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Seit Wochen werden die Strassen Weissrusslands von Protesten gegen die Regierung heimgesucht. Trotz Pandemie machen sich tausende Weissrussinnen und Weissrussen für mehr Mitbestimmung und Freiheit stark. Deutlich zu spüren ist: Die protestierende Menge hat genug von der «letzten Diktatur Europas». Einer gegen Alle – Wie sich Lukaschenko mit letzten Mitteln an der Macht hält.

Zusammenstösse mit Sicherheitskräften, wütende, protestierende Massen: Die Szenen in der weissrussischen Hauptstadt Minsk erinnern an den Euromaidan vor sechs Jahren in der Ukraine. Expertinnen und Experten warnen deshalb vor einem drohenden «Déjà-vu» in der ehemaligen Sowjetrepublik. Nach jüngsten Protesten am Wochenende verschwand nun auch Maria Kolesnikowa, eine der wichtigsten Oppositionsführerinnen gegen Lukaschenko. Wie die weissrussische Staatsagentur Belta verkündete, habe Kolesnikowa versucht, das Land illegal zu verlassen und halte sich nun in der Ukraine auf. Die vermeintliche Entführung der 38-Jährigen verschlimmerte die ohnehin angespannte Lage im osteuropäischen Land noch mehr.

Ausblieb des «weissrussischen Frühlings»

Staatschef Aljaksandr Lukaschenko nimmt schon seit dem Jahre 1994 den Platz als Staatschef ein. Verfolgung von Andersdenkenden, Unterdrückung der Opposition und Korruption waren und sind unter Lukaschenko an der Tagesordnung. Während in früheren Ostblockstaaten, wie Estland oder Polen, nach Zusammenbruch der UdSSR der wirtschaftliche Aufschwung und die Einführung der Demokratie Einzug hielten, wurde Belarus seine Vergangenheit vor der Machtübernahme Lukaschenkos nicht los. Innert kürzester Zeit hebelte Lukaschenko das neue Parlament aus und sicherte sich seine Position als «ewigen Präsidenten». Unter seiner Führung wurde die westliche Wirtschaftsweise abgelehnt, eine Umwandlung in die Marktwirtschaft ausgesetzt und das Land in internationale Isolation getrieben. Nach Lexas.de ist Belarus somit eines der ärmsten Länder Osteuropas.

Doch da war etwas: Hoffnung machte sich breit, als eine neue Kandidatin der Opposition, Svetlana Tichanowskaja, auf die Bühne trat. Zusammen mit der neu gegründeten Partei «Gemeinsam» schenkte sie den Weissrussinnen und Weissrussen eine neue Perspektive der Freiheit und trat zum Wahlkampf im August gegen Lukaschenko an. Trotz des breiten Zuspruchs der Bevölkerung blieb ein weissrussischer Frühling – ein Aufbruch in eine neue Zeit – aus.

Ein Wirrwarr aus Widersprüchen und Ereignissen

Über 80% der Stimmen verzeichnete der Staatschef und verkündete sich selbst am 10. August als Sieger. Seither gehen zehntausende Menschen in Minsk auf die Strasse, in vielen Händen eine horizontale, weiss-rot-weisse Trikolore: die Flagge der Republik Belarus vor der Zeit Lukaschenkos. Vielen ist klar: die Wahl war abgekartet. Die Wahlkommission von Weissrussland gibt bekannt: Tichanowskaja komme auf 9,9% der Stimmen. Laut dem SRF widerspreche dies aber den Resultaten der Opposition, die von einem Rekordergebnis ihrer Kandidatin ausgeht. In einzelnen Bezirken soll Tichanowskaja nach dem Kurier bis zu 75% der Stimmen eingeholt haben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rief die Behörden dazu auf, die Ergebnisse der Wahl zu prüfen und kritisierte zudem die gewaltsame Herangehensweise gegen Protestantinnen und Protestanten. «Die Bedrohung und gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten hat in Europa keinen Platz», gab von der Leyen auf Twitter bekannt.

«Die Bedrohung und gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten hat in Europa keinen Platz.»

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Zudem tauchte nach der Wahl ein Video in den sozialen Medien auf, welches Personen zeigt, die mithilfe einer Leiter eine Wahlstation in Minsk verlassen. Mit vollgepacktem Sack steigen die Unbekannten mithilfe der örtlichen Polizei aus dem Fenster. Über den Inhalt des Sacks lässt sich nur munkeln.

Osteuropa im «Maidaneffekt?»

Woche für Woche nimmt die Gewalt in Weissrussland zu. Sprengsätze kommen zum Einsatz, gegen die demonstrierende Menge wird brutal vorgegangen, wie Videos von der Deutschen Welle zeigen. Es ist ein Déjà-vu der Vorkommnisse im Jahre 2014 auf dem Maidan in Kiew, der ukrainischen Hauptstadt. Seit den Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften und der «orangen Revolution», befindet sich die Ukraine im Krieg gegen sich selbst. Die Auslöser der Proteste waren ähnliche wie in Minsk: Drang nach Freiheit, mehr EU- und Westpolitik und Loslösung von der sowjetischen Vergangenheit. Die Rufe nach Selbstbestimmung werden in ehemaligen Sowjetstaaten immer lauter und entwickeln sich allmählich zu einem «Maidaneffekt».

Wie die Situation ausgeht, ist unklar. Die Opposition betonte unter Tichanowskaja, dass eine Revolution nicht erwünscht sei, sondern ein friedlicher Übergang in die Demokratie. Solange sich beide Parteien hingegen nicht an einen Tisch setzen können, bleibt das Chaos real.