Ganz oben, über Nahrung, Sicherheit und Liebe, thront die Krone der menschlichen Existenz: das Finden des wahren Selbst – zumindest laut Maslow und seiner Bedürfnishierarchie. Doch in Zeiten von Instagram, TikTok und allem voran Algorithmen hat niemand Zeit dafür. «Warum selbst sein, wenn ich perfekt sein kann – Hauptsache die Reichweite stimmt!»
#philosophy #nopainnogain #art #breakfast #morning
Vor tausenden Jahren hiess das Credo: «Erkenne dich selbst.» Heute lautet die Devise: «Zeige dich perfekt!» Die Philosophie ist simpel: Alles was man über eine Person wissen muss, steht in ihrer Bio. Zwischen «dog mom» und «wandern» ist die Essenz einer Persönlichkeit innert Sekunden zu erkennen. Authentizität? Wozu? Der Valencia-Filter ist sowieso besser.
Beim Frühstück denkt man oft an einen erholsamen Start in den Tag. Doch wenn selbst das Frühstück ein Intermezzo mit der Avocado wird, um das perfekte Avocado-Toast-samt-Chia-Pudding-neben-dem-frisch-gepressten-Orangensaft-Foto zu machen, dann wird es, auf gut Deutsch gesagt, einfach nur peinlich. Jede Reise ist keine Erfahrung, sondern Content, Likes, Aufrufe. Sogar das Fitnessstudio taugt zu kaum mehr als Kulisse für ein (nicht) verschwitztes Selfie. #nopainnogain. Gesundheitsaspekt? Zweitrangig!
#Brot und Spiele
Während wir uns auf Social Media vernetzen, isolieren wir das «Soziale» im echten Leben. Warum den Freunden eine Postkarte von den Ferien schicken, wenn sie eh in meiner Story sehen können, was ich mache. Wenn nicht, dann selbst schuld! Wer braucht ein echtes Gespräch, wenn man Emojis schicken kann. Unseren inneren Schweinhund der Bequemlichkeit hat Social Media bereits fest im Griff. Wehe dem, der kein Insta hat oder anderweitig nicht mitmacht! Der / Die ist ein weirder Boomer!
Doch es geht noch tiefer: Der Ton auf diesen Bildschirmen ist nicht immer perfekt und glänzend. Es gibt immer zwei Seiten der Medaille! Hasskommentare sind die neue Sprache des Internets. Oder vielmehr eine Nebenwirkung des ermüdenden Perfekt-Seins. Ist doch egal! Was macht mehr Spass, als die Möglichkeit wildfremde Menschen anzuschreien und sich in den Kommentarspalten gegenseitig zu zerfleischen. Brot und Spiele hiess es und wird es auch weiterhin heissen! Hasskommentare sind die neuen Spiele im Kolosseum. Nein, Entschuldigung, es ist sogar noch viel besser als Brot und Spiele! Das Ganze kann man heute im Schutze der Anonymität machen. Tarnkappe par excellence!
#Die Maslowsche Pyramide 2.0: Wlan als lebenswichtig
Maslow hat es nicht vorhergesehen, aber in der modernen Pyramide hat Wlan einen Platz ganz unten verdient – gleich neben Essen und Trinken. Ohne stabile Internetverbindung können wir schliesslich weder unser Frühstück posten noch unser tägliches Scrollpensum erfüllen.
Früher war Selbstverwirklichung ein Luxus, den sich nur die Philosophen in ihren Gedanken leisten konnten, während der Rest der Menschheit ums Überleben kämpfte. Heute, wo Nahrung und Sicherheit meist selbstverständlich sind, können wir gar nichts anderes als über uns selbst nachzudenken. Oder besser gesagt: darüber, wie andere von uns denken.
Ein Blick nach Nordkorea zeigt, wie es anders aussehen kann. Dort werden die Menschen bewusst seitens der Diktatur mit dem Entzug von Nahrung und Sicherheit beschäftigt, dass sie nicht einmal wissen, was der Kontinent Asien ist, geschweige denn TikTok.1
Aber vielleicht haben sie auch weniger Identitätskrisen – schliesslich gibt es keine Follower (ausgenommen von Regierungsverfolgern), die man beeindrucken muss. Kein Wlan, kein Problem.
#Digital Detox: Nur was für Verlierer
Natürlich gibt es die Spielverderber, die behaupten, Social Media mache uns unsozial. Als ob man ohne Likes und Stories überhaupt existieren würde! Social Media Detox oder Digital Detox sind nicht die Bezeichnungen für einen Drogenentzug, sondern ist vielmehr die Idee, dass man sich bewusst von Social Media oder Smartphones fernhällt. Zeit vollkommen ohne Social Media. Die Hardcore-Fraktion greift sogar zu «Dumbphones». Kein Internet, keine Apps, nur Anrufe und SMS. Was kommt als Nächstes, Brieftauben?
Befürworter sagen: «Das ist wahre Freiheit!» Doch die Frage bleibt: Wie findet man seinen Weg, wenn Google Maps fehlt? Darf man Passanten noch nach dem Weg fragen?
#Scrolling4Life #Scrolling4Ever
Der Algorithmus kennt unsere Vorlieben, weiss was wir als nächstes sehen wollen, und das oft vor uns. Warum nicht also unsere Individualität über Instagram und Tiktok definieren? Der Algorithmus wird uns schon sagen, welche Art von Mensch wir sein wollen, bzw. sein sollten. Ob #Reisefan, #Fitnessguru, #Dogmom, #Katzenfan oder #Digitalnomad. Und wenn es uns zu langweilig werden sollte, übergeben wir auch unser Social Media einfach einer KI. Warum sich selbst um Social Media in Zukunft kümmern, wenn das viel schneller und effizienter mit KI geht? Darum: Postet, was das Zeug hält, liked, kommentiert und teilt. Eure Individualität wird davon profitieren – zumindest bis zum nächsten Update.
Kommentar des Autors
Dieser Text soll in keiner Weise jemanden beleidigen oder kränken. Da dieser Text als Satire zu verstehen ist, habe ich auf übertriebene Weise versucht, die Leserschaft zu kritischem Denken anzuregen.