Ich hatte die grosse Ehre, beim Clubabend zum Thema «Vier Jahre Trump – ein politischer Ausblick» des Vereins «Club Applied History» dabei zu sein. Die ReferentInnen des Abends waren Prof. Dr. Claudia Brühwiler der Universität St. Gallen (HSG) und Prof. Dr. Christian Lammert der J.F.Kennedy-Institut, Freie Universität Berlin. Meine wichtigsten Erkenntnisse des Abends.
Nach der Amtseinführung von Donald Trump steht die Welt vor der Frage: Werden sich die USA aus ihrer globalen Führungsrolle zurückziehen? Während erste Dekrete bereits einen radikalen Kurswechsel andeuten, zeichnen sich drei mögliche Szenarien für die künftige US-Aussenpolitik ab.
Mit der Amtseinführung Donald Trumps am 20. Januar 2025 wird eine neue Phase der amerikanischen Politik beginnen. Die ersten Amtshandlungen zeigen bereits die Richtung an: massive Deregulierung, strikte Migrationspolitik und eine Neuausrichtung der internationalen Beziehungen. Die neue Administration hat vom ersten Tag an damit begonnen, die Politik der Biden-Jahre systematisch rückgängig zu machen. Mit etwa hundert vorbereiteten Executive Orders signalisiert Trump einen noch radikaleren Kurswechsel als in seiner ersten Amtszeit. Doch was bedeutet dies für den Rest der Welt, insbesondere für die Schweiz?
Comeback für den Isolationismus?
Die gegenwärtige geopolitische Transformation markiert möglicherweise das Ende einer Ära, die als «Pax Americana» in die Geschichte eingegangen ist. ExpertInnen der internationalen Beziehungen prognostizieren drei potenzielle Entwicklungspfade für die amerikanische Aussenpolitik, unter denen sich vor allem der «isolationistische Kurs» zunehmende Medienpräsenz verschafft. Der Kern dieser Prognose lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die USA als «leader of the free world» würde sich verabschieden und die «Pax Americana» sich in Luft auflösen.
Die «Pax Americana», die die internationale Ordnung seit 1945 prägte, basierte auf einem komplexen System multilateraler Institutionen und Allianzen. Nach den verheerenden Erfahrungen zweier Weltkriege etablierten die Vereinigten Staaten eine neue Weltordnung, die militärische Hegemonie mit demokratischen Grundwerten verband. Diese manifestierte sich in der Gründung wegweisender Institutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und den Vereinten Nationen. Ein besonderes Merkmal dieser Ära war die erfolgreiche Integration der ehemaligen Achsenmächte Deutschland und Japan in ein System friedlicher, wirtschaftsorientierter Staaten – ein historisch beispielloser Prozess der Transformation ehemaliger Gegner in stabile demokratische Partner.
Die amerikanische Hegemonie zeichnete sich durch die Förderung wirtschaftlicher Interdependenz und offener Märkte aus, was zu einer friedlichen Phase globalen Wohlstandswachstums führte. Selbst die damaligen europäischen Grossmächte wie Frankreich und Grossbritannien ordneten ihre geopolitischen Ambitionen dieser neuen Weltordnung unter. Trotz kritischer Episoden wie dem Vietnam- und Irakkrieg gewährleistete diese Ordnung eine relative globale Stabilität, wie es sie noch nie gegeben hatte.
Die jüngsten personellen Entwicklungen in der amerikanischen Administration, insbesondere die Ernennung Rick Grenells zum Nationalen Sicherheitsberater und Stephen Millers zum stellvertretenden Stabschef des Weissen Hauses, deuten auf eine fundamentale aussenpolitische Neuausrichtung hin. Besonders Miller ist bekannt für seine stark isolationistische und einwanderungsfeindliche Haltung, die er bereits in Trumps erster Amtszeit als Architekt der restriktiven Einwanderungspolitik demonstrierte. Politische Ankündigungen wie die «grösste Deportationsoperation» der amerikanischen Geschichte, die geplante Schliessung der Südgrenze zu Mexiko und Änderungen im Staatsbürgerschaftsrecht verstärken den Eindruck der Rückkehr des Isolationismus. Allerdings erscheint eine vollständige Isolation der USA als höchst unrealistisch. Die amerikanische Wirtschaft ist fundamental von der Arbeitskraft der Migranten abhängig – eine Tatsache, die sich besonders in Krisensituationen zeigt. Der Wiederaufbau von Los Angeles nach den verheerenden Waldbränden wäre beispielsweise ohne migrantische Arbeitskräfte kaum zu bewältigen. ExpertInnen gehen davon aus, dass sich Trumps angekündigte «grösste Deportationsoperation» der amerikanischen Geschichte hauptsächlich auf straffällig gewordene Migranten konzentrieren wird, statt auf die breite Masse der geschätzten elf Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus.
Diese selektive Umsetzung der Migrationspolitik spiegelt die komplexe Realität wider: Trotz rhetorischer Härte Trumps wird die praktische Politik durch wirtschaftliche Notwendigkeiten begrenzt. Die sich abzeichnende isolationistische Wende könnte zwar das Ende der liberalen internationalen Ordnung einläuten, wird aber durch ökonomische Interdependenzen und praktische Zwänge in ihrer Umsetzung deutlich eingeschränkt bleiben.
Trump vs. Xi Ping?
Das zweite Entwicklungsszenario der amerikanischen Aussenpolitik zeichnet sich durch eine strategische Neuorientierung mit deutlichem Fokus auf die asiatisch-pazifische Region ab, wobei der Technologiekonflikt mit China exemplarisch an der TikTok-Kontroverse erkennbar wird.
Die jüngsten Entwicklungen um die Video-Plattform TikTok illustrieren paradigmatisch die Verzwicktheit dieser Auseinandersetzung. Nach dem vom US-Kongress 2024 erlassenen Gesetz gegen soziale Netzwerke unter der Kontrolle «feindlicher» ausländischer Mächte steht der chinesische Eigentümer ByteDance unter erheblichem Druck. Die temporäre Selbstabschaltung der Plattform am 19.01.2025, die 170 Millionen amerikanische Nutzerinnen und Nutzer betraf, verdeutlichte die weitreichenden Implikationen dieser verschärften technologiepolitischen Positionierung.
Besonders aufschlussreich ist in diesem Kontext die potenzielle Rolle des Tech-Milliardärs Elon Musk, der als möglicher Käufer der Plattform gehandelt wird. Seine Ernennung zum Leiter des neu geschaffenen «Department of Government Efficiency» (DOGE) gemeinsam mit Vivek Ramaswamy könnte eine fundamentale Neuausrichtung der amerikanischen Technologiepolitik gegenüber China signalisieren. Die Besetzung dieser neuerfundenen Schlüsselposition mit ausgewiesenen China-Kritikern deutet auf eine strategische Verzahnung von technologischer Innovation und nationaler Sicherheit hin.
Die TikTok-Problematik steht dabei symbolhaft für einen breiteren geopolitischen Ansatz: Die USA streben eine systematische wirtschaftliche und technologische Entkopplung von China an, verbunden mit massiven Investitionen in die eigene Innovationskraft. Diese Politik manifestiert sich in verschärften Exportkontrollen für Halbleiter und KI-Technologien sowie in der gezielten Förderung amerikanischer Technologieentwicklung. Durch die tiefgreifenden wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen beiden Nationen und dem TikTok-Chaos wird jedoch fraglich, inwiefern Trump und seine China-Falken tatsächlich gewillt sein werden, die ökonomischen Kosten dieser Politik in Kauf zu nehmen.
Grosse Klappe, nichts dahinter?
Das dritte Szenario geht von einer pragmatischen Kontinuität aus: Trotz drastischer Rhetorik bleiben die grundlegenden Strukturen amerikanischer Aussenpolitik weitgehend bestehen. Ähnlich wie in Trumps erster Amtszeit könnte die Realität weniger disruptiv ausfallen als die Ankündigungen vermuten lassen. Historische Erfahrungen zeigen, dass oft eine Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und tatsächlicher aussenpolitischer Praxis existiert. Obwohl Trump mit seinen vielzähligen und drastischen Vorsätzen, scheinbar viel vor hat: «eine kohärente Trump- Strategie gibt es nicht und kann es nicht geben bei einem Präsidenten, der grösste Freude daran hat, mit Kontinuitäten zu brechen und genau das Gegenteil dessen zu tun, was altgediente Politikprofis und Experten ihm dringend empfehlen.», wie es Ulrich Speck für die NZZ treffend ausdrückt.
Trump hat zwar keine durchschaubare Strategie, macht dieses Szenario jedoch nicht unbedingt wahrscheinlicher. Denn mit Trump 2.0 haben wir eine neue, erfahrenere Version vor uns. Trump konnte die etablierte Ordnung während seiner ersten Amtszeit nicht grundlegend verändern, was vor allem seiner Unerfahrenheit in der Politik zuzuschreiben sein könnte. Er verfügte kaum über ein Netzwerk in Washington, und seine Administration bestand grösstenteils aus traditionellen Republikanern sowie Karrierebürokraten, die bemüht waren, seine radikalsten Impulse zu zügeln.
Mittlerweile ist er jedoch besser vorbereitet und von loyalen Unterstützern umgeben, die bereit sind, seinen Anweisungen uneingeschränkt zu folgen. Dies könnte dazu führen, dass die Vereinigten Staaten zu einer revisionistischen Macht werden. Trump hinterfragt grundlegende Prinzipien der bisherigen internationalen Ordnung, darunter freien Handel, multilaterale Allianzen und den Multilateralismus als Ganzes. Die demokratischen und humanen Werte, auf die die USA einst gründete, scheinen zu schwinden. Während Russland und China lange als die Hauptakteure galten, die mit militärischen Mitteln und wirtschaftlichen Einflusszonen die liberale Weltordnung zu untergraben suchten, übernimmt Trump nun diese Rolle. Nach seiner Wahl bemerkte Putin nicht umsonst begeistert: „Vor unseren Augen entsteht eine völlig neue Weltordnung.“
Ausblick
Die kommenden Tage und Monate werden zeigen, inwieweit die von Trump angekündigten Massnahmen tatsächlich umgesetzt werden können. Die radikalen Personalentscheidungen und ersten Amtshandlungen deuten auf einen fundamentalen Bruch mit bisherigen Konstanten hin. Ob sich daraus ein dauerhafter isolationistischer Kurs entwickelt oder ob die USA unter Trump eine selektive Grossmachtpolitik mit Fokus auf die Eindämmung Chinas verfolgen werden, bleibt abzuwarten. Dabei sind mehrere Faktoren entscheidend: Erstens, die rechtliche Durchsetzbarkeit der Executive Orders. Zweitens, die Reaktion des Kongresses und der Justiz. Nicht zuletzt brauchen viele der von Trump ernennten Minister immer noch die Zustimmung des Kongresses. Natürlich werden die Internationalen Reaktionen und deren Rückwirkung auf die US-Politik, Trump nicht ungehemmt in seinem Vorhaben vorschreiten lassen. Schliesslich werden durch das sich allbewährende ‚Actio-und-Reactio-Gesetz‘ die Entwicklung globaler Krisen und Konflikte sowie Regierungswahlen die USA und deren Rolle in der Geopolitik natürlich ebenfalls beeinflussen. Für Europa und die internationale Gemeinschaft bedeutet dies eine Phase erhöhter Unsicherheit, die neue strategische Antworten erfordert. Der Fokus der europäischen Politik sollte offensichtlich auf einer kooperativen, zukunftsorientierten Strategie liegen, die die USA als verlässliche Alliierte auf jeden Fall ausschliesst. Denn mit Trump als Leader der einstigen westlichen Beschützerin, scheint Ordnung, Vertrauen und Kooperation, definitiv massiv in die Brüche zu gehen. Es wird Zeit, dass Europa sich eingesteht, dass leider schwierige, einsame Zeiten bevorstehen könnten.
Referenzen/Weiterführende Informationen
- Podcast: BBC News «Americast». Episode: Americanswers… on 5 Live! What President Trump will do on Day 1, https://open.spotify.com/episode/0BW5Ikv6ElSUGSjQYGblAp?si=961eb02daa714de9, heruntergeladen am: 15.01.2025.
- Podcast: Süddeutsche Zeitung “Auf den Punkt: Die US-Wahl». Episode: Trumps Aussenpolitik: Was er vorhat – und mit wem, https://open.spotify.com/episode/4WFci5nUjTILG1LJoZunW2?si=c1e5aa14ca144d77, heruntergeladen am: 15.01.2025.
- Video: The Chris Cuomo Project: lan Bremmer on Trump’s Second Term and America’s Future, https://www.youtube.com/watch?v=3ekNCMpNyJc, heruntergeladen am: 16.01.2025.
- Triebe/Müller: Chaos mit Tiktok in den USA: Zuerst war die Plattform offline, nun ist sie wieder zurück – wegen eines Versprechens von Donald Trump, in: NZZ, https://www.nzz.ch/wirtschaft/tiktok-verbot-die-video-app-ist-in-den-usa-abgeschaltet-ld.1866921, heruntergeladen am: 19.01.2025.
- Münger/Kilian: Trump stellt die Welt auf den Kopf und schreibt die Geschichte um, in: Tagesanzeiger, https://www.tagesanzeiger.ch/usa-podcast-trump-stellt-die-geschichte-auf-den-kopf-148453740503, heruntergeladen am: 16.01.2025.
- Mijuk: It’s the end of the world as we know it: Mit Trumps zweiter Präsidentschaft beginnt ein neues Zeitalter, in: NZZ, https://www.nzz.ch/international/its-the-end-of-the-world-as-we-know-it-mit-trumps-zweiter-praesidentschaft-beginnt-ein-neues-zeitalter-ld.1866349, heruntergeladen am: 19.01.2025.
- Speck: Isolationismus, «China zuerst» oder Durchwurschteln? Drei Szenarien einer Trump-Weltpolitik, in: NZZ, https://www.nzz.ch/pro/isolationismus-china-zuerst-oder- durchwurschteln-drei-szenarien-einer-trump-weltpolitik-Id. 1815038, heruntergeladen am 15.01.2025.
- Popoli: What Trump Says He Will Do on Day One, In: Time, https://time.com/7206595/donald-trump-day-one-promises-pardons-border-executive-order/, heruntergeladen am: 15.01.2025.
- NZZ-Redaktion: Die USA nach den Wahlen: Fox-News-Moderator Pete Hegseth stellt sich den Fragen des Senats-Trump will ihn zum Verteidigungsminister machen, in: NZZ, https://www.nzz.ch/international/die-usa-nach-den-wahlen-die-neusten-entwicklungen-ld.1856621#subtitle- wie-geht-es-bis-zur-amts-bergabe-weiter-first, heruntergeladen am: 15.01.2025.