Schweizerischer Besuch für die Cinque Terre

Im ersten Teil meiner Serie «Interrail in Italien» habe ich über meine Erfahrungen und Eindrücke der beiden Städte Florenz und Napoli geschrieben. Nach einer Woche Arbeit in der Schweiz ging meine Interrail-Reise in Italien weiter. Diesmal keine Grossstädte, sondern Fischerdörfchen. Und zwar wollte ich endlich die wohl berühmtesten Fischerdörfchen ganz Italiens sehen, nämlich die «Cinque Terre» an der schroffen ligurischen Küste mit den fünf Ortschaften Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore. Die farbigen Häuser, die pittoresken Schiffe, die rauen Steinwände – sind die «fünf Erden» den Hype wert? Ein Einblick in den zweiten Teil meiner Zugreise durch Italien.

Als ich am Montagmorgen früh in den Zug stieg, hielt ich meinen Regenschirm etwas bibbernd in der Hand. Ich war froh, die regnerische Schweiz für den Moment hinter mir zu lassen und hoffentlich Energie tanken zu können. Meine Batterien hatten nämlich schon seit einigen Tagen einen roten Balken (eine Woche als Lagerbegleitung ist eine unglaublich wertvolle Erfahrung, bei der jedoch der Panda-Style mit blauen Ringen unter den Augen als unerwünschte Begleiterscheinung kommt). Die Zugfahrt von Zürich nach Genua verbachte ich demnach schlafend. Beim Umsteigen in Genua hörte ich neben mir Menschen, die ebenfalls froh schienen in die Wärme und Sonne fahren zu können. Es waren Schweizer, ein älterer Herr mit seinem Sohn für die alljährlichen gemeinsamen Italienferien.

Zusammen warteten wir auf unseren Zug. Der Herr tat sich äusserst schwer mit dem Warten: Er lief alle fünf Minuten zum Bildschirm, der die Gleisnummer bekannt gibt. Der Sohn und ich lächelten still, als der Herr erklärte, er habe kein Vertrauen in das italienische Zugsystem. Nach dem vierten Mal zum Bildschirmlaufen, rief er ganz aufgeregt und ja, sogar stolz: «Gleisänderig, mir stönd komplett uf em falsche Gleis!». Einige Touristen sahen ihn etwas verdutzt an, doch wir nahmen unsere Koffer und konnten gerade noch in den richtigen Zug springen. Zum Glück hatte ich diese beiden getroffen, sonst hätte ich vielleicht sogar in Genua übernachten müssen, weil ich am falschen Gleis gestanden bin.

Französische Riviera à la italiana

Als ich mich von meinen schweizerischen Bekanntschaften verabschiedet hatte und meinen Fuss auf den Bahnsteig von Santa Margherita/Portofino setzte, zog ich erst mal meine Jacke aus und genoss den lauwarmen Wind, der mir um die Nase strich. Da war es wieder: La dolce vita italiana. Da die Unterkünfte in den Cinque Terre, wie die Italiener sagen, «un occhio della testa» kosten (also für eine Studentin wie mich nicht gerade erschwinglich sind), hatte ich mich entschieden, hier in Santa Margherita zu logieren. Meinen Koffer polternd und ruckelnd, machte mich auf den Weg zum Zimmer, das ich auf Airbnb gefunden hatte.

Nachdem ich mich in meinem einfachen, aber sehr sauberen Zimmer eingerichtet hatte, zog ich los, um nach dem vielen Sitzen mir die Beine zu vertreten und vor allem, um Santa Margherita, die «Perle der Tigullien», zu erkunden. Mein erster Eindruck war, dass mich dieses Städtchen sehr an Hafenstädte der französischen Côte d’Azur erinnerte. Das italienische Saint Tropez. Die elegant gebauten Gebäude, die hohen Palmen und die pompösen Jachten gehörten zum Setting. Doch davon sollte ich später noch mehr sehen.

Ich lief weiter entlang der Küste, etwa eine Stunde. Mein Ziel: Portofino. Der «feine Hafen» also. Und ob es das war: Luxusmarken wie Louis Vuitton, Alexander McQueen und Dior setzen hier die Klasse. Ein bisschen weiter unten am Hafen sah ich auch, wieso: Jachten an Jachten reihten sich nebeneinander. Die eine schicker und monströser als die andere. Ich kletterte einige Treppen hoch und fand eine ruhige kleine Piazza, von der aus ich den Sonnenuntergang bestaunen konnte. Als ich wieder nach unten kam, hatte sich eine Band auf dem Hafenplatz installiert und Klarinettenlaute machten die romantische Stimmung einer Hafenidylle komplett. Als Soloreisende fühlte ich mich ehrlich gesagt schon etwas fehl am Platz, doch auch ohne romantische Begleitung konnte mich diese kleine Bucht verzaubern. Ich nahm den (EU-gesponserten) Bus zu meinem Zimmer und ging früh schlafen.

Ein Tag – fünf Fischerdörfchen (plus ein Marathon)

Am nächsten Morgen standen die fünf Städtchen auf dem Plan. Ich war früh auf den Beinen, um die Touristenmassen zu vermeiden. Ob mein Plan aufgegangen ist? Leider nein. Schon in der ersten Stadt, Monterosso, hörte ich mehr Englisch und Deutsch als Italienisch. Monterosso ist vor allem für seinen prachtvollen Sandstrand bekannt, das wusste ich schon bevor ich dort war. Wie sich herausstellte: viel mehr hat Monterosso (mir) nicht zu bieten. Es gibt eine Strandpromenade mit den üblichen Souvenirshops, ein paar halbherzliche Cafés und einige farbige Häuser natürlich. Von Monterosso etwas enttäuscht, stieg ich wieder in den Zug und fuhr weiter nach Vernazza. Doch auch hier: die Hauptgasse, Ähnlichkeiten mit einem Pilgerweg. Bedauerlicherweise. Ich ging zum kleinen Hafen und betrachtete die hin und her wippende Fischerboote. Dort fand ich einen kleinen Turm, auf den man steigen konnte gegen zwei Euro Eintritt. Die Aussicht von diesem Turm aus: rosa und gelbe Häuschen, die ligurische Küste und eine grosse EU-Flagge. EU hat ordentlich Geld in die Infrastruktur gepumpt, um diesen Orten die Infrastruktur zu ermöglichen, die für den Tourismus unerlässlich ist. Chapeau vor der EU. Mein Fazit jedoch: Vernazza wäre wohl sehr charming und idyllisch, aber für mich zu viele Menschen.

Nächster Halt: Corniglia. Ich kam an und sah erstmal wieder eine riesige Menschenmenge auf der Strasse stehen. Wie sich jedoch herausstellte, warteten die alle auf einen Bus, der sie auf den Hügel hochfahren würde. Zum Glück mache ich gerne Sport und so lief ich eine lange Treppe hoch in das Dörfchen. Es war zu meiner Freude viel weniger überfüllt als Monterosso und Vernazza. Ich stiefelte die kleinen Gässchen entlang, sah mir die Aussicht der Küste von einer Terrasse her aus, bis mein Magen sich knurrend zu Wort meldete. Ich entschied mich für eine kleine Osteria in der Hauptgasse. Kaum war ich drinnen, sah ich eine etwa 50-jährige Frau allein an einem Tisch sitzen. Sie winkte mich zu sich rüber, als sie hörte, dass ich ebenfalls nach einem Tisch für eine Person gefragt hatte. Ihr Name war Jeanette, eine Amerikanerin mit italienischen Wurzeln, die für die wohlverdienten Ferien zusammen mit ihrem Mann in ihr Heimatland gereist war. Ihr Mann chillte zu dieser Zeit im Hotel; ihm wären die Treppen zu anstrengend gewesen, wie sie lachend erklärte. Jeanette und ich verstanden uns gleich auf Anhieb prächtig. Wir schwatzten über alles Mögliche: die Italienreise, die Familie, die Schulsysteme, die Migration (ihre Vorfahren von Italien in die USA und meine Mutter von Schweden in die Schweiz), aber auch Politik, viel Politik. Jeanette sorgt sich nicht nur um die Zukunft ihres eigenen Landes, sondern um die der ganzen Welt. Es war hochspannend, die ganze politische Lage mal von jemandem erklärt zu bekommen, der kein Beobachter von aussen ist, der die ganzen Ereignisse hautnah miterlebt hat und der erzählen kann, wie es ist, wenn sein Land von einer immer tiefer werdenden Kluft gespalten wird.

Nach einem langen Mittag verabschiedete ich mich mit einer festen Umarmung von Jeanette. Ich lief die kleinen Gässchen entlang, um nach einem Ort zu suchen, wo ich meine Postkarten schreiben kann. Einige Treppen weiter sah ich ein offenes Türchen und schlüpfte hinein. Glückstreffer: ich hatte die wohl schönste Terrasse von Corniglia gefunden. Obwohl ich mir recht schnell sicher wurde, dass dieser unglaubliche Ort wohl privat sein musste, konnte ich mich einfach nicht losreissen von diesem Anblick. Es ging nicht. Und solange sich niemand beklagte, beschloss ich zu bleiben. Ich setzte mich auf das Bänkchen und genoss einfach den Moment. Es war die bezaubernde Idylle, für die ich gekommen war. Ich atmete den Duft der Oleanderblüten ein, spürte die Sonne auf meiner Haut, hörte die Wellen. Nach einer langen Zeit setzte ich mich an den Tisch und schrieb die Postkarten für meine Familie und Freunde. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn es das Paradies gibt, sieht es wohl so aus wie hier. Auf jeden Fall hoffe ich das.

Nach einigen Stunden lief ich die vielen Treppen wieder herunter und fuhr mit dem Zug nach Manarola. Hier fand ich eine Piazza mit einer wunderschönen Kirche, die man kostenlos besuchen konnte. Ich ging hinein und betrachtete die vielen Wandbilder, Verschnörkelungen und Statuen. Kurz darauf beschloss ich, trotz meiner Fussausrüstung, die Wanderung in das fünfte und für mich letzte Städtchen, Riomaggiore, zu wagen. Google Maps gab an, dass es nur eine knappe halbe Stunde gehen würde. Ich machte mich auf den Weg. Wobei «Weg» nicht das richtige Wort ist; ich machte mich auf die Treppen, denn der ganze Weg bestand nur daraus. Ich traf einige schwitzende und keuchende Menschen und merkte bald, dass diese Wanderung nun wortwörtlich echt kein Spaziergang war. Nach 30 Minuten hatte ich nicht mal die Hälfte der Treppen. Ich war immer noch auf der Seite von Manarola. Nach anderthalb Stunden erreichte ich endlich Riomaggiore. Tipps einer aus Erfahrung sprechenden Person: nicht in Sandalen in den Cinque Terre wandern. Nicht Google Maps vertrauen. Viele Snacks einpacken. Als Belohnung für meine grossartige sportliche Aktivität begann es zu regnen. Yey. Ausgehungert, verregnet und erschöpft blieb ich nicht lange in Riomaggiore, obwohl dieses Dörfchen auf Instagram wohl das Gehypteste von allen war. Ich kaufte das wohlverdiente Sandwich und wartete auf meinen Zug, der mich nach Santa Margherita brachte.

Pittoresk aber mit Klaustrophobie-Warnung

Am nächsten Morgen wollte ich eigentlich eine weitere Stadt namens Canoli besuchen, doch es regnete und ich war von den gestrigen 28’000 Schritten ausgelaugt. Ich blieb den Tag über in Santa Marghetita, stiefelte in den Gässchen herum, ging in ein paar kleine Lädelchen und kaufte für meine Familie Mitbringsel.

Nach drei Tagen an der ligurischen Küste war es Zeit für mich, nach Hause zu fahren. Ich reflektierte im Zug über die Orte, die ich in diesen Tagen besucht hatte. Als ich nämlich meine Interrail-Reise plante, war von Anfang an klar gewesen: Cinque Terre – hier muss ich hin. Dass ich nicht die Einzige mit diesem Gedanken sein kann, war mir klar, aber dass die Touristenmassen auch im September noch eine solche Dimension annehmen würden, das hätte ich nicht gedacht. Meine ehrliche Meinung: Ich bin froh, die Cinque Terre nicht nur durch Instareels zu kennen, sondern mit eigenen Augen gesehen zu haben. Die Dörfchen sind die Definition von pittoresk. Die farbigen, etwas heruntergekommenen Häuser, in Steinwände gebaut, die sich trotz der Schroffheit der Küste behaupten können, sind etwas Einmaliges. Das Grün der Hügel, das Türkis des Meers, das Pink der Oleanderblüten: Die Farben sind wirklich so gesättigt wie auf Bildern.

Und doch glaube ich nicht, dass ich so schnell nochmals kommen werde. Obwohl ich selbst Teil dieser Masse bin: Die Touristen nehmen der Region den Charme. Schön und gut, dass die EU so viel Geld in die Infrastruktur investiert hat, um den Tourismus anzukurbeln. Die Kurbel wurde aber zu gut geölt. Ich habe Angst, dass den Cinque Terre dasselbe Schicksal wie Mallorca oder Benidorm droht: nämlich, dass die Kurbel so schnell dreht, dass sie abspringt und kaputtgeht. «Overtourism» ist in meinen Augen auf für die Cinque Terre ein reales Problem, aber es ist ein zweischneidiges Schwert: Die lokale Bevölkerung lebt von den Touristen. Sie sind ihre Einnahmequelle. Doch ich glaube, wenn es so weitergeht, werden immer mehr und mehr meine Meinung teilen: Einmal gesehen, das reicht völlig, lieber verschanze ich mich an einen anderen, stilleren Ort im Land der Pizza. Vielleicht habe ich an meinen nächsten Reisezielen, Tropea in Kalabrien und Palermo auf Sizilien, mehr Glück.

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