Am Abend vor einem wichtigen Termin gelten meine Gedanken meist nur einer Sache. Nicht dem bevorstehenden Ereignis selbst, sondern der nervenaufreibenden Sorge: «Wache ich morgen pünktlich auf?» Meist ist dies aber die kleinste Sorge, die ich mir in solch einer Situation machen sollte. Sven Hedin beschrieb diese Art von Gedankengang sehr treffend:
«Von allen Sorgen, die ich mir machte, sind die meisten nicht eingetroffen.»
Hedin wird als Geograph und Entdeckungsreisender das Problem nur zu gut gekannt haben. Im Wort Entdeckungsreise steckt schon der Begriff des Entdeckens und dementsprechend auch des Neuen, Unbekannten drin. Auf solch einer Reise kann alles mögliche eintreffen und die Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen Sorgen mit diesen Ereignissen deckungsgleich sind, scheint ziemlich klein zu sein. Auch als Geograph, vor allem in der heutigen Zeit, müssen sich sehr viele Sorgen ergeben, die schlussendlich nicht eintreffen. So sagte mein ehemaliger Geographielehrer immer, dass sein Fach einen solch grossen Umfang habe, dass er sich sorge, gar nicht alle Interessen unserer Klasse abdecken zu können. Zu seinem Glück ist dies aber nicht eingetroffen. Denn zu seinem Pech gab es in unserer Klasse keine geographischen Interessen.
Das Einzige, was uns von Zeit zu Zeit beschäftigte, war der aktuelle Stand des Wetters. Da auch dieses und die gefühlt zwei duzend verschiedenen Formen von Wolken in jenen Unterrichtsstunden zur Diskussion standen, gab es doch einige interessante Erkenntnisse. Ich sah ein, dass wenn es an einem Tag bewölkt war, ich mich immer sorgte, ob es denn nun regnen würde. Ob es regnen würde und ich meinen Schirm einpacken, dafür aber den Apfel auspacken und schlussendlich hungern müsste. Dass dann aber die Sonne scheint, ich Durst empfinden und natürlich keine Wasserflasche eingepackt haben würde, darum sorgte ich mich nicht. Genauso wenig wie um die Zensur der Prüfung, welche die Erkennung von Wolkenformen beinhaltete.
Schlussendlich wusste ich nur so viel: «Ist der Regenschirm dabei, kommt schon bald die Sonn’ herbei»
Doch während ich neue Sprichwörter empfinden, sorgen sich die Sprachwissenschaftler um den Verlust der alten Redensarten. Die Kultur wird verarmen, die Sprachnot ausbrechen und die Kommunikation schlussendlich komplett fehlschlagen. Diese Theorien wurde bereits so gut durchdacht, dass es für andere Szenarien gar keinen Platz mehr gibt. Dummerweise wären eben diese um einiges relevanter, da sie es sind, die schlussendlich eintreffen.
So kommt es jedoch meistens. Egal ob Entdeckungsreisender, Geograph, Sprachwissenschaftler oder Kantischüler, wir alle haben die blühende Fantasie angeboren. Wir generieren in unseren Köpfen Szenarien, malen sie bunt mit allen Farben aus und halten an ihnen fest. Wir sorgen uns um Probleme, welche fern in der Zukunft liegen, nur um schlussendlich überrascht zu werden. Bekanntlich kommt es nämlich immer ganz anders als erwartet. Macht aber nicht eben dies das Leben so spannend und überraschend? Dass meist das eintrifft, womit niemand gerechnet hätte? Es sorgt zumindest für Abwechslung, soviel steht fest. Genau so abwechslungsreich ist es übrigens auch, am Tag eines wichtigen Termins pünktlich zu erwachen, nur um dann festzustellen, sich um eine Woche vertan zu haben.
Doch wer macht sich im Voraus über solch einen Fehler schon Sorgen?