Als der Ministerpräsident Spaniens, Mariano Rajoy, am Sonntagabend vor die Medien trat, mimte er den Sieger: „Der Rechtsstaat hat sich durchgesetzt.“ Dass er sich und sein Land zuvor selbst in die weltweiten Negativschlagzeilen manövriert hatte, überspielte er gekonnt. Auch die Polizeigewalt war in Rajoys Statement kein Thema.
Ein alter Gedanke
Der Wunsch Kataloniens nach der Unabhängigkeit von Spanien ist ein Alter. 1931 wird während der Zweiten Spanischen Republikein Autonomiestatut verabschiedet, deren Präsident 1934 den Katalanischen Staat ausruft. Offiziell anerkannt wird er nie. Fünf Jahre später marschiert Francisco Francowährend des spanischen Bürgerkriegs in Barcelona ein und schlägt jeden Funken von Unabhängigkeitswillen nieder. Die katalanische Sprache wird verboten, das Zivilrecht eingeschränkt. Die katholische Kirche übernimmt erneut das Ruder. Im September 1976, Francos Tod liegt ein halbes Jahr zurück, gehen schliesslich 1,5 Millionen Menschen auf die Strasse und feiern „La Diada“, den katalanischen Nationalfeiertag. Auch 36 Jahre Repressalien und Unterdrückung durch das Franco-Regime konnten den katalanischen Geist nicht im Sand ersticken.
Bis heute scheiterten mehrere Versuche, den Autonomiestatus zu erringen. 2006 stimmte das spanische Parlament dem Belangen zu, Rajoys rechtskonservative Partido Popular schleppte den Entscheid vor das spanische Verfassungsgericht, das ihn wieder rückgängig machte. Das Urteil des Verfassungsgerichts bewirkte eine Zentralisierung Richtung Madrid und damit eine Deregionalisierung, die vielen Katalanen sauer aufstösst. Seither haben sich die Fronten verhärtet, Katalonien wendet sich immer mehr vom spanischen Staat ab. Das Referendum vom letzten Sonntag war nun die logische Folge.
Polizeigewalt und Chaos
Im katalanischen Regionalparlament haben die beiden Parteien „Junts Pel Si“ und CUP, auch als Separatisten-Koalition bekannt, die Mehrheit der Sitze. Dadurch konnten sie anfangs September ein Gesetz zur Durchführung des Referendums durchboxen. Dumm nur: Das Gesetz widerspricht der spanischen Verfassung, die über dem katalanischen Recht steht und die jegliche Abspaltungen vom spanischen Staat verbietet. Kommt hinzu, dass das spanische Verfassungsgericht die Abstimmung verbot und jede Vorbereitungshandlung unter Strafe stellte.
Den katalanischen Separatisten war das jedoch herzlich schnuppe, sie zogen, angeführt von Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont den Plan durch. Ihren Plan zog auch die Guardia Civil, Spaniens Militärpolizei durch, sie konfiszierte Wahlurnen und Wahlzettel und ging teilweise mit grosser Brutalität gegen Abstimmungswillige vor. Am Ende des Tages resultierten 844 Verletzte, eine Wahlbeteiligung von mageren 42 Prozent und eine Mehrheit von 90 Prozent für das Referendum. Das Resultat ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, Unabhängigkeitsgegner boykottierten die Abstimmung.
Puigdemont versus Rajoy
Der Kampf der Titanen zwischen den beiden Ministerpräsidenten von Spanien, Mariano Rajoy, und Katalonien wird wohl auch nach der Abstimmung nicht abebben. Zu gross sind die Differenzen, zu klein der Wille zum Konsens. Rajoy seinerseits zeigte mit seinem Auftreten der letzten Tage seine fehlende Empathie für die autonomen Regionen in Spanien, die eine wichtige Rolle in der spanischen Identität darstellen. Dass er die Kontrolle schon seit längerem verloren hat, versucht er zu vertuschen. Auf der anderen Seite Puigdemont, der nicht wenigen Kompromissbereitschaft zeigte und die Naivität der Guardia Civil geschickt ausgenutzt hat, um in der Weltgemeinschaft nun die Rolle als Opfer einzunehmen. Auch er vergisst: Die Situation für Katalonien ist festgefahren, ohne Dialog wird in den nächsten Jahren nichts gehen, sollte er seinen Stolz nicht herunterschlucken können.
Was bleibt ist ein Imageschaden, nicht nur für die Regierung Spaniens, sondern für das ganze Land. Symbolisch hierfür Venezuelas autoritärer Staatspräsident Nicolás Maduro, der im venezolanischen Fernsehen in Richtung Rajoy stichelte: „Wer ist der Diktator?“