Die Sonne ist bereits untergegangen und die wenigen Strassenlampen erhellen den Weg nur spärlich. Sie ist die einzige Person auf dem Bürgersteig und auf dem Weg nach Hause. Von weitem hört sie ein Auto über den Teerboden rollen. Je näher es kommt, desto langsamer wird es. Die Situation ist ihr unangenehm, sie kriegt ein mulmiges Gefühl und erhöht ihr Schritttempo. Gleich kann sie abbiegen und das Auto wird sehr wahrscheinlich geradeaus fahren. Gleich, gleich… Zur Sicherheit kramt sie trotzdem schon mal ihren Schlüssel aus der Tasche. Sie biegt ab, das Auto fährt weiter geradeaus. Sie hört noch, wie ihr nachgepfiffen wird.

Die geschilderte Situation ist ein Beispiel, doch es könnte genauso gut real sein und ist es wahrscheinlich auch heute für etliche Frauen. Dazu passt ein Post, den ich in letzter Zeit öfters in Instagramstories gesehen habe: 

«Wenn ich für einen Tag ein Mann wär, würd ich mir nen ausgedehnten Nachtspaziergang durch verlassene Gassen gönnen»

Unter dem originalen Post gibt es vor allem zwei Kategorien von Kommentaren. Die bejahenden, meist von Frauen geschrieben, die wissen, was mit diesem Post gemeint ist und eventuell auch schon Situationen wie die oben geschilderte erlebt haben. Und dann gibt es noch die Verständnislosen, schon beinahe streitsuchenden und Hate-Kommentar Gleichenden. Selbstverständlich ist der oben erwähnte Post reisserisch und provokativ verfasst, doch dahinter steckt eine Wahrheit, die sich manch einer einfach nicht vorstellen kann. Ja, bedroht und ausgeraubt kann jeder werden. Ebenso vergewaltigt, doch dass Frauen viel öfter Aktionen wie die oben beschriebene erleben ist ebenso Tatsache und auch genauso unangenehm, wie man es sich vorstellt.

Unschöne Realität

Tagtäglich wird vielen Frauen nachgepfiffen, nachgehupt, ihnen werden von weitem degradierende Sprüche an den Kopf geworfen und meistens ignorieren wir es einfach oder quittieren es mit einem erzwungenen, leicht abgeneigten Lächeln. Denn wir haben nicht danach gefragt. Weder mit einer Kleiderwahl noch mit den Körpermerkmalen. Einer der wohl unangebrachtesten Sprüchen, die als Antwort auf solche Erzählungen gemacht werden, lautet wie folgt: «Ist doch nicht so schlimm, sieh es als Kompliment!». Ob solche Aktionen, die auf mich einen eher sexistischen als charmanten Eindruck machen, wirklich Komplimente sein können, ist meiner Meinung nach fraglich. Ebenso ob es gerechtfertigt ist, Frauen an diesem Punkt für ihre «Dünnhäutigkeit» zu tadeln, «da sie ja schliesslich auch hätten vergewaltigt werden können.» 

Doch was will die Gesellschaft einer Frau damit sagen? Dass Sie erst das Recht hat, sich über unangenehme Situationen zu empören, wenn es bereits zu einem Übergriff gekommen ist? Dass sie sich von Kommentaren oder sogar Belästigungen wie ungefragtem Anfassen des Hinterns in einer Bar einfach geschmeichelt fühlen soll? Dass eine Frau «selber schuld» ist, wenn sie abends noch durch dunkle Gassen geht, selbst, wenn diese zu ihr nach Hause führen?

Ein vielschichtiges Problem

Natürlich reden und reagieren nicht alle Menschen so, doch das Verharmlosen solcher Aktionen, die Frauen klar auf eine niedrigere Stufe stellt, herrscht noch erschreckend stark vor. Wohlgemerkt nicht nur in den Köpfen von Männern sondern auch genauso stark in denen der Frauen. Es geht nämlich gar nicht darum, allen Männern kategorisch einen Sexisten-Stempel aufzudrücken, sondern den noch immer allgegenwärtig vorherrschenden Geschlechterbildern. Zu dem beschränkt sich dieses degradierende und oft sexistische Verhalten gegenüber Menschen nicht nur auf Frauen, sondern schliesst beispielweise auch feminin wirkende Männer oder Transmenschen mit ein.

So ist es leider eine Tatsache, dass wir als Gesellschaft zwar die Gleichbehandlung aller anstreben, aber noch immer weit davon entfernt sind. Deswegen ist es wichtig, diese Themen nicht einfach wegzuschieben. Sexuelle Belästigung ist nicht nur Vergewaltigung oder ungefragtes Anfassen. Sie beginnt bei verbalen Äusserungen und Situationen, wie oben eine geschildert ist und schliesst auch Dinge wie ungefragt erhaltene Dickpics ein. Deswegen ist es noch immer ein Problem und kein Kompliment, wenn dir am nächsten Wochenende im Ausgang jemand nachhupt oder sich mit unangebrachten Bildnachrichten in deinen Instagram DM’s tummelt. 

Geschrieben von:

"Write it. Shoot it. Publish it. Crochet it. Sauté it. Whatever, Make!" - Joss Whedon

Was ist deine Meinung? Schreib einen Kommentar!