Irland – Ein Land, welches lange von einem schleichenden Konflikt geprägt war, früher in tiefer Armut lebte, sich nun aber an einer rasant wachsenden Wirtschaft erfreut. Die Bevölkerung steht nach jahrelangen Auseinandersetzungen noch immer zwischen einer irisch-keltischen, sowie einer britischen Kultur – und scheint weiterhin nicht zu wissen, wie sie die blutige Vergangenheit hinter sich lassen soll. Tize-Redakteur Cyrill Pürro befand sich eine Woche lang auf der grünen Insel und nahm Erstaunliches mit.
«Éire», so wird der Name Irlands auf Gälisch geschrieben, der Ursprache der Iren, die bereits lange vor der Zeit der heutigen Republik auf der grünen Insel Fuss gefasst hatte. Den Ursprung dieses Namens findet sich bei der Göttin «Eir» wieder, welche in der nordischen Mythologie der Heilkunde zugeschrieben wird. Im Urglauben der Iren galt sie nach Wikipedia als die beste Heilerin und wurde auch mit Hilfe und Gnade verbunden. Der Name ist nicht das einzige, ursprünglich keltische Kulturerbgut des Landes. Sehr berühmt ist auch die keltische Harfe, welche besonders auf Guinness-Gläsern wiederzufinden ist. Die Harfe steht für den Widerstand und die irische Identität, nicht zuletzt, da in der Zeit der britischen Invasion im 15. Jahrhundert das Harfenspielen von irischen Harfenisten mit dem Tode bestraft wurde, so berichtet die Seite Grüne-Insel.de. Durch die britische Herrschaft auf der Insel wurde nicht nur das Harfenspielen untersagt, sondern auch andere Traditionen der keltischen Kultur verdrängt, wie zum Beispiel die Sprache.
Eine Sprache, viele Möglichkeiten
Nach Statista.com ist Englisch die drittmeist gesprochene Sprache der Welt. Doch Englisch ist nicht gleich Englisch. Laut Youthreporter.eu beherrschen 40.8 der irischen Bevölkerung die gälische Sprache. Doch so ziemlich alle der über vier Millionen Einwohner sprechen Englisch. So ist es auch kein Wunder, dass sich in das Englisch der Iren ein spezieller Dialekt hineinentwickelt hat. Auch ich konnte mir ein «Sorry what?» nicht verkneifen, als ich aus dem Flughafen in Dublin kam, in die erstaunlich warme Luft trat und dem Busfahrer sagte, wo ich hinmusste. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits fünf Stunden Flug hinter mir und war nicht mehr wirklich auffassungsfähig, schon gar nicht darauf eingestellt, mir mit meinem Schulenglisch einen neuen Dialekt anzugewöhnen. Mit dem irischen Stolz wurde ich früh konfrontiert, als ich an diesem Samstagabend mit dem Bus durch die Strassen Dublins fuhr, um zu meinem Hotel zu gelangen. Durch das Fenster beobachtend erkannte ich, dass praktisch alle Strassenschilder unter der englischen Beschriftung, auch mit einer gälischen Übersetzung versehen sind.
In meinen ersten Stunden in der irischen Hauptstadt habe ich meine Zeit hauptsächlich damit verbracht, die Strassen zu erkunden – und mich zu verirren. Auch bei einem westlichen Land wie Irland, oder zumindest in Dublin, kann es sein, dass der öffentliche Verkehr eher weniger gut erschlossen ist, wie man das von der Schweiz kennt. Doch ich liess mich von den für Touristen unklaren Busabfahrtsplänen nicht beirren und dank der freundlichen einheimischen Bevölkerung, fand ich meinen Weg immer wieder zurück, auch wenn ich bei jedem dritten Satz ein «Sorry, what?» von mir gab, was die Irinnen und Iren glücklicherweise mit Humor nahmen.
Dublin – eine Stadt der Geschichte
In der Hauptverkehrsstrasse von Dublin, der O`Connell Street, wurde ich bereits mit der irischen Geschichte konfrontiert. Alle 200 Meter trifft man auf Monumente, welche für die irischen Revolutionären erbaut worden waren und in der Mitte der Strasse natürlich auf die Statue, die zu Ehren von Daniel O`Connell entstand, einem irischen Politiker, der sich vor allem für die Gleichberechtigung der katholischen Iren einsetzte. Um mehr über die Geschichte Irlands zu erfahren, begab ich mich dann in das Museum des «General Post Office».
Das Museum befasst sich mit den Wirren der irischen Unabhängigkeit, dem Drang der Bevölkerung nach mehr Selbstbestimmung und Freiheit und wie sich das die Terrororganisation IRA (Irish Republican Army) zu Nutzen machte. Die Ausstellung zeigt, welches Leid die irische Bevölkerung damals erlebte, gerade mit dem Aufschwung des Nationalismus. Die meisten Menschen forderten damals eine «Homerule» für die irische Insel. Die «Homerule» war ein Sonderstatus für Irland, in dem das Land zwar noch zu Grossbritannien gehörte, sich aber dennoch selbst verwalten konnte. Das war aber für nationalistische Politiker nicht ausreichend. Diese forderten die komplette Unabhängigkeit Irlands, auch wenn dabei Menschenleben geopfert werden mussten. Dieses Ziel wurde erreicht. Im Jahre 1916 wurde Irland unabhängig, worauf von 1922-1923 ein blutiger Bürgerkrieg folgte, in dem vor allem Zivilisten ihr Leben liessen. Mit den «Troubles», zu Deutsch bekannt unter dem «Nordirlandkonflikt», in den 1960er bis zu den 1990er Jahren, flammte die Krise neu auf, in dem sich vor allem die Terrororganisationen auf Seiten der Iren «IRA» und auf Seiten der pro-britischen Nordiren «UVF (Ulster Volunteer Force)» bekriegten und das Land in Angst und Schrecken versetzten. Mehr Informationen zum Nordirlandkonflikt sind in diesem Beitrag zu finden.
Die Narben der Vergangenheit
Trotz der relativ guten Aufarbeitung der Konflikte, scheinen viele Irinnen und Iren nicht zu wissen, wie sie ihre blutige Vergangenheit verarbeiten sollen. Einzelne Eindrücke sammelte ich in der berüchtigten Temple-Bar. Bei einem gemütlichen Guinness kann man den typischen, irischen Pubsongs lauschen. Wenn es aber dann später wird, der Alkoholgehalt im Blut der einheimischen Pubbesuchern Wirkung zeigt, kochen die patriotischen Gefühle schnell mal auf. So wird bei Songs, wie beispielsweise «I wish I was back home in Derry» lautstark mitgesungen, in dem es um die irische Rebellion von 1803 geht und um die Sehnsucht von Seeleuten nach der nordirischen Stadt Derry, welche unter anderem Hauptschauplatz der Rebellion war und auch jetzt noch starke Narben der Konflikte in den 1900er Jahren aufweist. Noch heute gibt es den kleinen District «Free Derry» innerhalb der Stadt, in dem es auch nach den Konflikten immer noch zu Gewaltakten von IRA-Mitgliedern kam. Der letzte bekannte Vorfall fand am 18. April in diesem Jahr statt, als es zu Auseinandersetzungen zwischen der örtlichen Polizei und Mitgliedern der «neuen IRA» kam. Dabei wurde die nordirische Journalistin Lyra McKee erschossen.
Politische Gefühle werden in Irland lieber von der Seele gesungen, statt über sie zu reden. In Gesprächen mit einheimischen wird oft sehr schnell das Thema gewechselt, sobald man auf die «Troubles» oder den Konflikt im Allgemeinen zu sprechen kommt. Dennoch scheint die Bevölkerung mit der heutigen Situation zufrieden zu sein. Zwischen Irland und dem britischen Nordirland existiert keine Grenze mehr, um Konflikte zu vermeiden, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten sind stabil und auch die Menschen scheinen sich zu verstehen. Von etlichen Irinnen und Iren bekam ich Reisetipps und Empfehlungen für die Stadt Belfast in Nordirland. «Die Nordiren sind ein sehr freundliches Volk, ich habe viele Freunde dort. Manchmal sind sie aber ein wenig spiessig», erklärte mir eine Irin während eines Pubbesuches lachend. Für mich klar, welches mein letztes Ziel auf meiner Reise sein sollte: Belfast.
Die irischen und britischen Gegensätze
Dass sich Dublin und Belfast so gross voneinander unterscheiden, hatte ich anfangs meiner Reise nicht erwartet. Die Gebäude sind höher und mächtiger gebaut, die Strassen sind sauberer und die Atmosphäre ist kurz gesagt einfach «britischer». Ebenso sind die Strassen von Belfast in einem klareren System aufgebaut. Während in Dublin eine Strasse mal nach rechts, die andere mal nach links führt, existiert in Belfast ein «Vierecksprinzip», in dem die Wege aufgebaut sind. Fazit: In Dublin verlief ich mich bis zu ca. fünf Mal, in Belfast nie. Auch andere Unterschiede vielen mir auf. Das Leben findet in Belfast strukturierter statt. Die Busse nach Dublin und anderen Städten waren mehr oder weniger pünktlich und zentral an einem Ort abfahrbereit. Auch die Tickets konnte man bereits vor der Fahrt an einem Schalter abholen. Anders in Dublin, wo die Tickets beim Busfahrer selbst bezogen werden müssen, da nie Gewissheit herrscht, ob man aufgrund von bestehenden Platzreservationen wirklich mitfahren kann oder nicht. Dennoch bin ich nicht schlüssig, ob ich lieber das irische «Take it easy» oder die britische Genauigkeit bevorzuge. Beides hat seine Vor- und Nachteile.
Auf dem Rückweg nach Dublin fuhr der Bus, in dem ich sass, an einem kleinen Vorort von Belfast vorbei. Wie so viele Male während meiner Reise staunte ich. In diesem Vorort hingen nebst britischen Flaggen auch Banner der UVF, auf denen teilweise gar der Slogan «For God and Ulster» stand. So ganz verarbeitet, schien man den Konflikt auch im Norden der Insel noch nicht zu haben.
Irland im Brexit-Chaos
Die neuen Diskussionen über den Brexit werfen in der Debatte um Irland neue Fragen auf. Sollte Grossbritannien die EU verlassen, würde zwischen Irland und Nordirland eine EU-Aussengrenze entstehen, was Konfliktpotenzial bietet. Nach Boris Johnson, dem neuen britischen Premierminister, soll der Brexit ohne weiteres durchgeführt werden, obwohl sich die irische, sowie die nordirische Bevölkerung dagegen aussprechen. Ob bereits Pläne für eine Lösung der Irland-Frage existieren, die allen Seiten entsprechen, bleibt unklar. In Dublin und in Belfast ist die «Brexit-Stimmung» zu spüren. Trotz der Gelassenheit der Iren: Niemand weiss, wohin die Zukunft beider Staaten führt.