Wenn ich auf Instagram nach #vanlife suche, finde ich mehr als 2 Millionen Beiträge und somit das perfekte Aussteigerleben. Losfahren – ungezwungen und unbeschwert. Die Busse, Vans oder ganz schön Deutsch «Bullis» sind Küche, Wohn- und Schlafzimmer in einem. Ob mit dem weltberühmten T1 VW aus den 60ern oder einem modern umgebauten Laster, im Laufe des gegenwärtigen Nomaden Trends, wurde bereits alles in ein schickes mobiles zu Hause umgebaut. Aber was finden wir und fanden unsere Eltern bereits so toll daran? Und ist es tatsächlich so befreiend, wie es tausend Social Media Kanäle proklamieren?
Aussteiger oder doch nur Marktlücke
Als Vater der zweiten Van Generation gilt Foster Huntington, der eines Tages der Modebranche den Rücken kehrte und 2011 mit einem alten VW-Bus durch Amerika reist. Mit regelmässigen Posts bereicherte er die damals noch junge Fotoplattform Instagram und verhalf dem altbekannten Bus Leben zum weltweiten Internetphänomen.
Instagram legt über die meisten Alltäglichkeiten einen goldbraunen Filter, lässt das Gesicht hübsch und jung aussehen und vermittelt damit den Schein des perfekten Aussteiger Lebens. Dass hinter vielen Van Life Profilen diverse Marken, Verträge und Korporationen stecken, wissen die meisten Follower nicht. Mit jedem Like, jedem Herzaugenkommentar sehnen sie sich stärker nach dem eigenen Abenteuer und klicken sich Minuten später auf Ebay durch diverse Bulli-Kleinanzeigen. Doch wie so oft trügt der Schein und auch die makellose Fassade eines T1 VW-Busses, zeigt bei näherem Betrachten einige Kratzer auf.
Wie ist das Van Life?
Vor gut einer Woche starteten wir zu zweit von Berlin aus Richtung Ostsee. Gespannt, voller Vorfreude hüpften wir in den roten T3 Bulli mit dem stolzen Jahrgang 1989 und starteten in ein kleines Strassenabenteuer. Mit gutem Gewissen trotzten wir, beide Junglenker, dem hektischen Verkehr der Berliner Innenstadt, strichen uns die Stresstropfen von der Stirn und schlängelten uns ohne jegliche Komplikationen aus der deutschen Metropole. Einmal rechts rausfahren, einkaufen, wieder losdüsen und kurze Zeit später realisieren, dass sich der eben eingekaufte Inhalt des eingebauten Kühlschrankes auf dem Linoleumboden des Busses verteilt hatte. Abends gab es dann Rührei, da diese den Flug durch den Bus nicht unbeschwert überstanden hatten.
Vom Bett machen und morgendlichem Kaffee
Das geräumige Innenleben des kleinen Busses kam uns zu Gute. Wir hatten die Möglichkeit im «Dach» oben zu schlafen, entschieden uns angesichts der täglichen Anstrengung uns nach oben zu ziehen für das ausklappbare Sofa. Das Gepäck stopften wir in den eingebauten Stauraum und mit gemietetem Bettzeug hatten wir bald das perfekte Schlafgemach auf Rädern. Würde man vom Hartschalenkoffer absehen, den meine Begleitung als Gepäck mitgebracht hatte, wäre das abendliche Einrichten des Bettes weniger aufwendig gewesen. (Tipp: Ein Rucksack mit allen nötigen Kleidungstücken reicht bei Weitem aus.)
Auf Hygiene- und Platzsuche
Ja, ja, seit doch nicht so wählerisch. Aber als Frau, insbesondere während der monatlichen Blutung, kann Hygiene hier und da zu einer weiteren Problemzone im Busleben werden. Wir entschieden uns deshalb jede zweite Nacht auf einem Campingplatz mit Sanitäranlagen zu verbringen. Um den eigentlichen Sinn eines fahrenden Daheims nicht ganz zu vergessen, suchten wir für die anderen Nächte einen passenden Stellplatz. Oftmals wurde auch dort eine Gebühr erhoben, wer sich diese ersparen möchte, kann auch auf Privatgrundstücken nachfragen, ob man eine Nacht auf deren Platz verbringen darf. Das Leben im Bus ist meines Erachtens stark vom Reiseland, den zu beachtenden Regeln, den Menschen und dem endliche gefundenen Stellplatz abhängig. Wir erlebten auf unserer kurzen Reise hinauf zur Ostsee, und über Rügen wieder zurück Berlin, grosse Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Diese beiden Faktoren sind definitiv ausschlaggebend für bleibende Erinnerungen und schieben die Schattenseiten des Bullilebens fast komplett beiseite.
Höhen und Tiefen auf den Strassen Deutschlands
Wir sind keine Vielfahrer. Wir sind auch keine Raser. Und wir denken ganz schön viel beim Schalter, Steuern, Tanken. Keine besonders guten Verhältnisse einen Bus zu mieten und mit diesem rund 1300 Kilometer innerhalb einer Woche zu fahren. Doch die Bedenken sind nicht ganz unbegründet. Der Wechsel vom ersten in den zweiten Gang soll gelernt, sowie das Retourmanövrieren und anfahren. Mehrmales Motorversagen, ruckeliges Anfahren und heftige Gangwechsel gehörten zum Alltag. Hinzu kam der konstante Gedanke an einen Motorschaden oder der gleichen, welches uns täglich im Nacken sass und die Stresshormone am laufen hielt. Als am Ende der Fahrt, auf einmal die Öllampe rot aufblinkte, fassten wir uns an die Köpfe und verfluchten das alte Gefährt. Stellte sich heraus, dass das Leuchten so normal sei, wie die Sonne die tagsüber scheint.
Nicht zu vergessen ist die Klimaanlage, die durch das Runterkurbeln der Fenster eingeschalten wird und der regelmässige Gasduft, der uns um die Nase schwirrte. Ach ja, und die Mücken sind nicht zu vergessen und das Kopf anstossen – und das Geschirr, das bei jeder Kurve klirrte – und alle Knöpfe, die nach und nach ihre Knopfkraft verloren hatten.
Ich verstehe den Hype, auch ohne rosarote Brille
Es ist schon ganz cool, in so einem VW-Bus durch ein Land zu reisen. Andere Busfahrer winken einem zu und die Menschen drehen die Köpfe, wenn wir durch ein Dorf ruckeln. Ganz so rosig darf man es aber auch nicht sehen. Hygiene, na ja. Platzverhältnisse, na ja. Möglichkeit für Zankereien, oh ja. Routine, ja und nein. Jeder Tag unterschied sich – trotz der langsam eingependelten Routine – vom anderen. Trotzdem verstehe ich den Hype, der die Möglichkeit zum Ausstieg bietet. Und im schnelllebigen Zeitalter der sozialen Medien und der täglichen Abrufbarkeit, wird dieser Hype – trotz Kommerz – so schnell auch nicht verschwinden.
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Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.