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Der Dezember ist für viele eine stressige und intensive Zeit: Semesterprüfungen, Weihnachtsessen, Weihnachtsgeschenke, Jahresbilanz, Ziele für das nächste Jahr. Wir vergessen fast, die Zeit der Liebe richtig zu geniessen – auf jeden Fall ging es mir in den letzten paar Dezember oft so. Ich hatte so viel los, dass ich nicht mal richtig in Weihnachtsstimmung kam, ganz plötzlich war das letzte Türchen im Adventskalender auch schon auf und Heiligabend stand an.

Doch im Jahr 2024 war es anders für mich. Ich habe während meiner Zeit in Italien gelernt, das Leben etwas lockerer zu nehmen, einfach mal zu sein, den Moment geniessen. Vor allem in Sizilien schien es so, als wäre Zeit etwas Endloses, als würden die Uhren dort langsamer ticken. Vielleicht können wir emsigen Schweizer uns gerade jetzt in den dunkelsten Tagen des Jahres von den Sizilianern eine Scheibe abschneiden?

Denn sogar Goethe sagte einst nach seiner Sizilienreise: «Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem». Die grösste Mittelmeerinsel hat nicht nur Goethe restlos begeistert, sondern auch mich. Die sechs Wochen als Au-pair in einer palermitanischen Familie lassen sich nicht mit einem Wort beschreiben. Doch im Folgenden versuche ich, meine Erfahrungen, Gefühle, Eindrücke, Stimmungen und Kulturschocks mit einer kleinen Ansammlung von Wörtern zusammenzufassen.

Palermo: kurzweiliger Kulturschock und Könige

Nach idyllischen Tagen in Tropea, Kalabrien war es Zeit für mich, endlich mal länger als einige Nächte unter demselben Dach zu verbringen. Es war Zeit für Palermo. Mit dem Zug fuhr ich von Tropea nach Villa San Giovanni. Von dort aus die Fähre nach Messina und dann nochmals eine Zugfahrt nach Palermo. Am Bahnhof von Palermo holten mich meine Gastmutter und mein Gastbruder ab – tatsächlich stilecht mit einem Fiat Panda. Die Fahrt durch Palermo war meine erste Lektion in italienischer Fahrkultur: Ampeln sind Richtlinien, Vorschriften Empfehlungen, Zebrastreifen Rennstrecken. Meine Gastmutter erklärte mir schmunzelnd: «Wer in Palermo fahren kann, kann überall fahren». Das Haus hatte ich auf Google Maps schon etwas gestalkt, daher wusste ich, dass die Familie eher wohlhabend sein musste. Doch die Villa, vor der wir hielten, war noch imposanter als gedacht. Die drei-Meter Mauer mit Stacheldraht versehen, das elektrische Tor mit Handyapp zu öffnen. Mein Gastvater begrüsste mich herzlich und zeigte mir mein Zuhause für die nächsten paar Wochen: Es war ein kleines Cottage neben der grossen Villa. Nichts Besonderes, jedoch hatte ich meine eigene Küche und mein eigenes Bad. Nach einem grossen Putz fühlte ich mich allmählich im Cottage wohl.

Die ersten paar Tage lassen sich wohl am besten mit «gewöhnungsbedürftig» beschreiben. Ich lernte den italienischen Alltag kennen. Mittagessen: um 14 oder sogar 15 Uhr, jeden Tag Pasta. Abendessen: ebenfalls sehr spät. Kommunikationsart: laut und Schimpfwörter-lastig (unmöglich einen Streit von einer normalen Konversation zu unterscheiden). Busse: Fahrplan nach Lust und Laune der Busfahrer. Die Menschen: direkt aber herzlich, gastfreundlich, offen, gesprächig und lustig. Gefahren: Strassenüberquerung, Overeating (resistance is futile), bestimmte Quartiere im Süden der Stadt bei Nacht.

Ich pendelte mich langsam, aber sicher ein. Ich ging jeden Tag ins nahegelegene Fitnessstudio, lernte dort eine Menge «Palermitani veri» also echte Palermitaner kennen. Das Gym war eines der Besten, das ich je besucht habe: private Trainer, hochmoderne Geräte und die Musik genau mein Geschmack (Rap, R&B, Pop, Hip-Hop). Menschen allen Alters waren dort, manchmal mehrere Generationen. Nonna, Mamma und Bambino. Zudem ging ich an Veranstaltungen der Gruppen «Expats in Palermo» und Erasmus-Studenten: Paddel, Buchclub und Wanderungen. Ich traf auf so viele grossartige und herzliche Menschen, mit denen ich während meiner Zeit in Palermo immer wieder Ausflüge machte und zusammen die Stadt erkundigte.

Die Stadt Palermo hat nämlich so viel zu bieten. Einerseits alle Sehenswürdigkeiten, die von den unterschiedlichen kulturellen Einflüssen erzählen. Das wohl berühmteste Gebäude Palermos ist die Kathedrale. Diese wunderschöne Kirche ist mit ihrer normannisch-arabischen Bauweise und ihrem hübsch gestalteten Vorplatz ein wahrer Hingucker. In der Altstadt findet sich ebenfalls die Strasse Via Vittorio Emanuele, die in die schönste Kreuzung, der «Quatro Canti» endet.

Das Palazzo dei Normanni (auch Palazzo Reale genannt) wurde in allen Reiseführern ebenfalls als ein Must-Visit betitelt und ich stimme vollkommen zu, dass dies zutrifft. Seit 1947 ist der Palast Sitz des sizilianischen Parlaments und gehört seit 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe.[1]

Der Königliche Garten von Palermo, neben dem Normannenpalast gelegen, war ursprünglich ein privater Rückzugsort der normannischen Könige. Heute ist er eine grüne Oase mit exotischen Pflanzen, Brunnen und kleinen Pavillons. Im 19. Jahrhundert teilweise als Wildpark genutzt, dient er inzwischen als Naherholungsgebiet für Einheimische und Touristen (wie mich, die die schöne grüne Natur der Schweiz vermisste).[2]

Die Cappella Palatina im Normannenpalast, 1130 von Roger II. erbaut, gehört ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe und ein Meisterwerk normannisch-arabisch-byzantinischer Kunst. Ihre goldenen Mosaiken, islamisch verzierte Holzdecke und kulturelle Vielfalt machen sie zu einem der bedeutendsten Monumente Siziliens.[3] Wer wie ich noch nicht zu viel von Kirchen und Kultur hat, sollte sich unbedingt auch die «Chiesa del Gesù», «Chiesa San Cataldo», «Piazza Bellini» und «Piazza Pretoria» ansehen. Palermo ist ein lebendiges Museum unter freiem Himmel.

Als Ausgleich zur vielen Kultur und Kulinarik gingen meine Freundinnen und ich oft auch Wandern. Ein Must-Visit ist auf jeden Fall Palermos Hausberg «Monte Pellegrino». Von dort aus sieht man auf den türkisen Traumstrand von Mondello hinunter und kann die sonst so hektische Stadt voller Ruhe von oben aus Vogelperspektive betrachten. Da Palermo von Gebirgen und Bergen umarmt wird, finden sich viele Routen. Zum Beispiel gibt es ebenfalls auf dem «Monte Gallo» gute Wanderwege.

Der Höhepunkt – im wahrsten Sinne des Wortes – war unsere «spontane» Wanderung auf den Monte Gallo. Trotz der schlechten Wettervorhersagen spazierten meine Freundinnen und ich los. Es war ein anstrengender Weg nach oben, aber wir genossen die Stille und die Reinheit der Natur. Plötzlich auf dem Rückweg begann es, aus allen Kübeln zu schütten. Wir rannten den Berg hinunter nach Mondello, dessen Strassen schon völlig überschwemmt waren. Somit kamen auch keine Busse und wir warteten platschnass und bibbernd auf ein Taxi. Nach 40 Minuten kam es endlich und der Taxifahrer schüttelte nur lachend den Kopf, als wir von unserer Wanderung erzählen. Er machte italienische Musik an und begann von seinem Leben in Palermo zu erzählen. Sein Fazit: «Wenn man einen Job hat, lässt es sich in Palermo wie ein König leben. Hier bin ich geboren und hier möchte ich sterben». Diese Wanderung und Taxifahrt nach Hause werden mir für immer im Herzen bleiben.

Die Cappella Galatina von innen, Foto: Olivia Glatz

Taormina: Goethes Paradies mit Florence-grünem Daumen

Am Wochenende hatte ich immer frei und unternahm Ausflüge. Mein erster Ausflug war nach Taormina, die berühmte Hügelstadt an der Ostküste Siziliens. Sie liegt in der Nähe des Vulkans Ätna und der Grossstadt Catania. Taormina wird nach Goethe als der „Paradiesstreifen auf Erden“ betitelt, wobei Guy de Maupassant hinzufügt, dass es hier «alles gibt, was auf Erden geschaffen scheint, um Augen, Geist und Vorstellungskraft zu verführen». Ich hatte also grosse Erwartungen an diese Stadt.

Die 45-minütige Wanderung vom Bahnhof zum Hotel entpuppte sich als erste Offenbarung: Ein Panoramaweg, der sich wie ein Band zwischen türkisblauem Meer und zerklüfteten Felsen schlängelt, bot Postkartenmomente im Sekundentakt. Kleine versteckte Buchten und dramatische Steilküsten wechselten sich ab wie Szenen in einem perfekt inszenierten Naturtheater.

Nach dem Check-in ging ich gleich zum berühmten Naturschutzgebiet der Isola Bella. Diese kleine grüne Oase, die inmitten des kristallklaren Meeres schimmert und die durch einen Strandstreifen getrennt ist, wird von vielen als die Perle des Mittelmeers bezeichnet. Obwohl es viele Touristen hatte, war die Stimmung dort verzaubernd. Ich legte mich an den Strand sonnen und ging später die Insel erforschen. Dort lernte ich, dass die Geschichte der Isola Bella bis ins Jahr 1806 zurückreicht, in dem Ferdinando I. von Bourbon (König Siziliens) die Anlage Pancrazio Ciprioti, dem Bürgermeister von Taormina, schenkte. 1890 wurde sie von Florence Trevelyan gekauft, die sie aufwertete, indem sie ein Häuschen baute und seltene, wertvolle Pflanzen einpflanzte.[4]

Florence Trevelyans grünes Erbe setzt sich in der Villa Comunale fort, einem englischen Garten, der alte Olivenbäume und exotische Pflanzen vereint. Von der Terrassenpromenade aus schweift der Blick über die Küste bis zum majestätischen Ätna – ein Panorama, das den Atem raubt.

Das antike Theater, ein architektonisches Meisterwerk aus griechisch-römischer Zeit, thront wie eine Krone über der Stadt. Die in den Hang geschmiegenen Sitzreihen bieten nicht nur perfekte Akustik, sondern auch einen der spektakulärsten Ausblicke Siziliens. Noch heute erwacht das Theater beim internationalen Festival «Taormina Arte» zu neuem Leben, wenn Musik, Tanz und Theater die antiken Mauern mit zeitgenössischer Kultur erfüllen.

Die Kathedrale San Nicola auf der Piazza del Duomo ist ebenfalls einen Besuch wert. Auf dem Weg dorthin läuft man auf der berühmten «Corso Umberto». Hier finden sich eine Menge Restaurants, Souvenirläden, Kleidershops und daher auch Touristen. Obwohl ich Ende Oktober dort war, war Taormina für meinen Geschmack zu gut besucht. Durch die Berühmtheit und die Beliebtheit sind dementsprechend die Preise in Taormina auch unglaublich hoch (wir sprechen von 25-30 Euro für einen Teller Pasta, wobei man in anderen Teilen Siziliens dasselbe für 7 Euro bekommen hätte). Insgesamt teile ich also die Meinung mit Goethe und Maupassant, jedoch muss man schon ein erhebliches Budget für Taormina einplanen.

Isola Bella mit Blick auf Taormina, Foto: Olivia Glatz

Agrigento: alte Antike und harter Alltag

An einem weiteren Wochenende konnte ich drei Freundinnen von mir dazu überreden, in den Süden Siziliens zu reisen, nach Agrigento. Wir stiegen in Palermo in den Zug und fuhren drei Stunden durch die karge, hügelige Landschaft Mittelsiziliens. Angekommen am anderen Ende der Insel, machten wir uns gleich auf den Weg zur ersten Sehenswürdigkeit: die «Scala dei Turchi». Wie eine gigantische, naturgeschaffene Treppe aus schneeweissem Gestein steigt diese einzigartige Felsformation aus dem türkisblauen Mittelmeer empor und bietet einen atemberaubenden Kontrast zu den goldenen Sandstränden, wie wir auf den Instareels gesehen hatten.

Die Wanderung dorthin sollte drei Stunden dauern, auf Google Maps stand «Waldweg». Wir merkten jedoch schnell, dass «Waldweg» in Sizilien wohl eine andere Bedeutung hatte als in der Schweiz: Es war eine Autostrasse ohne Trottoir, mit Bäumen an den Seiten der Strasse. Irgendwer von uns kam auf die Idee, Hitchhikern auszuprobieren. Wir dachten uns, zu viert sollte es genug sicher sein. Einige Autos fuhren an uns vorbei, die Fahrer kopfschüttelnd ab diesen vier jungen Frauen, die allesamt den Daumen hochhielten und auf eine Mitfahrt hofften. Doch nach etwa einer Viertelstunde hielt ein grosser schwarzer Jeep mit getönten Scheiben. Wir waren im ersten Moment alle etwas skeptisch, bis der Fahrer die Scheibe herunterliess und fröhlich «Salite, salite» rief. Es war der Arzt von Agrigento und er entpuppte sich als einer der gutmütigsten Menschen, die ich auf meiner Reise getroffen hatte. Er ist schon mehr als siebzig Jahre alt, arbeitet morgens jedoch immer noch in seiner Praxis und nachmittags auf seinem Olivenfeld, wo er sein eigenes Olivenöl produziert. Obwohl er nicht zur Scala die Turchi musste, fuhr er uns bis dorthin und zeigte uns auf dem Weg die Westküste.

Nach einem schönen und fotoreichen Nachmittag an der Scala dei Turchi machten wir uns auf den Weg zurück nach Agrigento. Wir liefen die Küste entlang und nahmen dann das Taxi zu unserer gemieteten Wohnung. Der Taxifahrer konfrontierte uns mit der harten Realität des sizilianischen Lebens, als ich fragte, ob er gerne hier in Agrigento lebt: «Ich lebe nicht hier, ich arbeite nur. Für das Leben bleibt keine Zeit, auch wenn die Touristen kommen». Es brach mir das Herz zu hören, dass er kaum Zeit mit seiner Frau und seinem dreijährigen Sohn verbringen kann, weil er sich sonst nicht über Wasser halten könnte. Ich fühlte Unbehagen, weil ich hier sorgenlos in meinem Zwischenjahr reisen darf, während andere ums Überleben kämpfen. Gleichzeitig gäbe es ohne den Tourismus in Agrigento wohl wahrscheinlich kaum mehr Menschen, denn der Tourismus ist wie für ganz Sizilien, nebst dem Oliven- und Orangenanbau die grösste Einnahmequelle. Dieses zweischneidige Schwert hatte ich während meiner Italienreise schon oft gespürt, jedoch noch nie so konkret.

Am nächsten Morgen brachen wir früh auf, um Agrigento als faszinierendes Zeugnis der antiken Welt zu erleben. Das Herzstück Agrigentos bildet die einst mächtige Stadt Akragas, deren prachtvolles Erbe im weltberühmten Tal der Tempel fortlebt. In dieser weitläufigen archäologischen Stätte erheben sich majestätische griechische Tempel, die die Jahrtausende wie stumme Wächter überdauert haben. Genau diese Tempel wollten wir uns anschauen. Um uns den eineinhalbstündigen Weg zu sparen, probierten wir es wieder mit dem Hitchhiken. Kaum hatten wir die Daumen oben, hielt auch schon ein Auto. Wir waren mal wieder Glückspilze: Der Fahrer war ein Angestellter der Tempel und fuhr uns bis ganz dorthin. Wir waren vor allen anderen Touristen da und mussten nicht mal die 16 Euro Eintritt bezahlen. Die Tempel und Ruinen waren genauso imposant wie auf den Bildern. Wir verbrachten mehrere Stunden damit, alles in Ruhe zu bestaunen. Zurück in die Stadt gingen wir dann zu Fuss und besuchten noch die Kathedrale Agrigentos, die ebenfalls schön ist, aber mit der Scala dei Turchi und den Tempeln definitiv nicht mithalten kann.

Scala dei Turchi, Foto: Olivia Glatz

Cefalù: Goldenhour für die Romantiker

Als meine Familie mich besuchen kam, gingen wir nach Cefalù, weil es von vielen, als die schönste Stadt Siziliens beschrieben wird. Das malerische Küstenstädtchen Cefalù vereint auf spezielle Weise mittelalterlichen Charme, normannische Baukunst und mediterranes Lebensgefühl. Überragt wird die historische Altstadt von der imposanten normannischen Kathedrale, deren mächtige Zwillingstürme bereits aus dem Zug zu sehen sind. Das im 12. Jahrhundert erbaute Gotteshaus beeindruckt besonders durch seine prachtvollen byzantinischen Mosaiken, deren Höhepunkt der goldene Christus Pantokrator in der Apsis bildet.

Die verwinkelten Gassen der Altstadt laden zum Flanieren ein, während sich am Fusse des markanten Hausbergs La Rocca ein feinsandiger Stadtstrand erstreckt. Wer den Aufstieg auf den La Rocca wagt, wird mit einem atemberaubenden Panoramablick über die sizilianische Küste und das tiefblaue Tyrrhenische Meer belohnt.

Das Herz Cefalùs schlägt jedoch an der Piazza del Duomo, wo sich Einheimische und Besucher in den traditionellen Restaurants und Cafés treffen. Vor allem in den Sommermonaten verwandelt sich die Stadt in einen beliebten Badeort, der dennoch seinen authentischen Charakter bewahrt hat. Ende Oktober war die Stadt sehr angenehm leer, mit nur einigen wenigen Touristen. Die meisten Besucher sind tatsächlich Palermitaner, die sich vom chaotischen und lauten Trubel der Grossstadt erholen wollen.

Weil ich von Cefalù so begeistert war, besuchte ich dieses Städtchen sogar ein zweites Mal vor meiner Abreise. Die «Goldhour» ist in Cefalù mit den weissen, etwas verfallenen Häusern und der Kathedrale im Hintergrund ein Moment, von dem mein Gehirn ein imaginäres Foto für das Fotoalbum «schönste Erinnerungen» geknipst hat.

Fazit: Sicilia nel cuore

Zurück in der Schweiz, nach zwei Monaten unterwegs in Italien kann ich nun über diese Zeit reflektieren. Es gab sicher Herausforderungen: das Zusammenleben mit einer fremden, sizilianischen Familie mit einem völlig anderen Lebensrhythmus. Das Chaos des Südens ohne verlässliche Busse und einen Fahrstil, der dem eines Formel-1 Rennens ähnelt. Die Armut und Perspektivlosigkeit bestimmter Teile der Bevölkerung. Auch um die Zukunft dieser Insel mache ich mir grosse Sorgen. Wenn es immer wärmer wird, werden Ressourcen wie Wasser noch knapper und Naturkatastrophen wie Waldbrände zunehmen. Dies wird auch einschneidende Konsequenzen für den Tourismus haben. Die primäre Geldquelle Siziliens.

Trotz all dieser Überlegungen und Tatsachen kann ich nur sagen, dass Sizilien wirklich mein Herz erobert hat. Vor allem die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, werde ich nie vergessen. Ich wurde zum Beispiel von einer Bekanntschaft spontan zum heiligen Sonntagsmittag mit der ganzen Familie eingeladen. Für die Gastfreundschaft, die ich erleben durfte, bin ich zutiefst dankbar. Ich bin durch das allein Reisen aber auch so gewachsen, habe eine andere Perspektive auf mein Leben bekommen und wurde nochmals daran erinnert, wie dankbar ich bin für das Leben, das ich leben darf. Diese zwei Monate in Italien gehören wohl zu den Besten meines Lebens. Sechs unvergessliche Wochen als Au-Pair in einer palermitanischen Familie haben nicht nur meine Sicht auf die Zeit, sondern auch auf das Leben grundlegend verändert. Ich kann jeder und jedem nur empfehlen, eine Interrail-Reise zu machen, am besten natürlich durch Italien bis nach Sizilien.

Das Leben in vollen Zügen zu geniessen, die Zeit nicht als Feind zu sehen und manchmal einfach im Moment zu verweilen. Vielleicht ist das genau die Lektion, die wir gestressten Schweizer in den kalten und dunklen Wintermonaten am dringendsten brauchen.


[1]Normannenpalast, in: Wikipedia, 19.12.2024.

[2] Parco Reale, in: Wikipedia, 19.12.2024.

[3] Cappella Palatina, in: Wikipedia, 19.12.2024.

[4] Isola Bella von Taormina, in: Sicily Adventure, 19.12.2024.

In der Schweiz wirbelt Frau Holle ihren Schnee mit unermüdlicher Hand über das Land, deckt Dächer und Strassen in makelloses Weiss. Die SBB-Schlitten fallen aus, dafür kann man den richtigen Schlitten aus dem verstaubten Ecken holen und den Schnee wie in den guten alten Zeiten geniessen. Ein Szenario, das kaum weiter entfernt sein könnte von der Wärme und Sonne, die ich in den letzten zwei Monaten entdeckt habe.

Wer meine Reiseberichte verfolgt hat, weiss, dass ich auf Interrail-Tour durch Italien war. Ligurien, Cinque Terre, Florenz, Neapel – und dann: Tropea, die Perle Kalabriens, ein Ort, der Herkules selbst einst Erholung versprach. Der Legende nach nannte man ihn „Herkuleshafen“, und wenn ich ehrlich bin, ich verstehe warum. Tropea ist nicht nur schön – es ist Magie, in Stein und Meer gegossen. Es fühlt sich nicht nur wie eine Legende an. Viel mehr wie eine Wahrheit, in goldene Farben getaucht und von den Wellen des tyrrhenischen Meeres umrahmt. Kleiner Spoiler: Ich verstehe absolut, wieso Herkules genau diesen Ort ausgesucht hat, denn: es ist der schönste Ort, an dem ich je Ferien gemacht habe.

Bereits die Anreise nach Tropea weckte hohe Erwartungen. Der Zug von Napoli nach Tropea glitt wie ein Pinselstrich entlang der türkisfarbenen Küste. Die Aussicht aus dem Zugfenster hätte kaum besser sein können (ausser, die Fenster wären noch etwas sauberer gewesen). Der Bahnhof – ein kleines, pastellgelbes Häuschen mit einer analogen Glocke, die schrill und ungeduldig läutete, sobald sich ein Zug näherte, schien aus einer anderen Zeit zu stammen, was wahrscheinlich sogar eine Tatsache ist. Denn hier in Tropea ist, im Gegensatz zu den Cinque Terre zum Beispiel, nichts EU-gesponsert. Als ich den schweren Koffer über die Gleise hob und die ersten Schritte in die Stadt wagte, fühlte ich mich wie in eine andere Welt versetzt. Ich lief eine schräg nach unten führende Strasse entlang zu meinem Bed and Breakfast, checkte ein und machte mich bereit für eine Stadterkundungstour.

Die Stadt: Eine Königin auf ihrem Thron

Tropea thront wie eine Königin auf ihrem Felsen, etwa vierzig Meter über dem Meer. Die Gässchen winden sich wie Serpentinen durch die Altstadt, führen unweigerlich zum Belvedere der Piazza del Cannone. Dort öffnete sich der Blick auf das Meer – vor mir lag das tyrrhenische Meer, das Blau und Grün leuchtete, und in der Ferne erkannte ich die Umrisse des Vulkans Stromboli und der Liparischen Inseln. Zudem sieht man ebenfalls auf die berühmte Kirche «Santa Maria dell’Isola», die wohl eher einem Schloss gleicht. Kein Wunder also, dass dieses Bauwerk auch «Castello Vecchio» also «altes Schloss» genannt wird. Es stand ausser Frage: Den Sonnenuntergang wollte ich von diesem Schloss aus her bestaunen.

Die Kirche erhebt sich majestätisch auf einem Felsen, als wäre sie einem Märchen entsprungen. Der Himmel war in Rosa und Orange gefärbt, die Sonne strahlte wie ein Goldstück und tauchte alles in ein magisches Licht. Vor einem Gittertor musste ich, wie viele andere Romantiker, Halt machen, denn das Schloss öffnete für die Öffentlichkeit erst später. Es fand nämlich eine Hochzeit statt. Andere hätten sich vielleicht darüber geärgert, aber für mich war ein Bonus: Ich fühlte mich wahrhaftig wie in einem Disney-Film, als das Hochzeitspaar nach einiger Zeit, begleitet von Musik und Applaus, heruntergeschritten kam. Obwohl die Situation etwas schräg tönt, war es in diesem Moment einfach nur magisch. Die Sonne strahlte im goldenen Licht, der Himmel war rosa-orange gefärbt, der Mond zeigte sich auch schon und das Meer glitzerte wie tausend Sterne. Nachdem auch Nonna und Nonno wieder sicher unten waren, wurde das Gittertor für die Touristen geöffnet und ich konnte endlich nach oben gehen. Ich betrachtete die Sonne, den Himmel und das Meer, bis es dunkel war. Danach ging ich in die Kirche, die noch von der Hochzeit mit Unmengen an Blumen geschmückt war. Ich dankte den höheren Mächte, still für dieses wunderbare Leben, das ich leben darf. Vor Dankbarkeit kamen mir einige Tränen.

Irgendwann wurde dieser magische Moment abrupt davon unterbrochen, dass mein Magen zu knurren begann. Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Eine kleine Trattoria lockte mich mit einem verführerischen Versprechen: Ravioli al pistacchio. Die cremige, nussige Füllung schmolz auf der Zunge und wäre wohl für alle Liebhaber der trendigen Dubai-Schokolade ein Traum. Obwohl ich schon recht satt war, überredete mich der Kellner dazu, ein «Tartufo al Cioccolato» zu probieren. Es sind keine Trüffelpilze, wie man denken könnte, sondern so etwas wie ein Eisküchlein. Absolut köstlich. Der krönende Abschluss war ein Limoncello, vom Haus offeriert.

Türkisblaues Meer mit argentinischer Bekanntschaft

Am nächsten Tag ging es weiter mit essen. Das Frühstück wurde im idyllischen Innenhof serviert. Es gab alles, was das Herz begehrt: von «Cornetto al Crema Bianca» bis hausgemachte Kuchen und Muffins. Für ein solches Frühstück hätte ich in der Schweiz wohl den gleichen Betrag bezahlt, wie eine Nacht hier im Bed & Breakfast.

Ich beschloss, eine Verdauungswanderung zu machen und wollte den kleinen Hügel hinter Tropea besteigen. Leider musste ich schnell feststellen, dass es unmöglich war, zu wandern. Es gab nur die Autostrassen, auf denen man sich aufs Überleben fokussieren musste und somit die Natur leider nicht geniessen konnte. Aber wie auch wandern in Italien, wenn es im Italienischen nicht mal ein Wort dafür gibt? Ich schlenderte also einfach entlang der Via Lungomare und buchte spontan eine Bootstour für den Nachmittag. Nach einem Panino Caprese in der Altstadt, holte ich meine Badesachen und ging hinunter zum Herkuleshafen. Dort fand ich eine kleine Gruppe, die ebenfalls bereit war für die Tour zum Capo Vaticano. Bald darauf tuckerte das kleine Boot mit dem Sommerhit «30°» von der Sängerin ANNA aus der Bucht. Das Wasser hatte eine Farbe, die ich noch nie gesehen hatte. Die beiden Kapitäne Domenico und Federico setzten den Anker und alle, die wollten, konnten ins Wasser springen.

Ich kam aus dem Wasser und sah eine junge Frau, die sich zu meinen Sachen gesetzt hatte. Auch sie war eine Solotravellerin und scherzte, dass sie mit all diesen Pärchen an Bord in mir eine Artgenossin gesehen hatte. Wir begannen zu plaudern, und es stellte sich heraus, dass sie aus Argentinien war und Filmproduzentin ist. Ich schmunzelte über den Zufall, dass hier alles irgendwie mit Filmen zu tun hat. Den Rest der Bootsfahrt verbrachten wir damit, uns über unsere bisherigen Erfahrungen auszutauschen und wir verabredeten uns für später, um gemeinsam Abend zu essen.

Tartufo, Tropea = Traum

Einige Stunden später fanden wir uns in einem winzigen Restaurant mit nur sechs Tischen, ich mit «Paccheri al ragù» und sie mit «Braciola di maiale» auf dem Teller. Es lief ein Fussballmatch im Fernsehen, Lecce versus AC Milan. Zwei Typen in unserem Alter fieberten eifrig mit und fragten uns, für welche Mannschaft wir seien. Um sie zu provozieren, sagten wir für Lecce und so kamen wir ins Gespräch. Die beiden sind aus Milano und gönnen sich ebenfalls noch einige Tage Sonne hier im Süden, bevor es wieder zurück an die Universität und zur Arbeit geht. Als wir alle merkten, dass der Besitzer langsam etwas zu auffällig viel gähnte, bezahlten wir und gingen zur Hauptgasse «Corso Vittorio Emanuele». Dort überzeugte ich meine argentinische Bekanntschaft, ebenfalls das Eisküchlein, das «Tartufo», zu probieren. Ich schlenderte den Rest des Abends mit meinen drei neuen Freunden durch Tropea und dachte, wie schön es ist, einfach mit wildfremden Menschen eine so tolle Zeit geniessen zu können.

Den verbleibenden Tag verbrachte ich lesend am feinkörnigen Strand und genoss die Sonne auf meiner Haut. Ich war schon fast etwas trübselig, als ich dann am darauffolgenden Tag, zum kleinen Bahnhof Tropeas stiefelte und in den Zug stieg. Ich hatte diesen kleinen Ort durch Instagram-Reels gefunden und kann zusammenfassend sagen, dass diese nicht zu viel versprechen. Ende September war es nicht zu heiss, aber trotzdem sommerlich warm. Es war nicht überlaufen, wie so manch anderer Ort in Italien. Und trotzdem nicht ausgestorben. Die Menschen, die Altstadt, die Strände, das Meer, das Essen, die Sehenswürdigkeiten, aber vor allem einfach die ruhige, magische Stimmung – Tropea hat mein Herz. Wer für nächsten Frühling eine Reisedestination sucht, macht mit Tropea auf jeden Fall nichts falsch.