Nach dem 2. Weltkrieg kamen über 100’000 Menschen aus Italien in die Schweiz, um nach Arbeit zu suchen. Im Jahr 1956 gehörte auch der heute 86 jährige Renato zu ihnen. Er war gerade einmal 24 Jahre alt, als er seine Heimat verliess.
«Eines Tages fragte mich ein Nachbar, ob ich nicht nach Zürich wolle, da es dort Arbeit gäbe. Er selbst arbeitete und lebte dort. Ich beantwortete die Frage mit Ja. Daraufhin suchte der Nachbar für mich nach einem Job in Zürich. Schon bald fand er tatsächlich eine Stelle für mich. Er liess einen Vertrag erstellen und schickte diesen zu mir in mein kleines Dorf in Norditalien. Kaum hielt ich ihn in den Händen, unterschrieb ich sofort.
Am 8. Juni 1956 brach ich nach Zürich auf. Die Reise war zum einen sehr aufregend, doch zum anderen hatte ich auch grosse Angst. Es war das erste Mal, dass ich mein Zuhause verliess und alleine reiste.
Ich war nicht der Einzige im Zug, welcher in die Schweiz reiste, weil es dort Arbeit hatte. Es waren bestimmt über 50 junge Männer, welche aus ganz Italien kamen, im gleichen Zug.
In Chiasso mussten alle aussteigen. Sie kontrollierten unsere Pässe und fragten, wohin wir gehen wollten. Da ich einen Arbeitsvertrag hatte, durfte ich weiter. Ich weiss nicht, was mit jenen geschah, welche keinen hatten. Allerdings gab es sicherlich einige Männer, welche aufgrund des fehlenden Vertrages abgewiesen wurden. Nach der Grenzkontrolle musste ich mich dem Arzt unterziehen. Dort wurde ich auf Krankheiten untersucht. Hätte ich eine gehabt, so wäre ich ebenfalls abgewiesen worden. Die Arztuntersuchung war für jeden obligatorisch, welcher das erste Mal in die Schweiz kommen wollte. Danach kam ich in einen Zug, welcher direkt nach Zürich fuhr.
Am gleichen Abend meiner Ankunft ging ich zu meinem zukünftigen Chef. «Hast du ein Zimmer, wo du schlafen kannst?», fragte er mich. Ich verneinte. So bot er mir ein Zimmer an, welches noch frei stand.
Der nächste Montag nach meiner Ankunft begann ich meine Arbeit als Bauspengler. Mein Chef sprach nur Deutsch. Oftmals sprach und sprach er und ich nickte lediglich, obwohl ich nicht verstand, was er sagte. Trotzdem kamen wir gut miteinander klar. Mit Händen und Füssen verstanden wir uns am Schluss dann doch immer.
In den ersten sechs Monaten besuchte ich einen Deutschkurs, welcher die katholische Kirche anbot. In ein kleines Notizbuch schrieb ich jeweils immer die Vocis auf, welche ich lernte. Trotz den vielen Jahren, welche vergangen sind, besitze ich noch immer dieses Notizbuch.
In den ersten Jahren hatte ich grosses Heimweh. Ich verstand mich zwar mit meinen Arbeitskollegen und ging oftmals am Samstagabend mit ihnen ein Bier trinken. Trotzdem vermisste ich meine Familie, vor allem meine Eltern.
Obwohl ich oftmals über das Wochenende oder in den Ferien meine Familie besuchte, kehrte ich im Jahre 1959 ganz nach Italien zurück. Mein Vater meinte, dass es nun bei ihnen in Norditalien auch Arbeit gäbe. Ein Jahr arbeitete ich wieder in Italien. Doch ich war nicht glücklich. Obwohl ich meine Familie wieder hatte, fehlte mir Zürich. Es kam zu einer heftigen Diskussion, als ich meinem Vater mitteilte, dass ich wieder nach Zürich gehen wollte.
Im Jahr 1960 reiste ich, trotz der Bitte zu bleiben, wieder nach Zürich. Glücklicherweise durfte ich wieder die gleiche Stelle, welche ich vor einem Jahr gekündigt hatte, wieder antreten.»
Mit Zürich hatte Renato eine zweite Heimat gefunden. Schon über 60 Jahre lebt er nun in Zürich. Er hat hier seine Familie gegründet. Eine weitere Geschichte, von welcher er mir erzählt hat und von welcher ich selbst ein Teil davon bin.
Nach einer wahren Gegebenheit. Hier kommst du zum ersten Teil. Eine unglaublich traurige Geschichte.