Part 1 meiner Interrail-Reise durch Italien
Im Juli schlug ich zu. Und es floss. Zwar kein Blut aber Geld. Zum Glück nicht so viel wie es sonst gekostet hätte. Im Juli hatte Interrail eine Kampagne mit -20% auf alle Tickets. Ob sie erfolgreich war, weiss ich nicht, doch mich konnten sie jedenfalls um den Finger locken. Eine meiner besten Freundinnen und ich hatten sowieso schon eine Unterkunft in Napoli gebucht, wo wir uns treffen würden. Ich dachte also, wieso fliegen, wenn sich die klimafreundlichere Möglichkeit des Zuges anbietet? Nach Neapel sind es von Zürich aus etwas mehr als neun Stunden Fahrt, daher beschloss ich, einen Stopp einzulegen. Meine Wahl fiel auf Firenze, eine Stadt, die ich schon mehrmals besucht habe, deren Charme immer noch gleich verlockend bleibt.
Ich packte meinen neuen Koffer und am 1. September zog ich ihn sprintend hinter mir her in den Zug, der mich nach Milano bringen würde. Von dort aus fuhr ich nach Bologna, wechselte Zug und dann war ich auch schon da, in der Wiege der Renaissance, wie die Heimatstadt von Leonardo Da Vinci auch genannt wird. Die Zugfahrt erwies sich zu meinem Erstaunen als sehr angenehm: keine Verspätungen, Klimaanlage und saubere Toiletten. Daumen hoch für die SBB und die Frecciarossa.
Ein Abend, viele Herzensmomente
YellowSquare, hiess das Hostel, das ich mir ausgesucht hatte. Wieso es so heisst, weiss ich bis heute nicht, doch es hatte top Bewertungen und war nur 15 Minuten von der Bahnstation entfernt. Leider waren diese 15 Minuten genug, um meinem schönen, neuen Koffer einer der vier Rollbeinchen zu rauben. (Es lag nicht an den Strassen von Firenze, sondern an der äusserst fragwürdigen Qualität des Koffers.) Verschwitzt und durstig checkte ich in mein Zimmer ein, welches ich mit drei anderen Frauen teilen würde. Eine meiner Mitbewohnerinnen befand sich im Zimmer und begrüsste mich ganz herzlich. Sie war eine Musical-Performerin aus Melbourne, die ihre dreiwöchige Spielpause in Italien verbrachte, um Sonne und Energie zu tanken. Wir verstanden uns auf Anhieb prächtig und verabredeten uns für den Abend.
Nach dem ganzen Tag in Zug, beschloss ich trotz der Hitze einen einstündigen Spaziergang zur Piazza in Angriff zu nehmen. Ich lief durch das Zentrum zum Duomo, dann über die denkmalgeschützte Brücke Ponte Vecchio auf den Hügel zur Piazza Michelangelo, um den Sonnenuntergang zu sehen. Ich hatte zwar nicht erwartet, dass ich die Einzige bin: Aber wenn ich sage, dass jeder Quadratmeter auf der Treppe der Piazza besetzt war, dann meine ich dies wortwörtlich. Im Abendlicht glitzerte eine Kirche etwas oberhalb der Piazza und nach einigen weiteren Treppen fand ich die Chiesa San Miniato al Monte. Auch dort gibt es eine Piazza mit wunderschönem Ausblick auf die Stadt, jedoch ohne die Touristenhorden, die sich weiter unten bei der Piazza Michelangelo angesiedelt haben. Meine neugewonnene, australische Freundin gesellte sich wenig später zu mir dazu und wir bestaunten zusammen, wie eine grosse Orange namens Sonne hinter den Hügeln verschwand. Es war traumhaft.
Wir liefen den Hügel hinunter und fanden uns wenig später in einer kleinen Osteria mit einem isländischen Pärchen in ein Gespräch verwickelt. Sie hatten uns ihre noch fast volle Weinflasche angeboten und begannen, von ihrem Roadtrip zu erzählen. Mit drei wildfremden Personen lachte ich an diesem Abend über die Welt und das Leben. Zum Beispiel über wie unglaublich es ist, dass man in Italien Autos im neutralen Gang lässt, damit andere parkierende Gefährte diese herumstossen können, um sich so in den Parkplatz zu zwängen. Der isländische Mann erzählte uns mit lauter und vielleicht etwas lallender Stimme, letzte Woche hätten sie ihr parkiertes Auto nicht auf Anhieb finden können, weil es 15 Meter weiter nach vorne gestossen worden war. Fazit des Abends: In Italien erfüllen Stossstangen ihren Zweck.
Neapel – das reinste Chaos?
Am nächsten Morgen ging es für mich weiter nach Neapel. Nach einigen Stunden im Zug, fand ich meine Kollegin winkend am Gleis und wir stiegen in die Metro. Obwohl Napoli wohl als Synonym für „Chaos“ berühmt ist, fanden wir eine gepflegte, organisierte und saubere Stadt vor. Ich war positiv überrascht.
Unser Appartment lag im lebendigen, stimmungsvollen und sehr zentralen Viertel Quartieri Spagnoli. Dieses Viertel hat seinen Ursprung in der Zeit, als Spanien im 16. Jahrhundert unter die Herrschaft des spanischen Vizekönig Pedro Alvarez de Toledo kam, der eine Stadterweiterung vornahm, um die spanischen Soldaten einquartieren zu können[1]. Obwohl das Quartier lange als Rotlichtviertel mit viel Kriminalität und Korruption bekannt war, ist das Gebiet heute absolut sicher und erstaunlicherweise auch in der Nacht ziemlich ruhig.
Die nächsten paar Tage verbrachten wir natürlich damit, Neapel zu erkunden. Wir besuchten das eindrückliche Palazzo Reale, die Galleria Umberto, das Kloster Santa Chiara und fanden in fast jeder Ecke unglaublich schöne Kirchen und Kapellen. Ein besonderes Highlight war das sogenannte „Napoli Sotterranea“: eine Führung durch die Hohlräume, die bei den Griechen als Aquädukte gedient haben und später im Zweiten Weltkrieg als Schutzräume genutzt worden sind.
Foodbaby In Coming
Wir assen napoletanische Spezialitäten für ein Geld, das in der Schweiz nicht mal für eine Flasche Wasser reicht. Vor allem Frittiertes kommt nicht zu kurz: Pizza fritta (frittierte Pizza), Frittatine (frittierte Pastakugel gefüllt mit Hackfleisch und Käse), Zeppole (frittierte Teigbällchen), Babà (frittierter Teig in Rum getränkt) und Cozzetiello (Brot gefüllt mit Tomatensauce und Fleischbällchen). In Napoli ist man kurzum im „Food Heaven“. Wer einen Verdauungsspaziergang braucht, der schlendert der Via Toledo oder der Meerespromenade „Lungomare“ entlang und betrachtet die verschwommenen Umrisse des Vulkangiganten, des Vesuvs. Wer auf der Suche ist nach einem kulinarisch und kulturell interessanten Abend, geht in die Trattoria da Nennella. In diesem Lokal speist man für 16 Euro einen ersten und zweiten Hauptgang mit Beilage. Das Besondere sind jedoch nicht nur der Preis und das Essen sondern, dass sich das Lokal ganz plötzlich während dem Essen in eine Party verwandelt: „Sarà perché ti amo“ ertönt aus den Boxen, die Kellner tanzen auf dem Tisch, die Gäste werden aufgefordert mitzutanzen, mitzusingen und es spielt keine Rolle, dass man nur die vier Wörter des Refrains kann. Der Vibe ist unglaublich. (Während ich das hier schreibe, verzieht sich mein Mund automatisch zu einem Lächeln.)
Tagesausflug: Posillipo
Am letzten Tag beschlossen wir uns dafür, aus dem Stadtinnern rauszukommen und fuhren mit dem Bus 30 Minuten lang zum Stadtteil „Posillipo“. Nach weiteren 30 Gehminuten erreichten wir den Eingang zu einem der wenigen öffentlichen Strände, der „Spiaggia della Gaiola“. Da dieser Strand in einer geschützten Zone liegt, braucht man eine Reservierung, die jedoch gratis ist. Wir hatten Glück und konnten uns die letzten Tickets sichern. Der Strand ist atemberaubend und durch die Limitierung der Gäste überhaupt nicht überfüllt. Die farbigen Häuser der Küste, das klare Meer, Blick auf den Vesuv – was will man noch mehr?
Napoli nel cuore
Neapel war der zweite Stopp meiner Interrail-Reise. Ob diese Stadt tatsächlich „die schönste Stadt der Welt“ ist, wie der Dichter Stendhal einst meinte[2], ist schwer zu bewerten. Fest steht für mich jedoch, dass hier fast alles stimmt: Das Essen, die Preise, der Humor der Leute, das Meer, die Stimmung, ja, sogar die Metro und die Abfallentsorgung klappen bestens. September war eine gute Zeit, um hierher zu kommen, man könnte jedoch auch noch später, Ende September oder im Oktober, nach Napoli reisen, falls man wie ich wärmeempfindlich ist. Neapel wird seinem Namen als Nabel der Welt mehr als gerecht, sei es dem Nabel der Welt der Kulinarik, der Kultur oder der Kirchen.
Quellen:
Quartieri Spagnoli, in: Wikipedia, https://it.wikipedia.org/wiki/Quartieri_Spagnoli, heruntergeladen am: 07.09.24.
Stendhal e i due volti di Napoli, in: è Campania, https://ecampania.it/event/stendhal-e-due-volti-napoli/, heruntergeladen am: 07.09.2024.
[1] Quartieri Spagnoli, in: Wikipedia, 07.09.24.
[2] Stendhal e il due volti di Napoli, in: è Campania, 07.09.2024.