Bei den Zürchern Kantonsratswahlen am 24. März gelang Leandra Columberg Historisches: Die erst 19-Jährige wurde zur jüngsten Kantonsrätin Zürichs gewählt. Drei Monate nach ihrem Wahlsieg spricht sie mit Tize über ihre bisherigen Erfahrungen, ihren Plänen und wie sie zum politischen Weltgeschehen steht.   

Leandra Columberg aus Dübendorf (ZH) ist 19 Jahre alt und wurde am 24. März als SP-Kandidatin und jüngstes Mitglied der Geschichte in den Zürcher Kantonsrat gewählt. Politisiert wurde sie während ihres Austauschjahres in den USA, als sie den Wahlkampf von Donald Trump mitverfolgt hatte und in der Schweiz mit der Durchsetzungsinitiative konfrontiert wurde. «Die Tendenzen, die es in den USA und in der Schweiz gab, haben mich beunruhigt», meint sie. Als SP-Kantonsrätin möchte sie sich vor allem für Chancengleichheit in allen Lebensbereichen einsetzen- egal, ob es in der Bildung oder bei der Gleichstellungspolitik ist. «Ich setze mich für eine Politik ein, die den Menschen in den Vordergrund stellt, auf die Bedürfnisse der Leute eingeht und zugänglich ist», würde sie ihre Politik in einem Satz zusammenfassen. Wichtig ist ihr, dass die Wirtschaft wieder der Menschheit dient und nicht umgekehrt.

Leandra Columberg

Im März wurdest du zur jüngsten Zürcher Kantonsrätin aller Zeiten gewählt. Wie hat sich dein Alltag seitdem verändert?

Es ist sicher so, dass Politik noch einmal mehr in den Fokus meines Lebens gerückt ist. Es gibt neue Strukturen, an die ich mich gewöhnen muss. Ich habe viele neue Kontakte geknüpft und medial eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen, die ich vorher halt nicht hatte.

Im Kantonsrat herrscht ja eine ältere Mehrheit. Hast du erwartet, dass du als junge Politikerin gewählt wirst?

Ich hatte einen guten Listenplatz, dann kann man das im Voraus etwas abschätzen. Dass es mir dann aber wirklich gelingt, hängt immer von vielen Faktoren ab. Ich habe nicht sehr damit gerechnet; ich habe gewusst, dass es eine Möglichkeit ist, aber es war trotzdem eine Überraschung, dass es doch gleich geklappt hatte. 

Ist es schwierig, sich im Kantonsrat als junge, weibliche Politikerin gegen die ältere, männliche Mehrheit durchzusetzen?

Sich durchzusetzen ist ein Aspekt. Ich wurde gleich gewählt wie jeder andere Kantonsrat und jede andere Kantonsrätin. Es ist aber sicher so, dass man nicht mit jedem denselben konstruktiven Diskurs führen kann und dass die Vernetzung zwischen den älteren, bürgerlichen Herren besser ist. Sonst denke ich, dass es eher ein gesellschaftliches Thema ist. Als junge Frau wird einem weniger Kompetenz zugeschrieben und man muss sich umso mehr beweisen, im Sinn von «Wenn ich etwas sage, dann handelt es sich um eine fundierte Meinung und dann weiss ich auch, über was ich rede.»

Gab es auch schon Situationen, in denen du im Kantonsrat oder in der Politik allgemein nicht ernst genommen wurdest?

Ein Exempel dafür sind die Kommentarspalten unserer Online-Medien. Bei öffentlich zugänglichen Medien, zum Beispiel dem Blick, gibt es Kritik gegen junge Frauen, die auf einer anderen Höhe sind. Männer werden eher aufgrund ihrer Kompetenz oder Inhalte angegriffen, während es bei Frauen oftmals abschätzende Kommentare über ihr Äusseres gibt, so latenter Sexismus. Ich denke aber nicht, dass dies eine rein persönliche Erfahrung ist, sondern dass es viele junge Frauen betrifft. Das Beste, was man da machen kann, ist, dass man solche Kommentare einfach nicht liest. Ich habe hier sicher noch Verbesserungsbedarf, denn es interessiert mich schon. Ich muss mir dann einfach bewusst machen, dass das kein Abbild der Gesellschaft ist. Es ist auch statistisch erwiesen, dass es nur eine kleine Gruppierung ist, die solche Kommentare schreibt. Es gibt auch Kommentare, die im illegalen Bereich liegen, beispielsweise Drohungen: Diese kann man aber rechtlich verfolgen. Ich versuche mich abzugrenzen, und konzentriere mich auf konstruktive Kritik.

Ausserhalb des Kantonsrats ist Columberg Präsidentin der JUSO Zürcher Oberland und im Vorstand der SP Dübendorf. Für soziale Politik sei Dübendorf ein ziemlich hartes Pflaster: Erst vor Kurzem machte die Stadt Schlagzeilen, da die Sozialamtsleiterin ihre ausländischen Klienten und Klientinnen schikanierte und rechtsextreme Tendenzen an den Tag legte. Aus diesem Grund startete Columberg eine Petition. Vorfälle wie dieser sind ein Grund, weshalb sie momentan nicht für das freie Amt als JUSO-Präsident oder JUSO-Präsidentin kandidieren wolle: «Für mich gibt es in der JUSO lokal und kantonal noch viel zu machen, bei dem ich das Gefühl habe, dass man mich mehr bräuchte.» In Ronja Jansen und Mia Jenni sieht sie zwei unglaublich kompetente Kandidatinnen, die das Amt von Tamara Funiciello hervorragend weiterführen würden. Einmal national Politik zu machen, könne sie trotzdem nicht ausschliessen. Im Bundesrat sehe sie sich aber kaum: «In der jetzigen Zusammensetzung des Parlaments wäre ich eher in der Oppositionsrolle.»

Wo sieht du in der Schweiz politisch sowie gesellschaftlich Verbesserungsbedarf?

Man hat hier ein wenig Angst vor radikalen Ideen. Es heisst oftmals «Hier muss man ein bisschen dran rumschrauben», was in gewissen Bereichen auch funktioniert. Man sollte aber auch Gesamtkonzepte überdenken und schnell handeln. Ein gutes Beispiel ist die Klimapolitik, bei der man als Politiker Verantwortung übernehmen muss. Man kann den Leuten nicht einfach sagen, dass sie ja auch in die Ferien fliegen und lieber weniger Fleisch essen sollten, was per se nicht falsch ist. Aber die Politik muss strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, die das ermöglichen.

Man sieht es bei Trump, Johnson oder bei den Europawahlen: In der internationalen Politik gibt es einen Rechtsrutsch. Ab wann siehst du in rechter Politik eine Gefahr?

Man muss sagen, dass der Rechtspopulismus im Aufmarsch ist. Aber es gibt in einigen Ländern auch gegensätzliche Bewegungen, bei denen die Sozialdemokraten gewonnen haben. Es ist schwierig zu sagen, ab wann es gefährlich wird. Ich halte den Status Quo für nicht haltbar: Es sind mehr die zusammenhängenden Konsequenzen rechter, aber auch neoliberaler Politik. Es geht nicht nur um latenten Rassismus, wenn man Trump oder Bolsonaro als Präsidenten hat. Es geht auch darum, dass man beispielsweise öffentliche Institutionen privatisiert. Ich denke auch, dass wir, etwas überspitzt gesagt, in einer Konzerndiktatur leben. Hier, finde ich, geht es in die falsche Richtung. Die akute Gefahr von Rechtsextremismus ist, dass gewisse Menschen Angst haben müssen, in unserer Gesellschaft zu existieren, weil es Hetze gibt oder Menschen ausgeschlossen werden. Es gibt auch eine gewisse Gewalt: Zum Beispiel Homophobie, die dann tatkräftig ausgeübt wird oder dass in Deutschland Flüchtlingsheime angezündet werden. Dass man Menschen sogar ertrinken lässt, ist extrem. 

Siehst du in Linksextremismus auch eine Gefahr?

Es gibt in gewissen politischen Strömungen sicher Leute, die gewaltbereit sind. Das ist etwas, das ich verurteile. Ich bin nicht der Ansicht, dass man so eine Lösung findet. Es kommt aber ganz auf die Definition von Linksextremismus an. Bei Rechtsextremismus bedeutet es meistens, dass rechte Ideen radikaler und konsequenter durchgesetzt werden. Wenn es nach dem geht, dann muss Linksextremismus nicht gleich gewalttätig sein. Es kann auch radikal sein im Sinn von «grosse Veränderungen anstreben». Das ist dann etwas, das nötig ist. Mann muss sich friedlich, aber bestimmt für eine Sache einsetzen.

Es heisst oft, dass die JUSO linker und radikaler als die SP ist. Stimmt das?

Es gibt in der JUSO wie auch in der SP ein politisches Spektrum, in dem sich die Leute bewegen. Es gibt bei beiden Parteien keine Einheitsmeinung. Dass die JUSO linker und ideologischer agiert, das ist so. Ein Grossteil der SP steht auch dahinter. Es reicht halt nicht, nur im Parlament Politik zu machen, sondern man muss auch in der Partei und Bewegung mitmachen. Zum Beispiel, dass man quasi auch ausserparlamentarisch, wie beim Klimastreik, aktiv ist. Es braucht Politik, die nicht nur im Parlament stattfindet. Im Parlament, vor allem in der Exekutive, wird man gezwungen, Kompromisse einzugehen, die von der eigenen Vision her nicht ganz stimmen. Dann passen solche Differenzen eigentlich.

Unsere Jugend wird als apolitisch bezeichnet: Wir wählen selten und hätten kein politisches Interesse. Was sagst du dazu?

Dass die junge Bevölkerung verhältnismässig eine tiefe Wahlbereitschaft hat, ist kein neues Phänomen. Bei allen Generationen vor uns hat sich das so durchgezogen. Dafür gibt es auch logische Gründe, es braucht ein gewisses Bewusstsein. Es gibt eine gewisse Komplexität und Zugänglichkeit, die ich als unzureichend empfinde. Apolitische Aspekte sehe ich nicht nur bei der Jugend, sondern in der ganzen Gesellschaft. Ich wünsche mir einfach, dass gesamtgesellschaftlich die Verknüpfung gemacht wird, dass Politik jeden Aspekt des Lebens betrifft und man mitbestimmen kann.

Was empfiehlst du Jugendlichen, die sich politisch gerne engagieren würden und sich nicht trauen?

Mir fällt auf, dass viele junge Menschen und teils auch spezifisch junge Frauen das Gefühl haben, dass Politik separat zu ihrem Leben steht. Es wirkt so hoch-komplex, dass man es selber gar nicht  verstehen kann und es für sie deshalb überhaupt keinen Platz gibt. Das zu hinterfragen und diese Bedenken wegzuräumen, ist wichtig. Zum Einen ist es so, dass man in diese Debatten hineinwächst. Zum anderen ist es wichtig, sich zu beteiligen. Man soll sich das zutrauen, sich vernetzen und mal in einer Partei, politischen Gruppierung oder einer Bewegung reinschauen. Und sich dann auch mal fragen, wo man politisch selber steht und den Mut haben, irgendwo einmal vorbeizuschauen. 


tize.ch – Redakteurin Cynthia Gehrig interviewt regelmässig junge Personen aus der Politik. Alle bisherigen Interviews zum Nachlesen gibt’s hier.

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