Solidarität ist ein Begriff, der gerade in der momentan herrschenden Corona-Krise sehr an Bedeutung gewonnen hat. Aus Solidarität gegenüber anderen tragen wir Masken und akzeptieren die vielen Einschränkungen. Doch das ist nur die eine Seite der Solidarität. Kann Solidarität überhaupt gerecht sein?
Diese Frage habe ich mir selbst im letzten Jahr viel gestellt. Denn gerade mit allen Massnahmen, welche zur Eindämmung des Virus Sars-Covid-19 ergriffen werden, sind wir wohl solidarisch gegenüber Risikopatienten, doch setzten auf der anderen Seite ganze Existenzen aufs Spiel. Denn wir schliessen Restaurants und Betriebe, welche möglicherweise unter normalen Umständen schon nur knapp über die Runden kommen. Ich möchte hier keinerseits über die Massnahmen urteilen, denn ich würde selber nicht gerne in der Haut derer stecken, die genau diese Regelungen beschliessen müssen.
Doch dies nur am Rande. Warum ich mich genau für dieses Thema entschieden habe, hat einen Grund: An einem schönen Samstagabend genoss ich die Zeit mit Freunden an der Sihl und spazierte etwas durch die Stadt, als ein Hilferuf aus einer Seitengasse kam. Ich erschrak und war mir im ersten Moment nicht ganz sicher, was ich tun sollte. Doch wir gingen zu der hilfesuchenden Frau hin und versuchten sie zu beruhigen. Sie war drogenkrank. Einige Zeit sprachen wir mit ihr und sie begann etwas zu erzählen. Aus ihrem Leben und darüber, wie viele Menschen vor uns an ihr vorbeigegangen seien. Dieser zweite Teil schockierte mich besonders. Klar es war Samstagabend und auch wir genossen unsere Zeit, doch an einem solchen Hilferuf einfach vorbeizugehen, erfordert für mich eine enorme Portion Dreistigkeit.
Am Abend zuhause ist mir diese Geschichte noch einmal durch den Kopf gegangen und ich habe sie in Verbindung mit der Solidarität, an welche momentan appelliert wird und welche von sehr vielen Menschen hochgehalten wird, bringen wollen. Doch für mich ergab das keinen Sinn. Wie kann man in der einen Situation so solidarisch sein und wo anders überhaupt nicht? Ist es nur, weil es einmal einem praktisch aufgezwungen wird und ein enormer sozialer Druck herrscht? Und sobald man unbemerkt wegsehen kann ist es wie nicht dagewesen?
Was ist der Unterschied zwischen einer Frau in Not zu helfen und im ÖV eine Maske zu tragen, um andere nicht zu gefährden?
Aus meiner Sicht würde Solidarität eben bedeuten, dass es da keinen Unterschied gibt. Solidarität sollte doch sein, dass man anderen Menschen hilft und dabei einen Zusammenhalt in der Gesellschaft bildet.
Dass Solidarität nicht immer ganz gerecht sein kann, ist mir mittlerweile auch bewusst geworden. Denn den Bedürftigen zu geben und die Schwachen zu schützen geht auch immer zwangsmässig auf die Kosten anderer. Wichtig ist einfach dies anzuerkennen und sich bewusst zu sein, dass nicht immer alles gerecht sein kann. Denn wie Platon schon gesagt hat:
«Die schlimmste Art der Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit.»