Guten Tag, denken Sie, dass Reiche reicher und Arme ärmer werden sollten?
Nehmen Sie mal an, diese Frage würde auf der Strasse gestellt, wie sähen die Antworten wohl aus? Und wie würden Sie über Menschen denken, die diese Frage mit Ja beantworten? Zweifelsohne gäbe es Interessenten an dieser Entwicklung, doch dazu zu stehen würde sich wohl niemand getrauen. Man sei ja nicht herzlos, will nicht als gierig gelten. Da bedürfte es schon eines Vorwands. Augenblick…
Die Schweiz stimmt bald über den Eigenmietwert ab, mit der gross geschriebenen Parole «Wohnen ohne Sorgen».[1]Doch in den Kreisen, in denen das Initiativkomitee verkehrt, muss es wohl von Eigentümer*innen nur so wimmeln, da haben Sie doch glatt zwei Drittel der Bevölkerung vergessen[2]. Die zwei Drittel, die bei gleichem Einkommen oft mehr Steuern zahlen[3], die zwei Drittel mit durchschnittlich weniger Einkommen und Vermögen. Es handelt sich hierbei also um eine Politik für die Privilegierten. Und das kann man auch wunderschön an den Budgets der Kampagne sehen. Um seine Ziele zu realisieren, nimmt das Initiativkomitee eine Rekordsumme von 7 Millionen Schweizer Franken zum Zwecke der Werbung in die Hand. Das sind 4’824 Durchschnittsmieten oder 35’000 durchschnittliche Wocheneinkäufe einer vierköpfigen Familie, oder halt auch 1/39-tel eines F-35. Viel Geld also – es lebe die Demokratie.
Ich will den Eigenmietwert kurz erklären. Wenn man Immobilien besitzt und diese Immobilie, Wohnung oder Haus, selbst bewohnt, so gibt man bei der Steuererklärung einen Teil des Geldes an, das man bei einer Vermietung dieser Liegenschaft hätte einnehmen können. Das gilt auch für Zweitwohnsitze. Wer noch Hypotheken zu begleichen hat, zahlt diese Steuer allerdings nicht, ebenso kann man bei Sanierungen (z. B. Installation von Solarpanels) dieses Privileg geltend machen. Mit dieser Steuer, die als Ausgleich zwischen Mietenden und Eigentümmer*innen fungiert, nehmen Bund und Kantone jährlich 1,8 Milliarden Franken ein.
Nun, Geld kommt, auch wenn uns das Investmentbanker manchmal weismachen wollen, nicht aus dem Nichts. Wenn die 1’800’000’000 Franken also nicht zum Staat wandern,- na, wo sind sie denn geblieben? Die Rechnung ist denkbar simpel. Den Eigenmietwert versteuert man nach dem Wert der Liegenschaft. Je luxuriöser der Wohnsitz, desto mehr Steuern. Den Eigenmietwert versteuert, wer nichts zu sanieren hat, und bereits all seine Schulden bei der Bank abgezahlt hat. Den Eigenmietwert versteuert, wer eine Zweitliegenschaft besitzt. Alles Indikatoren für einen Wohlstand, der deutlich über dem des oft zitierten «Mittelstandes» liegt. Aber wenn selbst Friedrich Merz mit seinem Privatflugzeug sich als «Mittelstand»[4] bezeichnen darf, ist wohl alles erlaubt.
Wenn man sich der Debatte um den Eigenmietwert stellt, kommt man nicht an der Geschichte der alten Oma vorbei. Sie wohnt in einem kleinen Haus, das sie und ihr verstorbener Mann im Schweisse ihres Angesichtes ansparten, und dann über Jahre hinweg mühselig abbezahlten. Für sie, mit ihrer kleinen Rente, wird nun die Steuer zur übermässigen Last. Genau für Leute wie sie wurde diese Initiative lanciert, damit der Lebensabend ohne Geldsorgen verbracht werden kann.
Und da frage ich mich, ob gewisse Leute sich nicht schämen. Ob sie sich nicht schämen, einen am 15.6.2023 eingereichten Vorschlag zu bekämpfen, der dieses Problem lösen würde[5] – by the way ohne Steuergeschenke an Überreiche. Dass sich, um Ihn beim Namen zu nennen – Philipp Mathias Bregy (Initiativkomitee) nicht schämt, zunächst diesen Vorschlag aufs schärfste anzufechten, nur um danach mit der Geschichte der notleidenden Oma, Stimmen zu sammeln. Dass sich solche Leute nicht schämen, erst mit 1,8 Milliarden an Steuergeschenken im Sack solidarisch zu sein.
Ach, da hab ich doch glatt zwei Drittel der Bevölkerung vergessen. Denn wenn diese Summe mit zehn Stellen im Budget fehlt, muss irgendwie Kompensation her. Oder auch nicht, aber dann wird an Infrastruktur gespart, etwas unter dem alle dann leiden. Zum Glück gibt es eine Lösung. Für lediglich 500 Franken mehr Steuern[6] pro Haushalt und pro Jahr, wird sichergestellt, dass auch die Reichsten künftig nicht am Hungertuch nagen müssen.
Warum schreibe ich diesen Text überhaupt? Weil ich sehe, wie selbstverständlich man sich das grösste Stück vom Kuchen nimmt. Man instrumentalisiert die reale Not von alten Menschen, nutzt ihr Leiden aus, um sich durch die Hintertür Privilegien zu sichern. Weil es mich anwidert, mit welcher elitären Rhetorik gesprochen wird – Philipp Bregy betont sehr gerne, welche Anstrengungen besonders Eigentümer*innen auf sich nahmen, um sich dieses Privileg zu verdienen – als ob sich Mietende nicht genauso anstrengen würden, um über die Runden zu kommen. Logisch auch, in dieser Lohnklasse interessiert sich der Hauseigentümerverband auch nicht für dich. Es wird davon gesprochen, dass solche Anreize die Wirtschaft ankurbeln würden. Als ob in den eigenen vier Wänden zu wohnen nicht schon genug attraktiv wäre. Mal ganz abgesehen davon, dass so eine Reform die Immobilienpreise noch rasanter ansteigen lässt, als ohnehin schon. Und auch der Abstimmungstext verschleiert: «Bundesbeschluss über die kantonalen Liegenschaftssteuern auf Zweitliegenschaften». Tja, «Bundesbeschluss über die Öffnung der Vermögensschere» hätte sich wohl weniger gut ans Volk verkauft. Und falls Sie mir immer noch nicht glauben, warum sie NEIN stimmen sollten, so will ich, wie in der Schule, mit einem Zitat schliessen:
Reicher Mann und armer Mann
Standen da, und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
«Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich»[7]
[1] https://faire-steuern.ch/?gad_source=1&gad_campaignid=22787788982&gbraid=0AAAABAlSuJKVCdlbnRph-oG5VMQmkMAE5&gclid=CjwKCAjwq9rFBhAIEiwAGVAZP26wWZAS8YVi4WxOkxGBlhNoisKCeQrs3bZ8k85ynudjsw5rE0bruRoCTE4QAvD_BwE
Aufgerufen am 3.9.2025
[2] https://www.bwo.admin.ch/de/wohneigentum
Aufgerufen am 4.9.2025
[3] https://www.mieterverband.ch/mv/politik-positionen/news/2018/Eigenmietwert–Kein-Systemwechsel-ohne-steuerliche-Gleichstellung-der-Mieterinnen-und-Mieter.html
Aufgerufen am 4.9.2025
[4] https://politik.watson.de/politik/deutschland/614396715-friedrich-merz-so-viele-millionen-euro-hat-der-cdu-chef-auf-dem-konto
Aufgerufen am 16.9.2025
[5] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20233809
Aufgerufen am 16.09.2025
[6] https://www.sp-ps.ch/abstimmung-eigenmietwert/
Aufgerufen am 16.09,2025
[7] Brecht, 1934