Im alten Griechenland war sie bezaubernd und mächtig – Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe. Doch wie würde sie sich in der heutigen Zeit bewegen, zwischen Smartphone, bizarren Esstrends und Tinder? Wie würde sie mit einem Kater umgehen? Hier ist nun der 2. Teil der Kurzgeschichte «Eine Göttin im 21. Jahrhundert» – nächste Woche kommt der 3. Teil.
Ich nehme gerade die Lasagne aus dem Ofen, als Tina die Wohnung betritt. «Ich bin zuhause», schreit sie und wirft ihre Jacke auf den Boden. Ich stelle zwei Teller auf den Tisch und frage: «Und, wie war’s?» Tina seufzt und setzt sich an den Tisch. «Joa, nicht schlecht. Er war nett.» Auch ich setze mich an den Tisch und schaue zu, wie Tina die Lasagne herunterschlingt. «Also trefft ihr euch wieder?» frage ich neugierig. «Nein», antwortet sie. Ich schaue sie fragend an. «Es hat halt nicht gefunkt. Aber Morgen treffe ich den süssen Nachbarn von unten.» Sie steht auf und verschwindet in ihr Zimmer.
Während ich die Küche aufräume, mache ich mir Gedanken zu Tina und zur heutigen Zeit. Sind alle Menschen so oberflächig? Anscheinend entscheidet man heutzutage nur anhand des Aussehens, ob man jemanden treffen will oder nicht. Eigenschaften wie Mut oder Intelligenz scheinen unwichtig. Auch längere Texte gehören der Vergangenheit an, geschweige denn Gedichte. Wenn ich mir die SMS von Tina so anschaue, kann man schon froh sein, überhaupt noch einen vollständigen und korrekten Satz zu erhalten.
Ich ziehe mir den Mantel an und gehe nach draussen. Nicht nur im Einkaufszentrum, auch hier auf der Strasse liegt Hektik in der Luft. Autos hupen, sobald es grün wird, Leute rempeln einander an, ihr Blick ist auf das Handy in ihrer Hand gerichtet. Überall blinken elektronische Tafeln auf und der Lärm ist ohrenbetäubend. Mir wird schwindelig und ich setze mich auf eine Bank. Alles ist mittlerweile so schnell und von überall her wird man reizüberflutet. Ich schliesse die Augen. Natürlich gehen so die wichtigen Dinge im Leben verloren, es ist ja fast unmöglich, sich noch auf sie zu konzentrieren.
Auf dem Nachhauseweg wurde mir klar, dass diese Vergänglichkeit sich auch auf menschliche Beziehungen auswirkt. Heute der Kerl von Tinder, morgen der Nachbar von unten. So verhält es sich auch mit den Freundschaften: Während letzte Woche noch Lea die beste Freundin von Tina war, ist sie diese Woche eine doofe Kuh. Beständigkeit scheint mittlerweile ein Fremdwort zu sein. Und während ich unsere Wohnung aufschliesse, frage ich mich, wo die Liebe geblieben ist.