„Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopfe, in die sich manche Bilder so tief und deutlich einätzen, während andere keine Spur zurücklassen.“

– Bertha von Suttner

Das Thema „Erinnern“ gewann gerade in diesem so gewöhnlichen 2020 besonders an Präsenz, denn wie wollen wir dieses Jahr in Erinnerung behalten? Diese Reihe möchte Klarheit in eurer Gedankenbibliothek schaffen und beschäftigt sich mit folgenden Themenbereichen:

  1. Erinnern
  2. Gedächtnis
  3. 2020 Rückblick
  4. Nachträgliche Manipulation
  5. Vergessen

Doch, wie genau funktioniert unser Gedächtnis?

Verzweigungen unseres Gedächtnisses

Andere Stadt. Andere Straßen. Weit weg von Zuhause. Wir sind Touristen, stehen an irgendeiner Ecke neben irgendeinem Café, es sieht alles gleich aus und doch auch nicht. Auf der anderen Straßenseite beginnt ein Akkordeonspieler seine Musik vorzutragen, Straßenbahnen verdecken ihn für einen kleinen Moment und lenken unsere Aufmerksamkeit auf das große Plakat „Patriotischer Weihnachtsschmuck“, welches eine Sonderausstellung im Stadtmuseum bewirbt. Wir wollen zurück zum Bahnhof, an dem wir vor gut zwei Stunden unsere Stadterkundungstour begonnen haben – aber wie?

Wir können uns nicht mehr erinnern, da die Erinnerung an den Weg im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wurde. Hier verblassen die Engramme, also die Muster der Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen schnell wieder, da einerseits nur wenige Nervenzellen beteiligt sind und andererseits die Verbindungen zwischen ihnen nur sehr locker sind. Für die Einordnung der Erinnerungen in Kurz- oder Langzeitgedächtnis ist der Hippocampus zuständig, der sich am Eingang unserer Gedankenbibliothek befindet. Er ist der „Wächter der Erinnerung“ und entscheidet, in welchem Gedächtniszweig eine Erinnerung ihren Platz finden soll.

Die allgemeine Erinnerung an die Besichtigung der Stadt wird vielleicht eher im Langzeitgedächtnis abgespeichert. Doch, wo dort genau?

In einem ersten Schritt wird hier zunächst zwischen dem prozeduralen und dem expliziten Gedächtnis unterschieden. Ersteres beinhaltet unbewusst aufgenommene Erfahrungen und Erinnerungen an Bewegungsabläufe, „Prozesse“, wie zum Beispiel das Fahrradfahren oder Schwimmen. Im expliziten Gedächtnis, welches auch deklaratives Gedächtnis genannt wird, finden wir Erinnerungen an jene Ereignisse, die wir bewusst wahrgenommen haben. Dieses wird abermals in zwei Teile unterteilt. Das semantische Gedächtnis ist jener Ort, an dem gelernte Fakten und Allgemeinwissen gespeichert sind. Versuchen wir uns krampfhaft den Namen der kenianischen Hauptstadt in Erinnerung zu rufen, deren Name wir doch in der zweiten Stufe des Untergymnasiums einmal auswendig gelernt haben, so sucht der Bibliothekar in unserer Gedankenbibliothek in diesem Teil unseres Gedächtnisses. Handelte es sich aber um die Erinnerung an die Frankreichreise vor zehn Jahren, bei der der Vater zu viele Austern gegessen hatte, so befände sich diese im episodischen Gedächtnis, welches mit autobiographischen Erinnerungen gefüllt ist.

Unser kleiner Bibliothekar ist vor lauter Suchen nach der Erinnerungen an den Weg zurück ganz erschöpft und ordnet an, wir mögen doch bitte einfach in das Café gehen und den Weg zurück zum Bahnhof auf diese Weise erfragen.

Wieso sind manche Erinnerungen vermeintlich stärker als andere?

Ist eine Erinnerung stärker als eine andere, so kann das mehrere Gründe haben. Unsere Adresse mussten wir schon so oft angeben (spätestens jetzt, wenn man in einem Restaurant den Zettel für die „Registrierung der persönlichen Daten im Falle eines positiven Corona-Tests“ über den Tisch gereicht bekommt), dass wir sie ohne Probleme aufsagen können. Die Erinnerung wurde häufig aktiviert, weswegen sich die entsprechenden Verbindungen des Engramms verstärkt haben und immer sicherer hergestellt werden können.

In der Amygdala – eine kleine Region des ältesten Teils unseres Gehirns, dem limbischen System – werden Gefühle bewertet. Ist eine Erinnerung mit starken Emotionen verbunden, so werden hier große Mengen an Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin ausgeschüttet. Je größer die Menge, also je stärker die Emotion, desto tiefer wird die Erinnerung im Boden unseres Gedächtnisses verankert.

Die Erinnerung an das Werbeplakat „Patriotischer Weihnachtsschmuck“, welches uns auf unserem Weg zu der Ecke neben dem Café begegnet ist, wurde an verschiedenen Orten in unserem Gehirn gespeichert. Das Gedächtnis arbeitet dabei ganz nach dem Prinzip der Arbeitsteilung. Jede Information erhält ihren eigenen Platz, Farbe der Schrift und Form des Plakats zum Beispiel befinden sich also an unterschiedlichen Orten. Je mehr Hirnareale an einer Erinnerung beteiligt sind, je komplexer also der Eindruck, umso präsenter scheint sie uns.

Welche Erinnerungen im Jahr 2020 sind sehr präsent? Wie soll diese Zeit in Erinnerung behalten werden? Was ist aufgefallen? Welche Veränderungen gab es? In einem Rückblick 2020 versuche ich, die unzähligen Eindrücke in Worte zu fassen.

Geschrieben von:

ich bin für ein Faber-frohes Leben

Was ist deine Meinung? Schreib einen Kommentar!