Das sonst tiefblaue Wasser schimmert rot. Schaulustige Touristen knipsen emsig neue Leserreporter-Fotos. Einige ekeln sich. Wenden sich ab und sind doch fasziniert von der blutigen Tradition. Während sie sich nach diesem schaurigen Erlebnis dem Genuss eines Stücks Grindwalspecks widersetzen, kaufen sie sich ein günstiges Stück Rinderfilet oder Schweinshaxe. Lecker. Kein Blut ist zu sehen. Keine leeren Blicke. Kein unmoralisches Verhalten. Dann hetzen sie gegen die Tradition der Waljagdnationen und schreiben böse Kommentare an Japans Regierung.

Denn Japan jagt wieder. Und Norwegen übrigens noch immer. Die beiden Länder sind nebst Island und den Färöer-Inseln führende Walfangnationen. Und sie denken nicht daran, die Jagd einzustellen. Den Einen geht es um Profit, den anderen um den Erhalt einer jahrhundertealten Tradition. Geld spielt vermutlich in beiden Fällen eine Rolle. Aber wie weit ist eine Jagd ethisch vertretbar und wann wird die vermeintliche Tradition Opfer des westlichen Kapitalismus? Jener, der die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter aufreisst und die Reichen zu noch mehr Investitionen und Gewinn zwingt.

Die Färöer jagen aus Leidenschaft. Ihr Einstellung basiert auf einer jahrhundertealten Tradition. Das Gleiche gilt für Norwegen und Island. Die Japaner hingegen sind ganz offen. Was für sie der wissenschaftlichen Forschung dient, ist ein abgekartetes Spiel. Der Profit steht im Fokus, Tiere sind keine Lebewesen mehr, bloss Mittel zum Zweck und landen am Ende trotzdem auf dem Teller. Kein Wunder ist der Aufschrei um den Walfang laut. Doch wenn es um Traditionen geht, prallen zwei Fronten aufeinander. Insbesondere wenn der Ursprung dieser Tradition weit in der Vergangenheit liegt.

Tief verankerte Tradition?

Die Jagd nach Walen im grossen Stil begann bereits im 12. Jahrhundert im Baskenland, einer Region in Spanien. Damals ging es ganz langsam. Doch Mitte des 19. Jahrhundert brachte die Industrialisierung einige Veränderungen mit sich. Mit der Erfindung der Harpune und schnelleren Dampfschiffen wurde der kommerzielle Walfang an die Spitze getrieben. Nicht für Essen, sondern Waltran, Margarine, Salben, Seifen. Angefangen beim Buckelwal, über den Blauwal bis hin zum kleinen Zwergwal – was gross war, war gut. Waren die Grossen beinahe ausgefischt, nahm man sich die Kleinen vor. Bald standen aus diesem Grund zahlreiche Walarten kurz vor der Ausrottung. Vermeintlich walfreundliche Länder griffen ein. 1946 unterzeichneten 22 Nationen die erste internationale Vereinbarung zum Walfang.

Seit 1986 gilt zudem ein weltweites Walfang Moratorium gegen den kommerziellen Walfang, welches die Internationale Walkommission durchgesetzt hatte. Der Grund: die Tiere sind bedroht. Insbesondere Grosswale. Dazu gehören sämtliche Bartenwale und der Pottwal, welche seit Jahren im Jagdfokus der aktiven Walfangnationen standen. Zum Vergleich: der Verein Pottwale e.v. verdeutlicht auf seiner Webseite, dass die Population der Pottwale vor der radikalen Walfangjagt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts schätzungsweise eine Million betrug. Heute sind es nur noch knapp 300’000 Tiere.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Regelungen tragen Ausnahmen mit sich. Dazu gehören in diesem Fall u.a. Grönland, Alaska und Sibirien. Dort lebende Ureinwohner jagen, um zu überleben – zur sogenannten Subsistenz. Die Jagd nach Wild bei uns ist bei den Inuit die Jagd nach dem Wal. Der Wal gehört seit jeher auf den Speiseplan der Ureinwohner, weshalb sie auch heute noch jährlich zahlreiche Wale erlegen. Doch auch hier schauen kritische Augen den Eingeborenen auf die Harpunen. Seit einigen Jahren wurde deren Walfangquote – die erlaubte Menge gejagter Wale – nach oben geschraubt. Obwohl ein Grossteil an Fleischresten in der Tonne und ungebrauchte Nebenware in der Tiefkühlabteilung des Supermarkts deines Vertrauens landet. Dort, wo Grossverbraucher Walfleisch als alltäglich und selbstverständlich ausgestellt wird und Freitag abends bei Familie Müller verspeisen wird. Ganz ohne Tradition und Gewissen.

Ums blanke Überleben kämpfen die Inuit kaum. Doch der kommerzielle Wahn, der die westliche Gesellschaft seit Jahrhunderten beherrscht, hat sich auch an den – wie wir glauben – unberührten Orten eingeschlichen. Die weissen dicken Zeigefinger richten sich angespannt auf die warm eingewickelten Ureinwohner, die einen weiteren Buckelwal erlegen. Gleichzeitig versuchen diese Finger, die andere Hand in blutigem Wasser zu waschen und dabei das Moratorium von 1986, unter Vorwand von Tradition und Wissenschaft, zu umgehen.

Norwegen ist die stärkste Walfangnation

Norwegen ist ein Vorzeigeland. Norwegen ist nachhaltig. Norwegen weiss wie man leben soll. Norwegen kennt das Rezept zur ausgeglichenen Wohlfahrt. Und Norwegen weiss, wie man Wale jagt. Laut der Regierung seit dem 9. Jahrhundert. Die Tradition soll deshalb dringlichst erhalten bleiben. Aus diesem Grund tötet Norwegen weiterhin hunderte Wale und hat sogar eine Erhöhung der Fangquote beansprucht. Eine Quote, die Norwegen seit Jahren nicht erreicht hat. Ausserdem sackte der Walfleischmarkt nach einem Höhepunkt von 736 getöteten Walen im Jahr 2014 stark ab. Was früher Tradition war, ist heute Superfood. Norwegens Fleischexporte sichern das Fortbestehen einer blutigen Industrie. Auf die Quotenerhöhung besteht Norwegen trotzdem.

Reiseparadies mit blutiger Nebengeschichte

Die Inselgruppe Färöer, offiziell Teil von Dänemark, wurde während den letzten Jahren zu einem beliebten Reiseziel für Naturliebhaber. Die Werbung verspricht ein Märchenland: saftig grüne Wiesen, riesige Schafherden, tiefgrüne Weite, karge Felslandschaft, umgeben von der rauen Brandung, die gegen die Inseln klatscht.

Doch die grüne Idylle wird von einer dunkelroten Tradition unterbrochen. Grindadráp. So nennen die Färöer den jährlich traditionellen Grindwalfang. Seit Jahrhunderten ist dieser fest in der Kultur der Inselbewohner verankert. «Reguliert, natürlich, gemeinschaftlich». So, die Beschreibung auf der offiziellen Walfangwebseite der Färöer-Inseln. Doch auch hier schrecken zahlreiche Touristen zurück und diverse Tierschutzorganisationen, versuchen das Grindadráp zu verbieten.

Ähnlich geht es der zweiten Walfanginsel Island. Das beliebte Reiseziel betreibt seit dem 12. Jahrhundert organisierten Walfang. Ihre Spezialität: Finnwale, die zweitgrössten Meeressäuger. Eine Riese der – wenn man den Umfragen glaubt – kaum von den Bewohnern verspeist wird. Laut einer Studie der International Fund for Animal Welfare (IFAW) verzehren nur 1.7.% der isländischen Bevölkerung Walfleisch. Ein Grossteil des Fleisches wird zwar auf der Insel verkauft, Hauptkäufer sind am Ende jedoch die Touristen. Aber selbst diese Zahl hat sich seit der letzten Erhebung vor zehn Jahren von 40% auf knapp 12% reduziert. Jetzt isst man in der isländischen Küche «whale friendly». Wenn die Bezeichnung «walfreundlich» nur halb so viel Nachhaltigkeit beinhaltet, wie das Bio-Label auf einer Avocado, die aus dem Süden Perus stammt, stehen mir die Haare zu Berge. Finnwale stehen trotzdem noch auf der Liste gefährdeter Tierarten.

2011 reichte Island eine Anfrage zum EU-Beitritt ein. Den Walfang hätten sie dafür vollständig aufgeben müssen. Ein Grund für die Isländer, den Beitritt 2014 wieder zurückzuziehen. Immerhin: für den Rest des Jahres, haben die Wale vor der Küste Islands nichts mehr zu befürchten. Die Jagdsaison wurde beendet.

Japans Wissenschaft wird belächelt

Der Walfang in Japan wird schon lange als kritisch betrachtet. Laut der japanischen Regierung werden mittels der getöteten Wale neue Forschungen zum Erhalt der Meeressäuger durchgeführt. Doch wie seriös ist Forschung, die kaum veröffentlicht wird und deren Inhalt zahlreiche Lücken aufweist. Anstatt im Reagenzglas, landet der Wal auf der Speisekarte nobler Restaurants und kurbelt die japanische Wirtschaft an. Seit der Absegnung des Walfang Moratoriums 1986 stellt sich Japan dem Verbot entgegen. Das war Grund genug für das profitorientierte Land, die Jagd auf Delfine einzuläuten, da diese nicht dem Moratorium unterstehen.

Um Geld geht es immer noch

Egal, ob Norwegen traditionell bleiben will und Island aus ganz anderen Gründen auf den Beitritt in die EU pfeift. Geld spielt auf jeden Fall eine Rolle. Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Tiere sind dein bester Freund. Und damit sinkt die Nachfrage nach Walfleisch. Indes erholen sich die Walbestände langsam von der grossen Jagd des letzten Jahrhunderts. Weshalb die grossen Walfangnationen trotzdem noch jagen, bleibt mir schleierhaft. Wieso jagen, wenn es das Land nicht «frisst»? Wieso töten, wenn das Geld ausbleibt? Am Ende stossen wir doch auf Traditionen, die trotz aller ethischen Widersprüche stur ihren alten Hierarchien folgen. Und wir merken, dass Norwegen nicht ganz so weit voraus ist, sondern in einigen Punkten meilenweit hinterher schwimmt. So oder so, bin ich mir sicher, dass Traditionen nicht immer im Sinne der Tradition erhalten bleiben, sondern, um sie als Schutzdecke über vermeintliche neue Geldquelle zu legen.

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