Als hätte ich ein unendlich grosses Loch im Kopf
Manchmal schaue ich in den Spiegel und bin mir kurz nicht sicher, wer mich da gerade anschaut.
Es macht mich kaputt, zu wissen, dass ich meine Liebsten irgendwann nicht mehr erkennen werde.
Das schlimmste für mich ist, dass ich weiss, wie sehr ich meiner Familie damit weh tue.
Solche Aussagen höre ich bei meiner Arbeit im Krankenhaus öfters und ich muss zugeben, auch ich habe davor ein wenig Angst. Aus meiner Sicht ist Demenz eine der beängstigendsten Diagnosen, die man gestellt bekommen kann. Man kann damit zwar noch viele Jahre lang glücklich und relativ normal leben aber man ist sich bewusst, wie es irgendwann enden wird. Man weiss, dass man irgendwann alles vergessen wird, sogar sich selbst. Demenz wird jedem ein Begriff sein. Ich möchte hier aber mal genau erklären, was dabei so passiert und wie die Krankheit verläuft.
Was ist Demenz überhaupt?
Demenz ist eine Krankheit, bei der man seine Erinnerungen und geistigen Fähigkeiten Schritt für Schritt über einen jahrelangen Prozess verliert. Demenz ist dabei nur der Überbegriff und es gibt viele verschieden Arten davon. Die häufigste Form ist Alzheimer. Generell ist die Krankheit aber sehr individuell und verläuft bei jedem unterschiedlich. Aktuell sind in der Schweiz rund 128 200 Menschen an Demenz erkrankt. Diese Zahl steigt jedes Jahr leider um schätzungsweise 30 400 Neuerkrankungen. Dies liegt daran, dass die Menschen in der Schweiz im Schnitt immer älter werden und der grösste Risikofaktor für Demenz das Alter ist. In den allermeisten Fällen beginnt die Krankheit nach dem 65. Lebensjahr. Die meisten Erkrankten sind Frauen, da diese im Schnitt älter werden als Männer.
Was passiert dabei im Kopf?
Beginnen tut alles bei den sogenannten Synapsen. Das sind einfach erklärt die Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Nerven. Bei diesen Übergangsstationen kommt es zu Störungen, wodurch die Übertragung von Informationen behindert oder ganz unterbrochen wird. Im Verlauf der Krankheit gehen immer mehr von diesen Synapsen kaputt und irgendwann streben auch die Nervenzellen ab. Da sich Nervenzellen im Gehirn nicht mehr erneuern, gehen so mit der Zeit immer mehr geistige Funktionen verloren. Die genaue Ursache, wodurch die Nerven kaputt gehen, ist bis heute allerdings noch unklar. Hier spricht man von einer primären Demenz.
Es gibt aber auch noch die sekundäre Demenz. Sie entsteht als Folge von anderen Erkrankungen, wie beispielsweise Suchterkrankungen, Stoffwechselstörungen, Diabetes Mellitus oder jahrelangem Medikamentenkonsum. Diese trifft allerdings nur auf etwa 10% aller Demenzfälle zu.
Wie sieht der Verlauf aus?
Stadium 1
Im ersten von drei Stadien beginnen eigentlich alle Demenzformen mit Problemen im Kurzzeitgedächnis. Die Betroffenen fangen an, vergesslich zu werden, haben Orientierungsschwierigkeiten in fremder Umgebung, können sich nicht mehr an vor Kurzem geschehene Ereignisse erinnern oder führen einfache Tätigkeiten wie Zähneputzen, Hände waschen oder Kleider wechseln mehrmals hintereinander durch. Dieses Verhalten wird aber oft als «normale Altersvergesslichkeit» abgestempelt, was zur Folge hat, dass die Krankheit in diesem Stadium noch gar nicht erkannt wird.
Stadium 2
Im zweiten Stadium wird die Krankheit langsam offensichtlich. Die Erkrankung greift langsam auch aufs Langzeitgedächnis über. Dadurch beginnen die Betroffenen, wichtige Ereignisse aus ihrem vergangenen Leben zu vergessen, sie erkennen nahestehende Personen aus ihrem Umfeld nicht mehr und es fällt ihnen zunehmend schwerer, sich in ihrer gewohnten Umgebung zurecht zu finden. Dieser Zustand ist für die Erkrankten und für die Angehörigen eine extreme Belastung. Viele Betroffene merken auch selbst, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, sie können es aber natürlich nicht richtig verstehen. Dadurch verändert sich oft auch die Persönlichkeit der Personen und viele neigen zu einem nervösen und aggressiven Verhalten.
Stadium 3
Im dritten und somit letzten Stadium beginnen sich nun auch die Körperlichen Fähigkeiten langsam zurückzubilden. In langsamen Schritten kommt es zum Sprachverlust. Schlucken und Atmen wird immer schwieriger und Darm und Blase können nicht mehr selbst kontrolliert werden. Die Personen brauchen nun rund um die Uhr professionelle pflegerische Betreuung und ein Leben bei den Angehörigen zu Hause ist so nicht mehr möglich.
Demenz selbst ist nicht tödlich. Da aber im letzten Stadium auch das Immunsystem schon sehr eingeschränkt ist, sterben viele Betroffene an Infektionskrankheiten. Die häufigste Todesursache ist dabei die Lungenentzündung, die aufgrund von der eingeschränkten Mobilität und häufigem Verschlucken kommt.
Ich durfte ein Gespräch mit jemandem aus meinem Bekanntenkreis führen, dessen Grossvater schlussendlich an den Folgen von Demenz verstorben ist. Er hat mir erzählt, wie sich das als nahestehender Angehöriger angefühlt hat und welche Erlebnisse im besonders geblieben sind.
Wie alt warst du als die Krankheit langsam bemerkt wurde?
Ich selbst war damals etwa 12 Jahre alt. Zu der Zeit hat mein Grossvater mich und meinen Bruder immer von der Schule abgeholt. Auf einmal hiess es aber, dass dies nicht mehr gehe, da er seinen Fahrausweis abgeben musste. Zu dieser Zeit wurden nämlich die ersten Symptome auffällig und auch ich habe dann realisiert, dass sich mein Grossvater langsam veränderte.
Was waren die ersten Dinge, die aufgefallen sind?
Es hat so angefangen, dass er Sachen wie Termine vergessen hat oder dass er öfter unpünktlich war. Dann wurde er zunehmend desorientiert und hat öfters gefragt, wo seine Frau den gerade sei. Weiter ging es damit, dass er Namen von bekannten Personen vergessen hat oder dass er fremde Leute auf der Strasse angesprochen hat und dachte, er würde sie kennen. Solche Situationen haben sich dann langsam aber zunehmend gehäuft.
Gibt es Situationen, die dir besonders geblieben sind?
Wir sind unter der Woche immer zu unseren Grosseltern Mittagessen gegangen. Und immer vor dem Essen hat er meinem Bruder und mir Schokolade aus einer Kiste gegeben, obwohl er es eigentlich nicht vor dem Essen machen sollte. In diesem Moment war er immer so überglücklich, weil er uns Kindern eine Freude bereiten konnte. Dieses glückliche Gesicht von ihm wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Wie hat sich dein Grossvater mit der Krankheit gefühlt?
Am Anfang hat er es noch realisiert und ihm war bewusst, dass er krank war. Er hat sich dann auch nicht mehr wirklich in die Öffentlichkeit getraut, da er Angst hatte, wichtige Dinge zu vergessen oder auf gewisse Fragen keine Antwort gegeben zu können. Wichtige Dinge in der Stadt hat er dann ausschliesslich früh morgens erledigt, da zu dieser Uhrzeit noch am wenigsten Menschen unterwegs waren. Ihm war das ganze noch eine ziemlich lange Zeit sehr präsent und er hat mir auch einmal erzählt, dass es ihm wirklich Angst mache, so vieles zu vergessen und dass er zwischen durch aus dem nichts einfach vergesse, wer er selber denn sei.
Wei seid ihr als Familie damit umgegangen?
Wir haben probiert immer möglichst gelassen und normal damit umzugehen. Wir haben stets alle Fragen, die er hatte, beantwortet und die Dinge, die er vergass immer und immer wieder mehrmals erklärt. Es gab Situationen in denen er selber ausgerastet ist, da er auf sich selber sauer war das er so vieles vergass und das ihn die einfachsten Dinge nicht mehr einfielen. Wir waren bis zum Ende als Familie immer die wichtigsten Menschen in seinem Leben. Bei uns kam er zur Ruhe und er wusste, dass wir ihm immer verständnisvoll mit Allem helfen würden.
Die Pflege zu Hause war sicher nicht einfach. Wie habt ihr das koordiniert?
Unsere Grossmutter hat sich eine sehr lange Zeit um ihn zu Hause gekümmert. Die Betreuung für sich war aber äusserst anstrengend, so dass sie schlussendlich selber psychisch krank wurde. Dies ging solange, bis er dann aufgrund einer Lungenembolie ins Krankenhaus musste. Dann wurde in einem Pflegeheim ein Platz für ihn frei. Durch den Umzug ins Heim fiel unserer Grossmutter eine riesen Last von den Schultern und sie war spürbar erleichtert. So konnte sie selbst auch Schritt für Schritt wieder gesund werden.
Wie ist es schlussendlich mit der Krankheit zu Ende gegangen?
Die letzte Lebensphase hat er im Pflegezentrum verbracht, wo man ihn am besten betreuen und fördern konnte. Die Krankheit schritt aber auch dort leider weiterhin stetig fort. Eines Tages erlitt er dort auf einmal einen Schlaganfall, welcher vor allem aufs Sprachzentrum und auf die Nahrungsaufnahme schlug. Er konnte dadurch nicht mehr selber essen und sprechen. Sein Zustand hat sich dann langsam verschlechtert, bis er irgendwann einfach friedlich einschlafen konnte.
Kann man Demenz heilen?
Nein. Das ist heutzutage leider noch nicht möglich. Man kann aber die Symptome und die Beschwerden lindern und das Fortschreiten der Krankheit bei früher Erkennung etwas verlangsamen. Die Behandlung besteht aus medikamentöser- und nichtmedikamentöser Therapie. Die Pflege von heute ist an vielen Orten spezialisiert auf die Behandlung und Betreuung von an Demenz erkrankten Personen und deren Angehörigen. So können auch Menschen mit dieser für sie wirklich belastenden Krankheit noch viele friedliche und lebenswerte Jahre verbringen.