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Ibizagate

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Österreich wurde im Mai letzten Jahres in die grösste Regierungskrise seit dem 2. Weltkrieg gestürzt. Tausende Menschen gingen in Wien auf die Strasse, innerhalb von wenigen Stunden wurde praktisch das ganze Land lahmgelegt. Auslöser dafür: Ein Skandal-Video des ehemaligen Vizekanzlers Hein-Christian Strache und des früheren Klubobmanns der FPÖ Johann Gudenus aus einer Finca auf Ibiza. Ein Funke, der zu einem landesweiten Flächenbrand führte.

Korruption: Eine Sache, die man von der kleinen Alpenrepublik Österreich nicht erwarten würde. Doch genau deswegen erlebte das Land im letzten Jahr eine Regierungskrise, die bis in die europäische Union ihre Kreise zog. Das «Ibizavideo», unter anderem geleaked von den Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, zeigt ein Gespräch zwischen Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in einer Finca auf Ibiza. Unter Alkoholeinfluss boten die damals führenden Politiker der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) der Nichte eines russischen Oligarchen korrumpierte Geschäfte an und zogen zusätzlich über andere Parteien und österreichische Persönlichkeiten her. Mittlerweile ist klar: Die Russin war «fake», das Treffen mit den Politikern abgekartet.

Eine schon lange umstrittene Koalition

Um genauer verstehen zu können, weshalb das Ibiza-Video im letzten Jahr einen derartigen Skandal auslöste, muss ein Blick hinter das politische System im Nachbarland her. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz gewann 2017 mit seiner ÖVP «Österreichische Volkspartei» die Nationalratswahlen, im Dezember wurde er zum Kanzler ernannt und ging eine Koalition mit der FPÖ ein. Die enge Zusammenarbeit mit der Rechtsaussen-Partei, gerade mit Heinz-Christian Strache, wurde schon von Beginn an aus allen möglichen Fraktionen angezweifelt. Die FPÖ, die durch ihr Parteiprogramm an die AfD in Deutschland erinnert, war schon zu diesem Zeitpunkt bekannt für ihre «rechten Ausrutscher». Kontrast.at veröffentlichte eine ganze Sammlung von rassistischen und NS-verherrlichenden Aussagen und Aktionen von Parteimitgliedern der FPÖ ab Dezember 2017. Von den insgesamt 76 Fällen (letzte Aktualisierung im November 2019), sind hier drei Beispiele aufgelistet:

20.01.2018: Das Wunschkennzeichen eines FPÖ-Funktionärs «88» (Neonazi-Code für «Heil Hitler») sorgte für Wirbel. Später dementierte der Funktionär jegliche Sympathie oder Nähe zum Nationalsozialismus, denn die «88» stehe für den 8.8.2010, an dem er mit seiner Frau zusammengekommen sei. (Quelle: Kontrast, ORF)

30.04.2018: Ein Referent der FPÖ, Robert Kiesinger, veröffentlichte auf Facebook ein Bild eines NSDAP-Kalenders mit der Bildunterschrift «Ostern bedeutet Leben». (Quelle: Kontrast, FPÖ fails)

20.04.2019: Heinz-Christian Strache teilte einen Beitrag der «Zaronews» mit dem Kommentar: «Nein, ich lasse mich nicht mundtot machen!». Die «Zaronews» sind dafür bekannt, den Holocaust als «grösste Lüge» und Hitler als «Retter» darzustellen. (Quelle: Kontrast, Kurier)

Vom Partyurlaub zum Krimi

Letzterer wurde zusammen mit «Yoshi» (wie Strache den damals FPÖ-Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus auch betitelt) im Juli 2017 auf ein Sushi-Essen in einer Finca auf Ibiza geladen. Die ominösen Sponsoren der Privatparty: Die angebliche Nichte eines russischen Oligarchen, welche Johann Gudenus schon aus früheren Zeiten bekannt war, sowie ein Übersetzer. Eingeladen wurden die beiden Politiker unter dem Vorwand, die russische Nichte habe viel Geld und wolle in die FPÖ investieren. Im Hinblick auf Straches Vizekanzleramt, welches er im Dezember desselben Jahres annahm, eine lukrative Möglichkeit, der eigenen Partei einen Ruck nach oben zu verleihen. Straches und Gudenus Plan: Die Nichte solle die Kronenzeitung aufkaufen, ganz mit den Worten: «Journalisten sind doch so oder so alles Huren!», so Strache im «Ibizavideo». Die Krone ist die grösste und einflussreichste Boulevardzeitung des Landes.

«Journalisten sind doch so oder so alles Huren!»

Heinz-Christian Strache auf Ibiza, Juli 2017

Die Oligarchennichte zeigt sich begeistert. Doch der Partyurlaub wendet sich zwei Jahre später für «H.C. Strache» und «Yoshi» zum Krimi. Denn was die beiden nicht wissen: Versteckte Kameras in jeder Ecke der Finca filmen mit – und zwar alles, ganze sechs Stunden lang. In dieser Laufzeit erfährt der Zuschauer mehr als sogar den «H.C.Strache-Fans» lieb gewesen wäre. Das Angebot von korrumpierten Geschäften, in diesem Fall der Aufkauf der Kronenzeitung und der Zuspielung von öffentlichen Aufträgen für die Russin, gleichzeitig der versuchte Eingriff in die Pressefreiheit und das Herziehen über österreichische Politiker. Auch Sebastian Kurz wurde zum Opfer der Schimpftiraden und der höhnischen Sprüche.

Ein gefundenes Fressen

Auch wenn Strache während des Treffens Vermutungen anstellte, dass es sich bei allem um eine Falle hätte handeln können, bot er der Russin immer wieder den Aufkauf der Kronenzeitung an. Nach österreichischer Gesetzgebung eine korrupte Handlung und somit strafbar, wie Bastian Obermayer und Frederik Obermaier in ihrem Buch «Die Ibiza-Affäre» schildern. In diesem Buch erklären die beiden auch, weshalb es erst zwei Jahre später zur Veröffentlichung des Skandalvideos kam. Die sechs Stunden, von denen nur wenige Minuten an die Öffentlichkeit gingen, seien den Journalisten kurz vor der Europawahl zugespielt worden. Vor «Ibizagate» war auch Strache zur Wahl aufgestellt, ein gefundenes Fressen also.

«A bsoffene Gschicht»

Die kurzen fünf Minuten des eigentlich sechs stündigen Videos schlugen nach ihrer Veröffentlichung Wellen. Etliche Medien berichteten über das Enthüllungsvideo, tausende Österreicherinnen und Österreicher begaben sich auf die Strasse und demonstrierten gegen die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Der Song der Vengaboys «We`re going to Ibiza» aus dem Jahr 1999 war innerhalb von wenigen Tagen wieder auf dem ersten Platz der österreichischen Charts und hallte tagelang durch die Strassen Wiens, während die Demonstranten eine Auflösung der Regierung und Neuwahlen forderten. Zu diesen kam es dann auch. Trotz den Vorwürfen, Bundeskanzler Sebastian Kurz hätte zu lange «weggeschaut» und die «Ausrutscher» der FPÖ ignoriert, wurde dieser wiedergewählt. Die Koalition mit der FPÖ beendete er mit den Worten «Genug ist genug».

Strache selbst trat zurück und entschuldigte sich öffentlich für seinen Fehltritt. «Es war a bsoffene Gschicht», rechtfertigte er die korrupten Aussagen seinerseits. Es sei viel Alkohol geflossen und nichts davon sei wirklich ernst gemeint gewesen. Die Prahlerei um den Kauf der Kronenzeitung war reines «Matchogehabe», um die Russin zu beeindrucken. Auch Gudenus trat aus allen Ämtern zurück.

Offene Fragen bleiben

Wer die Initianten des Videos waren und die sechs Stunden Videomaterial den Journalisten geliefert hatten, ist heute klar: Wie die Neue.at berichtet, habe Straches Bodyguard über Jahre belastendes Material über ihn gesammelt. Im Schatten bleibt aber, welche Person wirklich hinter der angeblichen russischen Oligarchennichte steckt. Es kursieren sogar Gerüchte darüber, dass auch der Satiriker Jan Böhmermann seine Finger im Spiel hatte. Vor der Veröffentlichung machte Böhmermann Anspielungen auf das Video, so sagte er am Tage zuvor in seiner Sendung: «Morgen wird Österreich brennen.»


Die Reihe «Tize klärt auf»: Jeden letzten Montag im Monat erscheint auf Tize ein neuer Bericht über brandaktuelle, häufig diskutierte und spektakuläre Themen in allen möglichen Bereichen, dargestellt mit Analysen, Aufzeichnungen oder Interviews – von der jungen, für die junge Generation.

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