde ich mich bewusst über die Existenzrechte von anderen hinwegsetzen, die durch die Erderwärmung und deren Konsequenzen bedroht sind – insbesondere da das Fliegen einen Grossteil der Pro-Kopf-Emissionen verursacht. Der Grossteil der heutigen Reisenden nimmt sich diese Freiheit dennoch heraus, was ich sehr fragwürdig finde.»

Seid ihr glücklich

Lisa: «Wir haben aber auch persönlich erlebt, dass man selbst im Paradies noch jammern kann. Daraus folgte eine sehr heilsame Erkenntnis, denn wir haben gelernt, dass Glück weniger von den Umständen abhängt als von unserer inneren Einstellung. Wenn wir die reflektieren und uns bewusst machen, wie dankbar wir sein können und uns dann auch in dieser Dankbarkeit üben, dann sind wir glücklich.»

Bildquellen

  • 9: goglocal.de
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2 Comments

  1. you go söfe i see you…Mega tolli Geschicht! Mich hets mega inspiriert!

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