Im alten Griechenland war sie bezaubernd und mächtig – Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe. Doch wie würde sie sich in der heutigen Zeit bewegen, zwischen Smartphone, bizarren Esstrends und Tinder? Wie würde sie mit einem Kater umgehen? Hier ist nun der 3. und auch letzte Teil der Kurzgeschichte «Eine Göttin im 21. Jahrhundert» – ich hoffe, sie hat euch gefallen.
«Dann geh doch mit Hera an dieses Theater, Hephaistos», schreie ich ins Telefon. «Mach was du willst!» Wütend lege ich auf. Die Beziehung zu meinem Ehemann ist einfach nicht mehr dieselbe. Ständig geht er mit anderen aus und ständig muss ich ihm hinterherrennen. Er gibt sich keine Mühe mehr und ich war von ihm enttäuscht.
Ich höre Tina in ihrem Zimmer kichern. Sie und der schöne Nachbar sind schon den ganzen Morgen dort. Einmal ist sie kurz herausgekommen, um sich ein Sandwich zu holen. Ihre Augen haben gestrahlt und sie hat glücklich ausgesehen. So glücklich, dass ich fast ein bisschen eifersüchtig geworden bin.
Ich versuche mich zu erinnern, wie es ist, verliebt zu sein. Als Hephaistos um mich geworben hat, hat er mir Blumen gebracht, Gedichte geschrieben und mit anderen Männern um mich gekämpft. Erst dann habe ich ihn getroffen. Heute scheint das anders zu laufen. Tina hat mir heute Morgen erzählt, der schöne Nachbar hätte sie zum Essen eingeladen. Und anscheinend hat ihr das gereicht.
Dann erinnere ich mich daran, wie glücklich Tina ausgesehen hat. Vielleicht ist diese Art der Liebe doch nicht so schlecht, vor allem wenn ich dran denke, wie Hephaistos und ich in letzter Zeit immer streiten. Vielleicht ist weniger mehr.
Seufzend gehe ich nach draussen, um die Post zu holen. Beim Durchblättern der Briefe stutze ich: Hephaistos hat mir einen Brief geschickt. Der Umschlag fühlt sich dick an. Ich setze mich auf mein Bett und öffne ihn. Es ist ein zehn seitiger Brief über Liebe, Vertrauen und Freundschaft. Lächelnd lese ich ihn und bin plötzlich doch froh, dass ich im Olymp die Liebe gefunden habe und nicht hier bei den Menschen.
Bildquellen
- Aftertaste: jugendfilmtage.ch