Am 2. Februar sprach sich die Staatspolitische Kommission des Ständerats für das Stimmrechtsalter 16 aus. Befürworter Philippe Kramer von der Interessensgemeinschaft Stimmrechtsalter 16 und Initiativgegner Roman Zehnder von der Jungen SVP Glarus diskutieren nicht nur über eine Altersgrenze bei Abstimmungen, sondern fragen sich auch, wie junge Erwachsene eine bessere politische Bildung erhalten können.

Roman Zehnder

Präsident Junge SVP Glarus

Alter: 22 Jahre

Gegner

Philippe Kramer

Mitglied IG Stimmrechtsalter 16

Alter: 21 Jahre

Befürworter

Philippe, du engagierst dich seit mehreren Jahren für das Stimmrechtsalter 16 und bist Mitglied der IG «Stimmrechtsalter 16». Wann wurde dein Interesse für Politik geweckt?

Philippe: Als ich begann für ein Schülermagazin zu schreiben, fing ich an mich genauer mit der Welt zu befassen und stolperte so über die Politik. Mit dem Klimastreik kam die Motivation, nicht nur über Politik zu schreiben und diese als Aussenstehender zu beobachten, sondern selbst mitzuwirken. 

Kannst du dich noch an deine erste Abstimmung erinnern, wie war das für dich?

Philippe: Dadurch, dass wir im Schülermagazin zu jedem Abstimmungsthema einen Artikel mit Pro- und Contra Argumenten schrieben, wusste ich oftmals mehr als meine volljährigen Mitmenschen. Ist das nicht ironisch? Wusste mehr, aber konnte dennoch nicht abstimmen.

Roman, du konntest bereits mit 16 Jahren zu kantonalen Vorlagen abstimmen. Hast du diese Möglichkeit wahrgenommen?

Roman: Ja, ich habe diese Möglichkeit wahrgenommen und bin mit 16 Jahren zusammen mit Freunden an die Landesgemeinde. Ich bin aber der Meinung, dass man die Situation im Kanton Glarus mit der Landesgemeinde nicht mit dem Rest der Schweiz vergleichen kann, da nur wenige Kantone in ähnlicher Form wie der Kanton Glarus abstimmen. 

Info Box

Vor 14 Jahren senkten die Stimmbürger das Stimmrechtsalter für kantonale Vorlagen von 16 auf 18 Jahre. Seither können auch 16 Jährige an der Landsgemeinde mitbestimmen.

Also durchaus auch positive Eindrücke vom Stimmrechtsalter 16. Bist du dankbar, dass du bereits mit 16 Jahren abstimmen und wählen konntest?

Roman: Einerseits leben wir im Kanton Glarus gut mit dem Stimmrechtsalter 16. Andererseits stelle ich fest, dass nicht merklich mehr 16-18-Jährige sich in einer Jungpartei engagieren. 

Im Easyvote Politikmonotor bezeichnen sich knapp 50% der Schüler zwischen 15 und 25 Jahren als politisch interessiert. Ein Zeichen für das Stimmrechtsalter 16?

Roman: Politisch interessiert sein und danach aktiv daran teilnehmen sind immer zwei verschiedene Paar Schuhe. Laut den Zahlen vom Dachverband der Schweizer Jugendparlamente ist die Stimmbeteiligung von den 18-25-Jährigen, die immer oder häufig abstimmen nur bei 25%. Ich bin überzeugt, dass das Stimmrechtsalter nichts an der Stimmbeteiligung ändern wird. Das ist nachvollziehbar, da Jugendliche in diesem Alter oft anderen Beschäftigungen nachgehen als der Politik. Ich finde es auch verständlich, dass man sich mit zunehmendem Alter und Erfahrung mehr an der Politik beteiligt und lernt kritisch zu hinterfragen. Sich in einer Partei zu engagieren und nicht nur zu demonstrieren, sondern auch Vernehmlassungen zu einem Thema zu schreiben ist nicht für jeden so sexy. 

Philippe, wie siehst du das Interesse bei jungen Leuten an der Politik?

Philippe: Ich habe das Gefühl, dass das Interesse vorhanden ist. Beispielsweise war der Klimastreik sehr mobilisierend für junge Leute. Für Stimmrechtsalter 16 finde ich es nicht entscheidend, wie sehr sich die Jungen für Politik interessieren, weil die Frage 55-Jährigen auch nicht gestellt wird. Vielmehr sehe ich das Stimmrecht 16 als Chance, um junge Leute für Politik zu begeistern. 

Jugendliche unter 18 Jahren können sich schon heute in Jugendparlamenten und Jungparteien engagieren

Roman

Roman: Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Jugendliche unter 18 Jahren sich heute schon in Jugendparlamenten und Jungparteien engagieren können. Es braucht daher eher mehr Werbung an Schulen, die auf solche Angebote aufmerksam machen. 

Wählen und Abstimmen ist kompliziert! Jeder vierte der 15-25-Jährigen sieht das so. Wird Politik an der Schule zu wenig thematisiert?

Philippe: Ich glaube, dass es zu theoretisch ist. Schülerinnen und Schüler können oftmals noch gar nicht abstimmen, wenn im Unterricht die Schweizer Politik behandelt wird. Man setzt nur theoretisch ein Hacken auf dem Stimmcouvert und nur theoretisch stimmt man über etwas ab. Es liegt auf der Hand, dass der Unterricht durch die fehlende Praxismöglichkeit nicht gleich spannend ist. Stimmrechtsalter 16 wäre auch hier eine Chance. Politik in der Schule finde ich sehr wichtig, denn wenn die Eltern nicht abstimmen, überträgt sich das meist auch auf die Kinder. Das Bespiele Österreich zeigt, dass durch das Stimmrechtsalter 16 auch Menschen in die Politik einbezogen werden, die das von Zuhause nicht mitbekommen haben. 

Roman: Bei diesem Punkt gebe ich dir, Philippe, total Recht. Man muss die Politik praktischer anschauen. Das Wahlcouvert im Schulzimmer auszufüllen, sehe ich aber als ziemlich problematisch an. 

Wie soll die Politik praktischer gestaltet werden?

Roman: Politik muss künftig noch mehr gefördert werden. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel ein zusätzliches Fach «Politik» oder Jungparteien Schulbühnen für Podiumsveranstaltungen zu bieten. Es liegt im Interesse von allen, dass die Schweiz auch in Zukunft eine Generation hat, die sich für ihr Land einsetzt. 

Die Nachwahlbefragung Selects zeigte, dass sich bei den Parlamentswahlen 2019, ähnlich wie in den Vorjahren, nur ein Drittel der 18- bis 14-Jährigen an den Wahlen beteiligte. Philippe, wieso siehst du trotzdem das Bedürfnis bei 16-17-Jährigen, wählen zu können?

Philippe: Für Politiker sind ältere Generationen wichtig für eine Wiederwahl. Aktuell stehen ältere Menschen im Fokus der Politik. Die jungen Stimmen und ihre Bedürfnisse werden stark in den Hintergrund gerückt. Deshalb befürworte ich das Stimmrechtsalter 16. 

Findest du das auch bedenklich, wenn junge Menschen wegen der alternden Bevölkerung in Zukunft an Einfluss bei Abstimmungen und Wahlen verlieren, Roman?

Roman: Nein, ich finde das nicht bedenklich, wobei es natürlich schon Themen gibt, bei denen es wichtig ist, dass die Jungen von rechts bis links gemeinsam für ihre Anliegen kämpfen. Politiker haben die Nachteile bei der Altersreform für die Jungen weniger im Blick, da Sie ihre meist ältere Wählerschaft nicht vergraulen wollen. Auf diesen Aspekt hat das Stimmrechtsalter aber zu wenig Einfluss. Wir müssen vielmehr ältere Leute überzeugen, auch für die jüngeren Politik zu machen.  Damit können wir Abstimmungen für unsere Generation gewinnen. 

Ist die Lösung vielleicht bei einer Altersgrenze, bei der man ab 80 Jahren nicht mehr wählen und abstimmen darf?

Roman: Nein, ich glaube das ist auch keine Lösung. Wenn eine ältere Person nicht mehr urteilsfähig ist, gibt es heute bereits die Abstimmungshilfe. Ältere Menschen auszuschliessen ist daher definitiv der falsche Weg. 

Philippe: Das sehe ich genauso. Die Urteilsfähigkeit einer Person ist aber ein gutes Stichwort. Aus meiner Sicht soll jede Person, die begründet eine Abstimmugsvorlage beurteilen kann, auch mitbestimmen dürfen. Der Entwicklungsprofessor Moritz Daum kommt zum Schluss, dass das rationale Denken mit 16 Jahren bereits vollkommen abgeschlossen ist. Das emotionale Denken ist hingegen bis 25 Jahren noch nicht fertig abgeschlossen. Provokant gesagt, müsste man das Stimmrechtsalter entweder auf 16- oder auf 25- Jahren ändern, alles andere ist nicht konsequent. 

Das rationale Denken ist mit 16 Jahren bereits vollkommen abgeschlossen

Philippe

Roman: Es kann doch nicht sein, dass minderjährige Personen über alle Pflichten, wie zum Beispiel Militärdienst oder das Bezahlen von Steuern abstimmen können. Es kann nicht sein, dass junge Leute darüber entscheiden können, wie hoch die Steuern sind, ohne selbst welche zahlen zu müssen. 

Philippe, wie soll eine Person über Steuern entscheiden, ohne je eine solche entrichtet zu haben?

Philippe: Das stimmt so nicht. Die ersten Steuern bezahlt man in der Regel für das 17. Lebensjahr. Wenn man etwas kauft, bezahlt man zudem Mehrwertsteuern. Daher verstehe ich nicht ganz, was dieses Argument für einen Zusammenhang mit dem Recht auf Wählen und Abstimmen hat. 

Roman: Ich habe das vorhin vielleicht etwas ungenau formuliert, da man mit 18 Jahren bereits Steuern für das 17. Lebensjahr bezahlt. Die Pflicht beginnt aber erst mit 18 Jahren und in der Lehre kommt man beispielsweise oft noch nicht auf ein Einkommen, auf das man Steuern zahlen muss. 

Es gibt auch viele ältere Personen, die über Themen abstimmen, wo sie gar keine Ahnung haben. Wieso scheint das bei Jungen ein viel grösseres Problem zu sein?

Roman: Man hat eine geringere Lebenserfahrung und lernt vor allem viel durch den Beruf. Vor 18 weiss man noch nicht über alles Bescheid und muss sich eher in ein Thema einlesen, als wenn man dank eines Berufs schon selbst mit diversen politischen Bereichen Kontakt gehabt hat. 

Philippe: Für Abstimmungen ist es völlig ausreichend zu wissen, um welches Thema es bei der Abstimmung geht. Wenn ich mich an einem Donnerstagabend gemütlich eine halbe Stunde über das Thema informiere, dann weiss ich genug, um eine informierte Entscheidung zu treffen.

Roman, gibt es Aspekte, die das Stimmrechtsalter 16 doch verbessern würde?

Roman: Das Argument von Philippe über die Demographie finde ich durchaus berechtigt. Trotz dem geringen Effekt des Stimmrechtsalter 16, wäre es ein kleines Gegengewicht zur Überalterung der Bevölkerung. Bei einer Rentenreform wären dann mehr junge Leute betroffen, die Abstimmen gehen könnten. 

Philippe, gibt es Aspekte, die das Stimmrechtsalter 16 doch verschlechtern würde?

Philippe: Hmm, wahrscheinlich würde es mehr negative oder doofe Kommentare gegenüber Jugendlichen geben. Im Sinne von: «Ach, bei dieser Abstimmung haben die 16-Jährigen sicher falsch abgestimmt.» Ich hoffe, wir können das nach der Einführung des Stimmrechtalter 16 noch einmal besprechen. Dann kannst du mir die Argumente zeigen, bei denen ich blind dafür gewesen sein soll.

Roman: Ja, ich lade euch sehr gerne auf eine Landesgemeinde in Glarus ein, um das einmal mitzuerleben. 

Vielen Dank für eure Teilnahme an der Diskussion. 

Geschrieben von:

1 Comment

  1. In Österreich gibt es das Stimmalter ab 16.
    Auf die Wahlausgänge hatte das allerdings bisher nicht so viel Einfluss.
    Es werden bestimmt auch nicht alle 16 Jährigen abstimmen gehen. Gut finde ich aber den Ansatz von beiden, das Politik mehr an der Schule thematisiert werden muss!!!

Was ist deine Meinung? Schreib einen Kommentar!