In der Schweiz wirbelt Frau Holle ihren Schnee mit unermüdlicher Hand über das Land, deckt Dächer und Strassen in makelloses Weiss. Die SBB-Schlitten fallen aus, dafür kann man den richtigen Schlitten aus dem verstaubten Ecken holen und den Schnee wie in den guten alten Zeiten geniessen. Ein Szenario, das kaum weiter entfernt sein könnte von der Wärme und Sonne, die ich in den letzten zwei Monaten entdeckt habe.

Wer meine Reiseberichte verfolgt hat, weiss, dass ich auf Interrail-Tour durch Italien war. Ligurien, Cinque Terre, Florenz, Neapel – und dann: Tropea, die Perle Kalabriens, ein Ort, der Herkules selbst einst Erholung versprach. Der Legende nach nannte man ihn „Herkuleshafen“, und wenn ich ehrlich bin, ich verstehe warum. Tropea ist nicht nur schön – es ist Magie, in Stein und Meer gegossen. Es fühlt sich nicht nur wie eine Legende an. Viel mehr wie eine Wahrheit, in goldene Farben getaucht und von den Wellen des tyrrhenischen Meeres umrahmt. Kleiner Spoiler: Ich verstehe absolut, wieso Herkules genau diesen Ort ausgesucht hat, denn: es ist der schönste Ort, an dem ich je Ferien gemacht habe.

Bereits die Anreise nach Tropea weckte hohe Erwartungen. Der Zug von Napoli nach Tropea glitt wie ein Pinselstrich entlang der türkisfarbenen Küste. Die Aussicht aus dem Zugfenster hätte kaum besser sein können (ausser, die Fenster wären noch etwas sauberer gewesen). Der Bahnhof – ein kleines, pastellgelbes Häuschen mit einer analogen Glocke, die schrill und ungeduldig läutete, sobald sich ein Zug näherte, schien aus einer anderen Zeit zu stammen, was wahrscheinlich sogar eine Tatsache ist. Denn hier in Tropea ist, im Gegensatz zu den Cinque Terre zum Beispiel, nichts EU-gesponsert. Als ich den schweren Koffer über die Gleise hob und die ersten Schritte in die Stadt wagte, fühlte ich mich wie in eine andere Welt versetzt. Ich lief eine schräg nach unten führende Strasse entlang zu meinem Bed and Breakfast, checkte ein und machte mich bereit für eine Stadterkundungstour.

Die Stadt: Eine Königin auf ihrem Thron

Tropea thront wie eine Königin auf ihrem Felsen, etwa vierzig Meter über dem Meer. Die Gässchen winden sich wie Serpentinen durch die Altstadt, führen unweigerlich zum Belvedere der Piazza del Cannone. Dort öffnete sich der Blick auf das Meer – vor mir lag das tyrrhenische Meer, das Blau und Grün leuchtete, und in der Ferne erkannte ich die Umrisse des Vulkans Stromboli und der Liparischen Inseln. Zudem sieht man ebenfalls auf die berühmte Kirche «Santa Maria dell’Isola», die wohl eher einem Schloss gleicht. Kein Wunder also, dass dieses Bauwerk auch «Castello Vecchio» also «altes Schloss» genannt wird. Es stand ausser Frage: Den Sonnenuntergang wollte ich von diesem Schloss aus her bestaunen.

Die Kirche erhebt sich majestätisch auf einem Felsen, als wäre sie einem Märchen entsprungen. Der Himmel war in Rosa und Orange gefärbt, die Sonne strahlte wie ein Goldstück und tauchte alles in ein magisches Licht. Vor einem Gittertor musste ich, wie viele andere Romantiker, Halt machen, denn das Schloss öffnete für die Öffentlichkeit erst später. Es fand nämlich eine Hochzeit statt. Andere hätten sich vielleicht darüber geärgert, aber für mich war ein Bonus: Ich fühlte mich wahrhaftig wie in einem Disney-Film, als das Hochzeitspaar nach einiger Zeit, begleitet von Musik und Applaus, heruntergeschritten kam. Obwohl die Situation etwas schräg tönt, war es in diesem Moment einfach nur magisch. Die Sonne strahlte im goldenen Licht, der Himmel war rosa-orange gefärbt, der Mond zeigte sich auch schon und das Meer glitzerte wie tausend Sterne. Nachdem auch Nonna und Nonno wieder sicher unten waren, wurde das Gittertor für die Touristen geöffnet und ich konnte endlich nach oben gehen. Ich betrachtete die Sonne, den Himmel und das Meer, bis es dunkel war. Danach ging ich in die Kirche, die noch von der Hochzeit mit Unmengen an Blumen geschmückt war. Ich dankte den höheren Mächte, still für dieses wunderbare Leben, das ich leben darf. Vor Dankbarkeit kamen mir einige Tränen.

Irgendwann wurde dieser magische Moment abrupt davon unterbrochen, dass mein Magen zu knurren begann. Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Eine kleine Trattoria lockte mich mit einem verführerischen Versprechen: Ravioli al pistacchio. Die cremige, nussige Füllung schmolz auf der Zunge und wäre wohl für alle Liebhaber der trendigen Dubai-Schokolade ein Traum. Obwohl ich schon recht satt war, überredete mich der Kellner dazu, ein «Tartufo al Cioccolato» zu probieren. Es sind keine Trüffelpilze, wie man denken könnte, sondern so etwas wie ein Eisküchlein. Absolut köstlich. Der krönende Abschluss war ein Limoncello, vom Haus offeriert.

Türkisblaues Meer mit argentinischer Bekanntschaft

Am nächsten Tag ging es weiter mit essen. Das Frühstück wurde im idyllischen Innenhof serviert. Es gab alles, was das Herz begehrt: von «Cornetto al Crema Bianca» bis hausgemachte Kuchen und Muffins. Für ein solches Frühstück hätte ich in der Schweiz wohl den gleichen Betrag bezahlt, wie eine Nacht hier im Bed & Breakfast.

Ich beschloss, eine Verdauungswanderung zu machen und wollte den kleinen Hügel hinter Tropea besteigen. Leider musste ich schnell feststellen, dass es unmöglich war, zu wandern. Es gab nur die Autostrassen, auf denen man sich aufs Überleben fokussieren musste und somit die Natur leider nicht geniessen konnte. Aber wie auch wandern in Italien, wenn es im Italienischen nicht mal ein Wort dafür gibt? Ich schlenderte also einfach entlang der Via Lungomare und buchte spontan eine Bootstour für den Nachmittag. Nach einem Panino Caprese in der Altstadt, holte ich meine Badesachen und ging hinunter zum Herkuleshafen. Dort fand ich eine kleine Gruppe, die ebenfalls bereit war für die Tour zum Capo Vaticano. Bald darauf tuckerte das kleine Boot mit dem Sommerhit «30°» von der Sängerin ANNA aus der Bucht. Das Wasser hatte eine Farbe, die ich noch nie gesehen hatte. Die beiden Kapitäne Domenico und Federico setzten den Anker und alle, die wollten, konnten ins Wasser springen.

Ich kam aus dem Wasser und sah eine junge Frau, die sich zu meinen Sachen gesetzt hatte. Auch sie war eine Solotravellerin und scherzte, dass sie mit all diesen Pärchen an Bord in mir eine Artgenossin gesehen hatte. Wir begannen zu plaudern, und es stellte sich heraus, dass sie aus Argentinien war und Filmproduzentin ist. Ich schmunzelte über den Zufall, dass hier alles irgendwie mit Filmen zu tun hat. Den Rest der Bootsfahrt verbrachten wir damit, uns über unsere bisherigen Erfahrungen auszutauschen und wir verabredeten uns für später, um gemeinsam Abend zu essen.

Tartufo, Tropea = Traum

Einige Stunden später fanden wir uns in einem winzigen Restaurant mit nur sechs Tischen, ich mit «Paccheri al ragù» und sie mit «Braciola di maiale» auf dem Teller. Es lief ein Fussballmatch im Fernsehen, Lecce versus AC Milan. Zwei Typen in unserem Alter fieberten eifrig mit und fragten uns, für welche Mannschaft wir seien. Um sie zu provozieren, sagten wir für Lecce und so kamen wir ins Gespräch. Die beiden sind aus Milano und gönnen sich ebenfalls noch einige Tage Sonne hier im Süden, bevor es wieder zurück an die Universität und zur Arbeit geht. Als wir alle merkten, dass der Besitzer langsam etwas zu auffällig viel gähnte, bezahlten wir und gingen zur Hauptgasse «Corso Vittorio Emanuele». Dort überzeugte ich meine argentinische Bekanntschaft, ebenfalls das Eisküchlein, das «Tartufo», zu probieren. Ich schlenderte den Rest des Abends mit meinen drei neuen Freunden durch Tropea und dachte, wie schön es ist, einfach mit wildfremden Menschen eine so tolle Zeit geniessen zu können.

Den verbleibenden Tag verbrachte ich lesend am feinkörnigen Strand und genoss die Sonne auf meiner Haut. Ich war schon fast etwas trübselig, als ich dann am darauffolgenden Tag, zum kleinen Bahnhof Tropeas stiefelte und in den Zug stieg. Ich hatte diesen kleinen Ort durch Instagram-Reels gefunden und kann zusammenfassend sagen, dass diese nicht zu viel versprechen. Ende September war es nicht zu heiss, aber trotzdem sommerlich warm. Es war nicht überlaufen, wie so manch anderer Ort in Italien. Und trotzdem nicht ausgestorben. Die Menschen, die Altstadt, die Strände, das Meer, das Essen, die Sehenswürdigkeiten, aber vor allem einfach die ruhige, magische Stimmung – Tropea hat mein Herz. Wer für nächsten Frühling eine Reisedestination sucht, macht mit Tropea auf jeden Fall nichts falsch.

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