Über einen Monat ist es her, als der Bundesrat Massnahmen in Kraft gesetzt hat, um dem Coronavirus den Garaus zu machen. Mit Erfolg: Die Fallzahlen der Corona-Infizierten sinken tagtäglich, ein Licht am Ende des Tunnels ist in Sicht. Um die Zahlen weiter in Schach halten zu können, greifen die Behörden nun zu neuen Methoden: Eine Tracing-App soll es möglich machen, Ansteckungsketten zurückzuverfolgen. Doch so schnell die Idee gekommen war – so schnell hagelte es auch an Kritik, am «wachenden Auge».
Um der Bevölkerung den Weg zur Normalität zu ebnen, werden jetzt auf neue, technologische Varianten gesetzt. Am 11. Mai soll die Tracing-App «DP-3T» auf dem Mark erscheinen, entwickelt von der ETH Zürich und der EPFL Lausanne. Die Smartphone-App kann von den Benutzenden einfach auf dem eigenen Gerät installiert werden und verfolgt so zurück, mit welchen anderen Personen in Kontakt getreten wurde. Sollten Benutzende in Kontakt mit einer infizierten Person gekommen sein, alarmiert die App über eine mögliche Ansteckung. Auf den ersten Blick kann die App als wichtigen Wegbereiter zurück zur Normalität nach COVID-19 gesehen werden. Aber der zweite Blick lässt so manche Fragen offen, wie beispielsweise: Was ist mit dem Datenschutz? Birgt die Corona-Pandemie eine Möglichkeit, den Weg zum Überwachungsstaat zu ebnen? Den Zeigefinger erhebt nun auch die staatspolitische Kommission des Nationalrats, kurz SPK, und verweist darauf, dass es eine gesetzliche Grundlage bei der Verwendung der Daten brauche, bevor die App eingeführt werden kann.
Wie soll die Tracing App funktionieren?
Die Registrierung, welche Person mit wie vielen anderen in Kontakt war, Mutmassungen nach Daten, wer sich mit dem Coronavirus angesteckt hat, die Meldung darüber, wer am besten zu Hause bleiben sollte und für wie lange – all das hört sich nach fortgeschrittener Überwachung an. Ist es theoretisch auch. Aber der Republik zufolge soll bei einer «Proximitiy-Tracing-App» auch die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger geschützt werden, denn die Nutzerdaten sollen nicht auf zentralen Servern gespeichert werden. Um das zu garantieren, ist ein komplexes, technisches Unterfangen der App erforderlich.
Nutzer der Applikation geben selbst an, ob sie mit COVID-19 infiziert wurden. «Die App A schickt den geheimen Schlüssel, mit welchem sie zuvor alle Prüfsummen generiert hat, an einen zentralen Server. Das ist bezüglich Datenschutz unproblematisch, denn der Schlüssel ist nur eine zufällige Zeichenkette und lässt keinen Rückschluss auf die infizierte Person zu», berichtet die Republik. Durch den Austausch über Bluetooth kommunizieren die Geräte der jeweiligen Personen untereinander und tauschen die Informationen aus. So werden die Nutzer alarmiert, sollte es sich beim gehaltenen Kontakt um einen Corona-Infizierten handeln.
Ein massiver Eingriff in die Grundrechte
Die Idee einer Tracing App wird international behandelt. Die deutsche Bundesregierung befürwortet die Einführung eines solchen Nachverfolgungsmittels, aber im Nachbarland werden die kritischen Stimmen ebenfalls lauter. N-TV berichtet, dass mit einer angehenden Lockerung des Datenschutzrechts und der Einführung der App gleichzeitig noch mehr in die Grundrechte eingegriffen werden würde, so beispielsweise in die allgemeine Handlungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Personenfreizügigkeit, sowie die Berufsfreiheit. Die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung äussert sich gegenüber dem Spiegel folgendermassen dazu: «Ich denke, wir müssen für Pandemiefälle Datenschutzregeln befristet lockern. Letztlich steht der Datenschutz in Konkurrenz zu Grundrechten, die uns im Moment genommen sind. Alles können wir nicht haben, bis die Pandemie vorüber ist.»
«Ich denke, wir müssen für Pandemiefälle Datenschutzregeln befristet lockern. Letztlich steht der Datenschutz in Konkurrenz zu Grundrechten, die uns im Moment genommen sind. Alles können wir nicht haben, bis die Pandemie vorüber ist.»
Melanie Brinkmann, Virologin
Die Frage ist aber, trotz anhaltender Corona-Krise: Will sich die Bevölkerung wirklich in seine Grundrechte eingreifen lassen, gleichgültig ob in der Schweiz oder anderswo? Sollte es darüber nicht wenigstens eine Volksabstimmung geben?
Kann die Demokratie noch weiter ausgehebelt werden?
Ob die Abänderung des Datenschutzrechts einen Eingriff in die Bundesverfassung darstellt, ist unklar. Klar ist aber, dass eine Pflicht der App nicht eingeführt werden kann, da dazu ein notwendiger, konkreter Gesetzesartikel in der Bundesverfassung fehlt. Bevor also, wie der Tagesanzeiger meldet, eine «Corona-App» für die gesamte Bevölkerung verpflichtend wird, sollte es darüber eine demokratische Volksabstimmung geben. Trotz der momentan geltenden Vollmacht des Bundesrats, hat die Bevölkerung das Recht auf Mitbestimmung, gerade wenn es um Themen geht, die Konsequenzen weit über die Corona-Krise hinaus haben. Die direkte Demokratie und die daraus entstehende Freiheit des Volkes macht die Schweiz schliesslich so einzigartig.
Die Verantwortung liegt beim Bundesrat
Eine Tracing-App ist also nicht in ihrem Grundsatz abzulehnen. Sie würde dem BAG eine Hilfe darbieten, die Infektionsketten nachzuverfolgen. Die Pandemie könnte dadurch umso schneller in die Enge getrieben werden. Nur ist hier von einem Schnellschuss gewarnt, der möglicherweise Auswirkungen auf den Datenschutz und die allgemeine Freiheit der Bevölkerung haben wird. Die Gesetzeslage muss vom Bundesrat genaustens überprüft werden, bevor erste Schritt in eine Überwachung der Daten getätigt werden.
Die Reihe «Tize klärt auf»: Jeden letzten Montag im Monat erscheint auf Tize ein neuer Bericht über brandaktuelle, häufig diskutierte und spektakuläre Themen in allen möglichen Bereichen, dargestellt mit Analysen, Aufzeichnungen oder Interviews – von der jungen, für die junge Generation.
Hier geht’s zur ganzen Reihe: Tize klärt auf