Samira El-Maawi hat mit ihrem Debütroman „In der Heimat meines Vetters riecht die Erde wie der Himmel“ den Rassismus in der Schweiz erfasst. Und dies auf eine ganz weiche, kindliche und unerwartete Art.

Ein Mann, der sich in eine Schweizerin verliebt und für sie sein eigenes Land verlässt. Er kommt in die Schweiz und gründet in Zürich eine Familie. Die zwei Töchter sind “halb weiss und halb braun“, wie es die Autorin Samira El-Maawi beschreibt, denn der Vater ist aus Sansibar und die Mutter ist Schweizerin. 

„Mein Vater riss seine Wurzeln aus Sansibar heraus und pflanzte sie wieder in der Schweiz ein.“

Der Roman „In der Heimat meines Vetters riecht die Erde wie der Himmel“ gibt einen Eindruck von alltäglichem und subtilem Rassismus in der Schweiz – ohne ihn dabei beim Namen zu nennen. Denn diese Geschichte wird von einem der Kinder, einer 10-Jährigen erzählt. Ihr Name ist unbekannt. Sie erzählt, beobachtet und verknüpft das Erlebte, so gut es geht. „Mein Vater riss seine Wurzeln aus Sansibar heraus und pflanzte sie wieder in der Schweiz ein.“ Sie erzählt von ihrem Vater, wie er froh in der Küche mit seinen Gewürzen aus der Heimat spricht. Wie er von seiner eigenen Heimat schwärmt und sie mit der Schweiz vergleicht. Wie er jedes Mal vom Zollbeamten rausgenommen wird und viel länger als alle anderen kontrolliert wird. Und wie er, sehr oft, wütend über die „Schweizer“ wird. Dann grummelt er immer: „Alles halbherzige Menschen hier“. 

Doch wenn er “halbherzig“ sagt, meint er eigentlich “rassistisch“. Rassismus ist ein grosser Teil seines Leben. Als er zum Beispiel, begleitet von seiner 10-jährigen Tochter, von Polizisten ausgelacht und dann aufgefordert wird, zügig seinen Ausweis zu zeigen: dann sind sie alle “halbherzig“. Wenn er seine Arbeit verliert, weil er Gewürze in eine Salatsauce gegeben hat, die aus seiner Heimat sind: dann sind wieder alle “halbherzig“. Und wenn seine Tochter <M-Kopf> oder <N> genannt wird, auch dann sind alle „halbherzig“

Wenn sie ihre Lehrerin, ihre Freunde und ihre Nachbarn beschreibt, nennt sie als erstes deren Hautfarbe und ihre Nationalität. Die meisten sind dabei weiss. Selbst sie wünscht sich manchmal, sie wäre weiss. So wie ihre Freundin Carmelin, die zwar auch Ausländerin ist, aber man sieht es ihr nicht so an. Sie bemerkt, dass alle um sie herum: die Polizisten, ihre Tante, der Chef ihres Vaters, ihr eigene Grossmutter, weiss sind. Nur sie, ihre Schwester und ihr Vater sind anders. „Und wer will schon eine braune Hautfarbe tragen.“ 

„Ich weiss mehr über die Geschichte von Nelson Mandela als über die Geschichte meines Vaters“

In ihrer kleinen Wohnung hängt ein Foto von Nelson Mandela. Und kurz bevor sie und ihre Schwester ins Bett gehen, beten sie, und der Vater erzählt von Nelson Mandela. Ausserdem erzählt er von ihrem Grossvater und wie er aufgewachsen ist, bis ins Detail. Doch über seine eigene Geschichte erzählt der Vater nur wenig. „Ich weiss mehr über die Geschichte von Nelson Mandela als über die Geschichte meines Vaters.“ Nachdem der Vater seine Arbeit wegen der Salatsauce verliert, bleibt der Vater stumm und geknickt. „Und weil ich aus dem Busch komme, sagte mein Chef“, murmelt er. Die Mutter fragt ihn dann, ob er etwas getan hat. Doch der Vater bleibt stumm und nickt weiter. Und er fängt an sich langsam von der Familie abzuspalten. Er findet Trost in einer neuen Religion. „Gott ist für meinen Vater ein Ausländer.“ 

Das erzählende Mädchen hat keinen Namen (nur die Grossmutter und alle andern ausserhalb der  Familie), weil es sich um einen Roman handelt, der auch viele autobiografische Züge hat, erklärt Autorin El-Maawi in einem Interview mit arttv.ch. Sie verarbeitete „ein Sammelsurium von Erfahrungen von verschiedenen Menschen, aber auch von mir.“ Das Buch darf aber nicht als Autobiografie verstanden werden, wie im Buch erklärt wird: „Meine Geschichten sind erfunden, aber alle Geschichten haben auch eine Wahrheit, die ist verpackt in einer einzigen Erbse, die irgendwo in der Geschichte liegt. Die Zuhörer müssen so gut zuhören, dass sie die Erbse finden, dann hören sie auch das Stückchen Wahrheit.“ Dieser kapitellose Roman legt über 130 Seiten verschiedene Eindrücke und Erfahrungen dieses Mädchens dar, das selber noch viele Dinge gar nicht in Wörter kleiden kann. „Ich habe mich für diese Kindersprache dann entschieden, weil ich gemerkt habe, dass das mir die eine Freiheit gibt nicht zu sehr zu reflektieren.“

Das Buch gibt einen intimen Eindruck in Migrantenfamilien und ihr Leben in der Schweiz. Und diese kindliche Erzählung lässt dabei viel Platz für eine eigene Interpretation. Der Roman ist ungewöhnlich gegliedert, ohne Kapitel, Titel usw. – dies kann kann am Anfang verwirrend sein. Doch wenn man reinkommt und sich mehr auf den Kern, also die Erbse, wie es die Autorin beschreibt, konzentriert, kann es sein, dass man den ganzen Roman auf einmal verschlingt.

Literatur Samira El-Maawi, „In der Heimat meines Vetters riecht die Erde wie der Himmel“ zytglogge Verlag, 2020  (24 Franken bei Exlibris)

Zur Autorin Samira El-Maawi, geboren 1980 im Kanton Zürich, absolvierte eine 3-jährige Detailhandelslehre, produzierte danach ihren ersten Dokumentarfilm. Heute coacht sie Schreib- und psychosoziale Prozesse und ist als freie Autorin tätig.

Quelle: Pixabay (Mädchen ist nicht die Autorin)

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