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Österreich wurde im Mai letzten Jahres in die grösste Regierungskrise seit dem 2. Weltkrieg gestürzt. Tausende Menschen gingen in Wien auf die Strasse, innerhalb von wenigen Stunden wurde praktisch das ganze Land lahmgelegt. Auslöser dafür: Ein Skandal-Video des ehemaligen Vizekanzlers Hein-Christian Strache und des früheren Klubobmanns der FPÖ Johann Gudenus aus einer Finca auf Ibiza. Ein Funke, der zu einem landesweiten Flächenbrand führte.

Korruption: Eine Sache, die man von der kleinen Alpenrepublik Österreich nicht erwarten würde. Doch genau deswegen erlebte das Land im letzten Jahr eine Regierungskrise, die bis in die europäische Union ihre Kreise zog. Das «Ibizavideo», unter anderem geleaked von den Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, zeigt ein Gespräch zwischen Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in einer Finca auf Ibiza. Unter Alkoholeinfluss boten die damals führenden Politiker der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) der Nichte eines russischen Oligarchen korrumpierte Geschäfte an und zogen zusätzlich über andere Parteien und österreichische Persönlichkeiten her. Mittlerweile ist klar: Die Russin war «fake», das Treffen mit den Politikern abgekartet.

Eine schon lange umstrittene Koalition

Um genauer verstehen zu können, weshalb das Ibiza-Video im letzten Jahr einen derartigen Skandal auslöste, muss ein Blick hinter das politische System im Nachbarland her. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz gewann 2017 mit seiner ÖVP «Österreichische Volkspartei» die Nationalratswahlen, im Dezember wurde er zum Kanzler ernannt und ging eine Koalition mit der FPÖ ein. Die enge Zusammenarbeit mit der Rechtsaussen-Partei, gerade mit Heinz-Christian Strache, wurde schon von Beginn an aus allen möglichen Fraktionen angezweifelt. Die FPÖ, die durch ihr Parteiprogramm an die AfD in Deutschland erinnert, war schon zu diesem Zeitpunkt bekannt für ihre «rechten Ausrutscher». Kontrast.at veröffentlichte eine ganze Sammlung von rassistischen und NS-verherrlichenden Aussagen und Aktionen von Parteimitgliedern der FPÖ ab Dezember 2017. Von den insgesamt 76 Fällen (letzte Aktualisierung im November 2019), sind hier drei Beispiele aufgelistet:

20.01.2018: Das Wunschkennzeichen eines FPÖ-Funktionärs «88» (Neonazi-Code für «Heil Hitler») sorgte für Wirbel. Später dementierte der Funktionär jegliche Sympathie oder Nähe zum Nationalsozialismus, denn die «88» stehe für den 8.8.2010, an dem er mit seiner Frau zusammengekommen sei. (Quelle: Kontrast, ORF)

30.04.2018: Ein Referent der FPÖ, Robert Kiesinger, veröffentlichte auf Facebook ein Bild eines NSDAP-Kalenders mit der Bildunterschrift «Ostern bedeutet Leben». (Quelle: Kontrast, FPÖ fails)

20.04.2019: Heinz-Christian Strache teilte einen Beitrag der «Zaronews» mit dem Kommentar: «Nein, ich lasse mich nicht mundtot machen!». Die «Zaronews» sind dafür bekannt, den Holocaust als «grösste Lüge» und Hitler als «Retter» darzustellen. (Quelle: Kontrast, Kurier)

Vom Partyurlaub zum Krimi

Letzterer wurde zusammen mit «Yoshi» (wie Strache den damals FPÖ-Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus auch betitelt) im Juli 2017 auf ein Sushi-Essen in einer Finca auf Ibiza geladen. Die ominösen Sponsoren der Privatparty: Die angebliche Nichte eines russischen Oligarchen, welche Johann Gudenus schon aus früheren Zeiten bekannt war, sowie ein Übersetzer. Eingeladen wurden die beiden Politiker unter dem Vorwand, die russische Nichte habe viel Geld und wolle in die FPÖ investieren. Im Hinblick auf Straches Vizekanzleramt, welches er im Dezember desselben Jahres annahm, eine lukrative Möglichkeit, der eigenen Partei einen Ruck nach oben zu verleihen. Straches und Gudenus Plan: Die Nichte solle die Kronenzeitung aufkaufen, ganz mit den Worten: «Journalisten sind doch so oder so alles Huren!», so Strache im «Ibizavideo». Die Krone ist die grösste und einflussreichste Boulevardzeitung des Landes.

«Journalisten sind doch so oder so alles Huren!»

Heinz-Christian Strache auf Ibiza, Juli 2017

Die Oligarchennichte zeigt sich begeistert. Doch der Partyurlaub wendet sich zwei Jahre später für «H.C. Strache» und «Yoshi» zum Krimi. Denn was die beiden nicht wissen: Versteckte Kameras in jeder Ecke der Finca filmen mit – und zwar alles, ganze sechs Stunden lang. In dieser Laufzeit erfährt der Zuschauer mehr als sogar den «H.C.Strache-Fans» lieb gewesen wäre. Das Angebot von korrumpierten Geschäften, in diesem Fall der Aufkauf der Kronenzeitung und der Zuspielung von öffentlichen Aufträgen für die Russin, gleichzeitig der versuchte Eingriff in die Pressefreiheit und das Herziehen über österreichische Politiker. Auch Sebastian Kurz wurde zum Opfer der Schimpftiraden und der höhnischen Sprüche.

Ein gefundenes Fressen

Auch wenn Strache während des Treffens Vermutungen anstellte, dass es sich bei allem um eine Falle hätte handeln können, bot er der Russin immer wieder den Aufkauf der Kronenzeitung an. Nach österreichischer Gesetzgebung eine korrupte Handlung und somit strafbar, wie Bastian Obermayer und Frederik Obermaier in ihrem Buch «Die Ibiza-Affäre» schildern. In diesem Buch erklären die beiden auch, weshalb es erst zwei Jahre später zur Veröffentlichung des Skandalvideos kam. Die sechs Stunden, von denen nur wenige Minuten an die Öffentlichkeit gingen, seien den Journalisten kurz vor der Europawahl zugespielt worden. Vor «Ibizagate» war auch Strache zur Wahl aufgestellt, ein gefundenes Fressen also.

«A bsoffene Gschicht»

Die kurzen fünf Minuten des eigentlich sechs stündigen Videos schlugen nach ihrer Veröffentlichung Wellen. Etliche Medien berichteten über das Enthüllungsvideo, tausende Österreicherinnen und Österreicher begaben sich auf die Strasse und demonstrierten gegen die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Der Song der Vengaboys «We`re going to Ibiza» aus dem Jahr 1999 war innerhalb von wenigen Tagen wieder auf dem ersten Platz der österreichischen Charts und hallte tagelang durch die Strassen Wiens, während die Demonstranten eine Auflösung der Regierung und Neuwahlen forderten. Zu diesen kam es dann auch. Trotz den Vorwürfen, Bundeskanzler Sebastian Kurz hätte zu lange «weggeschaut» und die «Ausrutscher» der FPÖ ignoriert, wurde dieser wiedergewählt. Die Koalition mit der FPÖ beendete er mit den Worten «Genug ist genug».

Strache selbst trat zurück und entschuldigte sich öffentlich für seinen Fehltritt. «Es war a bsoffene Gschicht», rechtfertigte er die korrupten Aussagen seinerseits. Es sei viel Alkohol geflossen und nichts davon sei wirklich ernst gemeint gewesen. Die Prahlerei um den Kauf der Kronenzeitung war reines «Matchogehabe», um die Russin zu beeindrucken. Auch Gudenus trat aus allen Ämtern zurück.

Offene Fragen bleiben

Wer die Initianten des Videos waren und die sechs Stunden Videomaterial den Journalisten geliefert hatten, ist heute klar: Wie die Neue.at berichtet, habe Straches Bodyguard über Jahre belastendes Material über ihn gesammelt. Im Schatten bleibt aber, welche Person wirklich hinter der angeblichen russischen Oligarchennichte steckt. Es kursieren sogar Gerüchte darüber, dass auch der Satiriker Jan Böhmermann seine Finger im Spiel hatte. Vor der Veröffentlichung machte Böhmermann Anspielungen auf das Video, so sagte er am Tage zuvor in seiner Sendung: «Morgen wird Österreich brennen.»


Die Reihe «Tize klärt auf»: Jeden letzten Montag im Monat erscheint auf Tize ein neuer Bericht über brandaktuelle, häufig diskutierte und spektakuläre Themen in allen möglichen Bereichen, dargestellt mit Analysen, Aufzeichnungen oder Interviews – von der jungen, für die junge Generation.

Hier geht’s zur ganzen Reihe: Tize klärt auf

Über einen Monat ist es her, als der Bundesrat Massnahmen in Kraft gesetzt hat, um dem Coronavirus den Garaus zu machen. Mit Erfolg: Die Fallzahlen der Corona-Infizierten sinken tagtäglich, ein Licht am Ende des Tunnels ist in Sicht. Um die Zahlen weiter in Schach halten zu können, greifen die Behörden nun zu neuen Methoden: Eine Tracing-App soll es möglich machen, Ansteckungsketten zurückzuverfolgen. Doch so schnell die Idee gekommen war – so schnell hagelte es auch an Kritik, am «wachenden Auge».

Jede fünfte Person ist Statistiken zufolge davon betroffen und dennoch hört man kaum davon: SPS (kurz für Sensory Processing Sensitivity) steht für eine erhöhte sensorische und emotionale Wahrnehmung in der Psyche eines Menschen. Auch der 21-jährige Elia Catena ist von diesem Phänomen betroffen und erklärt, was Hochsensibilität genau ist und wie ein junger Mann im 21. Jahrhundert damit umgeht. Hochsensibilität auf den Punkt gebracht – diesen Monat bei Tize klärt auf.

«Interessant ist, dass sehr viele Menschen hochsensibel sind, davon aber keine Ahnung haben.» Der in Solothurn lebende Elia Catena ist hochsensibel und geht offen damit um. Begeistert, von diesem psychologischen Phänomen erzählen zu können, erklärt er, was genau im Innern eines Hochsensiblen vor sich geht. Neurologen gehen davon aus, dass Menschen mit einer hochsensiblen Veranlagung eine erhöhte neurologische Aktivität im Bereich der Sinneswahrnehmung aufweisen, wie Elia erklärt. Er selbst arbeitete bis letzten Dezember in einer Institution für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, wo er auch seine Ausbildung abschloss. «Ich habe mich schon immer sehr für das Selbst des Menschen interessiert und habe damit begonnen, mich neben der Arbeit mit mir selbst auseinanderzusetzen, was wirklich bereichernd war.»

«Interessant ist, dass sehr viele Menschen hochsensibel sind, davon aber keine Ahnung haben.»

Elia, was genau bedeutet es für dich, hochsensibel zu sein?

«Mit der Hochsensibilität konnte ich mich und meine Persönlichkeit besser einordnen. Ich habe nun einen Identifikator, was mir etwas Erleichterung im Auf und Ab des Lebens bietet, kann mich ein Stück weit damit identifizieren und fand somit ein weiteres Puzzleteil meines Ichs.» Er habe schon in der Pubertät gemerkt, dass bei ihm etwas anders ist als bei den meisten anderen. «Ich bin ein Mensch, der erst sehr spät wusste, was aus mir werden sollte und so ganz habe ich diesen Prozess auch noch nicht abgeschlossen. Aber mit der Eigendiagnose der Hochsensibilität hat für mich plötzlich alles Sinn ergeben. Es fühlt sich an, als hätte ein weiteres Puzzleteil zur Vervollständigung meines Selbst gefunden, das gibt mir auch einen gewissen Halt.»

Elia erklärt, wie er die verschiedensten alltäglichen Situationen wahrnimmt: «Hochsensibilität zeigt sich auf unzählig verschiedene Arten. Es ist sehr schwer Hochsensibilität zu verallgemeinern, vor allem aufgrund der menschlichen Diversität. Ich nehme emotionale Sinneseindrücke sehr intensiv wahr. Zum Beispiel spiegle ich die Gefühlszustände von anderen Personen wider und fühle diese gleichzeitig sehr stark. Wissenschaftler haben erwiesen, dass für das Widerspiegeln von Gefühlszuständen die sogenannten «Spiegelneuronen» verantwortlich sind, diese sind auch für das Empathievermögen zuständig. Das kann manchmal schon überfordernd sein, besonders wenn ich von mehreren Menschen umgeben bin, die mir nahestehen. Da fällt es mir leichter, Gefühle nachzuempfinden. Es ist aber auch ein Vorteil, denn ich kann dadurch Menschen in schwierigen Lebenssituationen besser beistehen, weil sie sich von mir Verstanden fühlen. Natürlich kann ich auch Glücksmomente nachfühlen, was sehr schön ist.»

Welche Arten von Hochsensibilität gibt es?

Wie Elia sagt, wird zwischen drei verschiedenen Arten der Hochsensibilität unterschieden. «Da wäre der sensorisch sensible Mensch, der emotional Sensible (der vor allem auf Gefühlszustände reagiert) und der kognitiv Sensible. Letzterer prägt ein hohes Verständnis für Logik und komplexere Zusammenhänge. Ich muss dazu sagen, dass eine hochsensible Person nicht nur eine dieser Arten aufweist, sondern mehrere einzelne Symptome gleichzeitig auftreten. Eine dieser Arten ist lediglich die Dominierende.» Bei ihm seien vor allem die Bereiche der Kinästhetik, des Geruchsinns und des Agierens innerhalb einer Gruppendynamik dominierender. «Schon nur wenn ich an einem gemütlichen Samstagabend in einer Gruppe unterwegs bin, laufen meine inneren Sensoren auf Hochtouren. Ich spüre bei allen Gruppenmitgliedern, wie diese sich fühlen und versuche das Geschehen so zu steuern, dass alle einigermassen zufrieden sind. Sind alle zufrieden, fühle auch ich mich wohler und kann mich der Gruppendynamik anschliessen.»

Wie hast du gemerkt, dass du hochsensibel sein könntest?

Schon im Kindesalter haben ihm seine Eltern und andere Mitmenschen gesagt, dass er ein sehr sensibles Kind sei. «Das war überhaupt nie abwertend gemeint. Die meisten waren sehr dankbar dafür und respektierten mich.» Doch Elia wollte sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit sich selbst auseinandersetzen. «Es gab Phasen in der Pubertät, in denen ich mich selbst dafür verflucht habe und mich fragte, was denn nicht mit mir stimmte. Ich denke das geht zu Beginn vielen so.» Der eigentliche Auslöser war aber eine Freundin, die Elia im Laufe seines Lebens kennengelernt habe. «Diese Person ist mir sehr ans Herz gewachsen und hat mich von Anfang an unterstützt.» Sie hatte sich aus Interesse mit dem Thema auseinandergesetzt und mit Elia etliche Gespräche darüber geführt. «Zu meinem Geburtstag hat mir die genannte Freundin das Buch «Proud to be Sensibelchen» von Maria Anna Schwarzberg geschenkt. Ich konnte mich sofort mit beinahe allem identifizieren, was in diesem Buch geschrieben steht. Somit war für mich der Fall klar: Ich bin hochsensibel.»

«Somit war für mich der Fall klar: Ich bin hochsensibel.»

Wie würdest du das Gefühl beschreiben, das mit der Eigendiagnose in dir ausgelöst wurde?

«Es war nicht befreiend, eher öffnete es mir die Augen, wenn ich so an vergangene Geschehnisse und mein Leben im Allgemeinen zurückdenke. Wie schon erwähnt, fand ein weiteres «Puzzleteil», das brachte mir grosse Erleichterung. Gleichzeitig wurde ich so vor neue Herausforderungen gestellt und ich begann ich mich mehr mit mir auseinanderzusetzen.» Elia sei sehr dankbar für diese Erfahrung, wie er sagt. Um mehr über das Thema zu erfahren habe er sich anschliessend verschiedene Podcasts angehört und liess sich Konflikte mit seinen Freunden aus der Vergangenheit durch den Kopf gehen. «Es war sehr interessant, welchen neuen Blickwinkel ich plötzlich auf die verschiedensten Dinge hatte.»

«Natürlich kann ich auch Glücksmomente nachfühlen, was sehr schön ist.» Der 21-jährige Elia Catena liebt es, sich mit sich selbst und seinen Mitmenschen auseinander zu setzen.

Was sagt dein Umfeld dazu, wenn du erklärst, dass du hochsensibel bist?

Seiner Familie sei bereits klar gewesen, dass Elia hochsensibel sein könnte. «Ja klar, das wissen wir und weiter?», so hätten beispielsweise seine Eltern reagiert. «Viele aus meinem Umfeld, gerade enge Freunde, reagieren mit grossem Verständnis und sind so fasziniert davon, dass sie am liebsten alles darüber erfahren würden. Das erleichtert mich sehr und gerne füttere ich dieses Bedürfnis auch und berichte von meinen Erfahrungen.» Daneben gebe es auch solche, die mit Unverständnis reagieren. «Das ist für mich vollkommen in Ordnung, damit kann ich leben», versichert Elia.

In welchen Bereichen des alltäglichen Lebens schränkt dich deine Hochsensibilität ein?

«Grösstenteils werde ich nicht eingeschränkt. Die Hochsensibilität ist ein Teil von mir und ich muss mich arrangieren. Ich sehe es mehr als Möglichkeit. Trotzdem kann es gerade bei grösseren Gruppen, in denen ich mich bewege, vorkommen, dass ich mich plötzlich unwohl fühle und ich erst einmal herausfinden muss, welche Reize mich überfordern.» Das nützt Elia aus, um kurz den «Siedepunkt» zu verlassen, rauszugehen und sich zu sammeln. «Das schränkt mich schon ein, da ich halt die Gruppe für eine kurze Zeit zurücklassen muss», ergänzt er. «Ich kann dann auch ohne Problem sagen, dass es mir zu viel wurde. Ich finde, dass sollte jeder Mensch machen und sagen dürfen, ob hochsensibel oder nicht.»

Kennst du Leute in deinem Umfeld die hochsensibel sind und wie gehst du mit denen um?

«Es gibt viele in meinem Freundeskreis, die entweder hochsensibel sind oder vereinzelte Symptome aufweisen. Mit der einen Freundin, die ebenfalls hochsensibel ist, spreche ich oft über das Thema. Generell pflege ich aber keinen speziellen Umgang mit den Leuten. Im Gegenzug erwarte ich auch nicht, dass mein Umfeld anders mit mir umgeht.» Elia sieht auch gewaltige Unterschiede, wenn er sich mit anderen Hochsensiblen vergleicht. «Das Spektrum der Hochsensibilität ist so riesig, dass es schwierig ist Differenzen zu Menschen mit gleicher oder ähnlicher Thematik zu erkennen. Spannender finde ich, Gemeinsamkeiten untereinander ausfindig zu machen. Der emotionale Sinn ist nach meinen Beobachtungen der, der bei den Leuten in meinem Umfeld am ausgeprägtesten ist.» Durch den regelmässigen Austausch könne man eine Reflexion provozieren. Diese Selbstreflexion sei im Umgang mit Hochsensibilität essenziel.

«Man ist ein gewöhnliches Individuum mit individuellen Charakterzügen.»

Hast du Ratschläge für Menschen, die bereits hochsensibel sind oder das Gefühl haben, sie könnten auch zu diesem Spektrum gehören?

«Tests dazu machen, das kann einem Sicherheit vermitteln. Mir persönlich hat das sehr geholfen.» Er rät den Betroffenen, sich selbst zu akzeptieren und sich ein wenig zu beobachten. «So kann eingeschätzt werden, in welchen Lebensbereichen die Hochsensibilität zutrifft, wo Unterstützung angefordert werden kann und wie am besten Selbsthilfe betrieben wird.» Massgebend sei, durch eine Eigendiagnose nicht in Hochmut oder im Gegenteil, Selbstmitleid zu verfallen. «Ein hochsensibler Mensch ist weder besser noch schlechter. Man ist ein gewöhnliches Individuum mit individuellen Charakterzügen», fügt Elia hinzu.

Wie findest du, wird mit dem Thema in der Öffentlichkeit und in der Politik umgegangen?

«Generell finde ich, wird Hochsensibilität zu wenig thematisiert. So müssen insbesondere die stärker betroffenen selbst damit umgehen und erst einmal selber auf die Diagnose kommen, statt Hilfe von aussen erwarten zu können. Das kann dann zum Problem werden, wenn sich Personen regelrecht fragen, was denn nicht mit ihnen stimme, so wie es bei mir in der Pubertät war.» Im Gleichzug findet Elia aber auch, dass es wichtigere Themen als die Hochsensibilität gibt. Dazu sagt er: «Hochsensible Menschen können nichtsdestotrotz ohne weitere Probleme ihr Leben bestreiten, es ist in diesem Fall keine Krankheit oder Behinderung, sondern eine etwas ausgeprägtere Eigenschaft.»

«Wer hochsensibel ist, hat keine extra Wurst!»

Was für Elia gar nicht geht ist, wenn Menschen ihre Hochsensibilität als Ausrede verwenden. «Es ist keine Ausrede für gar nichts und verpflichtet niemanden, dass er mit der betreffenden Person anders umgeht. Wer hochsensibel ist, hat keine extra Wurst!» Trotzdem sei es wichtig, dem Thema offen zu begegnen. «Wenn ich aber jemandem erzähle, dass ich hochsensibel bin und dabei auf Desinteresse stosse, sollte mir das als Betroffener nichts ausmachen. Gegenseitiger Respekt ist wie bei so vielem, das A und O.»

Willst du zum Schluss den Leserinnen und Lesern von Tize etwas auf den Weg geben?

«Diejenigen die mich kennen, lade ich herzlich dazu ein, mich bei weiteren allfälligen Fragen zu löchern. Ich gebe sehr gerne Auskunft, wie Tipps und Tricks zum Thema.» Auch an die Leserschaft, die sich mit der Hochsensibilität identifizieren kann, hat Elia eine Botschaft: «Macht euch nicht selbst fertig, akzeptiert eure Persönlichkeit und seid offen. Es ist ein spannendes Thema und es lohnt sich, sich damit zu befassen.

Wir danken Elia für das interessante Gespräch.

Die Reihe «Tize klärt auf»: Jeden letzten Montag im Monat erscheint auf Tize ein neuer Bericht über brandaktuelle, häufig diskutierte und spektakuläre Themen in allen möglichen Bereichen, dargestellt mit Analysen, Aufzeichnungen oder Interviews – von der jungen, für die junge Generation.

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Ob in den USA, Italien, Deutschland, Brasilien oder Indien: Rechts- und linkspopulistische Politiker gewinnen immer grösseren Zuspruch. In manchen Ländern gewinnen sie Präsidentschaftswahlen, anderen Ortes stellen Aussen-Parteien «nur» eine Minderheit als Randpartei. Wieso unsere Gesellschaft zurzeit einen derartigen Aufschwung der polarisierenden Flügel erlebt und was die Folgen davon sein können, jetzt bei «Tize klärt auf».

Sie nennen sich «Patrioten», «Retter der Nation» oder auf der anderen Seite «Antifaschistisch» und «Die Linke»: Politisch aussenstehende Gruppierungen oder Parteien finden vor allem in Europa immer grösseren Aufwind, wie eine Studie zeigt. Auch die neusten Ereignisse in der in Thüringen anhaltende Regierungskrise lässt die Frage aufkommen, wie die Politik in der heutigen Zeit mit extremistisch Eingestellten umgehen sollte. Ausgelöst wurde die Krise durch die Wahl vom FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten. Dieser bekam bei der Wahl auch Stimmen der rechtsradikalen AfD (Alternative für Deutschland), was in der Geschichte der Bundesrepublik eine Sensation darstellt. Laut dem MDR wurde Kemmerich durch ein taktisches Manöver der AfD gewählt, welche mit allen Mitteln eine rot-grüne oder rot-rot-grüne Regierungskonstellation verhindern wollte. Mittlerweile haben sich die SPD und die CDU dazu verweigert, mit Kemmerich Politik zu machen und fordern eine «Korrektur der abgekarteten Wahl». Durch die Regierungskrise besteht nun eine grössere Möglichkeit der AfD, Stimmen für sich zu gewinnen. Der rassistisch motivierte Terroranschlag vom Februar 2020 in Hanau, bei dem neun aus dem Ausland stammende Menschen umgekommen sind, lässt den Unmut der Bevölkerung gegenüber der politischen Ohnmacht in Deutschland weiter hochkochen.

 

Rechtspopulismus als Beispiel: Rechts ist nicht gleich rechts

Das Spektrum der radikalen Rechtsparteien ist breit. Es ist nicht möglich, Donald Trump in den USA mit Matteo Salvini in Italien, Björn Höcke aus der AfD, dem Präsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan oder dem Brasilianer Jair Bolsonaro zu vergleichen. Nicht alle Parteien und Politiker gehen gleichermassen radikal und offensichtlich «rechts» vor. Nur zwei Dinge haben rechte Politiker gemeinsam: Ihre politische Orientierung und die Tendenz, populistisch Politik zu machen. Bei der Präsidentschaftswahl im Jahre 2016 hatte vorerst noch niemand wirklich geglaubt, dass Donald Trump das Rennen gegen Clinton tatsächlich gewinnen würde. So ähnlich war es beim 2018 neu gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Das Amt einem Politiker als Staatsführer zu überlassen, der weibliche Abgeordnete als «nicht Wert von mir vergewaltigt zu werden» bezeichnet (so berichtet die Zeit), scheint in der Schweiz und in Europa als gar unmöglich. Während Trump und Bolsonaro durch ihre lauten und eher unbedachten Worte auffallen, verhaltet sich beispielsweise der Bundeskanzler von Österreich Sebastian Kurz zurückhaltend. Durch seine gut überdachten Worte, der ausgeschmückten Sprache und der Nähe zum Volk, wirkt er auf viele Österreicherinnen und Österreicher als Hoffnungsträger. Auch der Lebenslauf von Kurz scheint nahezu wie aus dem Bilderbuch zu stammen. 2004 legte er die Matura mit Auszeichnung ab, dann studierte er Rechtswissenschaft und ist schon seit 2003 Mitglied der JVP (Junge Volkspartei). Nach die Freiheitsliebe steht fest, dass die österreichische Regierung zum Zweck der Zentrumsbildung mit einer rechtsradikalen Partei, der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), paktiert. Auch der türkische Präsident Erdogan habe für Wahlen im Jahre 2018 eine «Volksallianz» mit der faschistischen MHP-Partei geformt. Die sogenannten «grauen Wölfe» gehen vor allem gewaltsam gegen die kurische Minderheit in der Türkei vor.

 

Gründe für den Aufschwung des Populismus

Kriege wie in Syrien und Afghanistan oder Armut in Regionen wie Mexiko, Südamerika, etc. sind Auslöser von unzähligen Flüchtlingsströmen, die zu uns in den Westen führen. Nach Mediendienst Integration sind allein aus Syrien 770`000 Menschen allein nach Deutschland geflohen (Stand 2018). Bei vielen Europäerinnen und Europäern trifft das Thema Migration auf einen wunden Punkt, kein anderes Thema wird in der Gesellschaft stärker debattiert und bis aufs letzte ausgeschlachtet. Nicht zuletzt auch in der Schweiz, gerade durch die SVP, die bei Abstimmungen mit ihren Plakaten am Wegesrand jeder Passantin und jedem Passanten ins Auge sticht. Der Ursprung der Urangst gegenüber Migration scheint wohl gerade für einen liberalen und zeitgeistlichen Menschen schwer nachzuverfolgen, vor allem zu verstehen. Viele fürchten sich vor dem Verlust von Arbeitsplätzen oder im Allgemeinen, im eigenen Land zu kurz zu kommen, sei es in Bereichen der staatlichen Sozialleistungen, bei der Wohnungssuche, etc.

Populismus (gleichgültig ob im rechten oder linken Flügel) steht dafür, Themen volksnahe und demagogisch darzustellen und Sachverhalte über zu dramatisieren. Populistische Politiker beleuchten ein kompliziertes Thema gegenüber den eigentlich komplizierten Themen vereinfacht und stellen sich selbst so dar, als hätten sie die Lösung für alles. Hier kann man sich fragen: Wie funktioniert das so erfolgreich? Weil es einfacher ist einer pompös aufgemachten Parole zu folgen, statt selbst zu recherchieren und nachzufragen, bevor eine eigene Meinung gebildet wird. Die schnellen Umbrüche in der Medienbranche durch Social Media und die Verlagerung der News und der Politik ins Internet stellen weitere Möglichkeiten dar, Populismus zu fördern. Ein Beispiel wäre der Instagram-Account von Donald Trump oder seines Sohnes Donald John Trump. Letzterer bezeichnet sich selbst als «General der Memes», die vor allem gegen die amerikanische demokratische Partei ausgerichtet sind. Das gleiche passiert auf der linken Seite. Diverse «Meme-Pages» auf Instagram und anderen Social Media Kanälen, wie beispielsweise der von sich selbst ernannte Internet-Guerilla «dreckiger Kommunist», greifen tagtäglich brisante Themen auf und stellen diese mit Karikaturen da, um Stimmung gegen eine Partei, einen Politiker, etc. zu machen. Dabei werden Symbole, wie der Hammer und die Sichel, unter denen in Zeiten der UdSSR Millionen Menschen ums Leben kamen, verherrlicht.

 

Weshalb stellt Populismus ein grosses Problem dar?

Eine gut funktionierende Demokratie braucht für den politischen Diskurs linke, mittige, wie bürgerlich rechte Parteien und Politiker. Es braucht einen Ausgleich zwischen den Fronten, damit keine Ein-Parteien-Politik entsteht, wie es in Russland, China oder bald vielleicht auch in den USA der Fall ist. Wichtig ist aber, dass in jedem Flügel Themen sachlich ausdebattiert werden und dass Parteien, die Beziehungen zum faschistischen oder radikal kommunistischen Untergrund pflegen, mit Sanktionen bestraft werden.

Rechtspopulismus beispielsweise fördert also nicht nur den Hass der einheimischen Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen und Migranten, sondern bringt auch die Grundordnung der Demokratie in Gefahr. Faschisten und Linksradikale, die wie oben aufgezeigt, vielmals mit extrem rechten und linken Politikern zusammenarbeiten, streben einen totalitären Staat an, der mit eiserner Hand durch Diktatur geführt wird und gegen jeden vorgeht, der «aus der Reihe tanzt» und eine andere Meinung vertritt.

 

 

Die Reihe «Tize klärt auf»: Jeden letzten Montag im Monat erscheint auf Tize ein neuer Bericht über brandaktuelle, häufig diskutierte und spektakuläre Themen in allen möglichen Bereichen, dargestellt mit Analysen, Aufzeichnungen oder Interviews – von der jungen, für die junge Generation.

Hier geht’s zum letzten Beitrag der Reihe:

Tize klärt auf – Warum sich die Zwischenfälle im Persischen Golf häufen

Die ganze Welt hielt den Atem an, als der Iran in der Nacht des 07. Januars Raketen auf US-Militärbasen im Irak abfeuerte. Auslöser des plötzlichen Angriffs war die Ermordung des iranischen Generals Quasem Soleimani durch eine US-Drohne. Nach den neusten Angriffen auf die US-Botschaft im Irak scheint sich der Konflikt weiter zu zuspitzen. Wie lange ist die Region sicher vor einer weiteren Krise?

Die Medien sind voll davon: Donald Trump ist der dritte Präsident in der Geschichte der vereinigten Staaten, gegen den ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird. Grund dafür: Ein umstrittenes Telefonat zwischen ihm und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski. Tize.ch versucht, die Hintergründe des Diskurses über ein mögliches «Impeachments» zu beleuchten und aufzuzeigen, welche Auswirkungen dieses auf die politische Gesellschaft des mächtigsten Landes der Welt hat.