Seit jeher bekomme ich jedes Jahr an Weihnachten ein Geschenk, auf das ich vor allem früher liebend gern verzichtet hätte. Meine Mutter hat es nämlich zur Tradition gemacht, dann die ganze Familie mit einem «Kultur-Geschenk» zu beglücken. Dabei handelt es sich um Eintritte ins Theater, in Opern oder zu sonstigen, gerade kulturell aktuellen Highlights in der Region Basel. Wegen im Grunde guter Erfahrungen hat sich meine Abneigung gegenüber diesen «Geschenken» jedoch gelegt und so nahm ich kürzlich sogar die ausserweihnächtliche Einladung in die Oper «Il barbiere di Siviglia» an, eine Oper, die gerade in dieser Inszenierung in Basel definitiv Lust auf mehr macht.
Klassisches Thema, einzigartige Musik
«Il barbiere di Siviglia» ist eine weltbekannte Oper von Gioachino Rossini, uraufgeführt 1816 in Rom. Sie wird als seine witzigste und temporeichste Oper bezeichnet. Inhaltlich geht es dabei um das Liebesdreieck zwischen Rosina, Graf Almaviva und Bartolo. Graf Almaviva schwärmt für die von ihrem Vormund Bartolo bewachte Rosina. Mithilfe von Figaro, dem Barbier von Bartolo, schmiedet Graf Almaviva unter dem Decknamen Lindoro einen Plan, um Rosina vor der drohenden Zwangsverheiratung mit ihrem Vormund zu bewahren. Trotz einiger Schwierigkeiten gelingt es Lindoro alias Graf Almaviva schlussendlich, Rosina aus den Klauen ihres Vormunds zu befreien und zu heiraten. Was so auf dem Papier – zumindest für mich -, nach langweiligem 0815-Opernstoff tönt, wird zum einen durch die Musik und zum andern durch die Inszenierung zum Erlebnis.
So energiegeladen wie die Musik ist, vermag sie selbst einen Laien wie mich zu begeistern. Professionelle Kritiker sprechen von einer extrem schnellen Partitur, die das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des Rossini-Spezialisten David Parry bravourös meistert, indem es die bei Rossini so wichtige Leichtigkeit mit dem nötigen Rhythmusgefühl verbindet. Auch die Sängerinnen und Sänger werden als ausgezeichnet gelobt. Ob man nun all das heraushören kann oder nicht, Fakt ist, dass die Musik einem einfach in ihren Bann schlägt.
Figaro auf Facebook
Der zweite Punkt, der die Oper «Il barbiere di Siviglia» zum Erlebnis macht, ist die Inszenierung des Starregisseurs Kirill Serebrennikov. Der Russe, der von 2017 bis April 2019 unter Hausarrest stand und auch jetzt Moskau nur mit polizeilicher Erlaubnis verlassen darf, übersetzt das Liebesdreieck um Rosina, Lindoro alias Graf Almaviva und Bartolo in die rasante Bilderflutwelt der Social Media. So lernen sich beispielsweise Rosina und Graf Almaviva via Facebook kennen, wo dieser sich als Lindoro ausgibt. Mithilfe von Figaro, der um Almavivas perfekten Auftritt besorgt ist, sendet Lindoro Rosina Videos mit Liebesliedern. Um sie später besuchen zu können und dabei nicht den Argwohn des paranoiden Bartolo zu wecken, verkleidet sich Lindoro alias Graf Almaviva zuerst als übler Dschihadist und später als Gesangslehrer in Conchita Wurst ähnlicher Form. Bartolos Aufmerksamkeit wird dadurch abgelenkt. Trotz dieser modernen Form der Inszenierung geht aber meiner Meinung die ursprüngliche Geschichte nie verloren, Serebrennikov schafft es, den Opernstoff in unsere Zeit zu versetzten, ohne dass er die Wurzeln vergisst. Seine Interpretation bringt in meinen Augen einen zusätzlichen Gewinn an unerwarteten, witzigen Augenblicken. Sie lassen die Oper für uns heute so bekömmlich werden, wie das bei Rossinis Zeitgenossen vor 200 Jahren mit der ursprünglichen Version der Fall war.
Tja, was bleibt mir von diesem Opernbesuch? Es sind drei Dinge: Zum Ersten die Gewissheit, dass die Kultur-Geschenke meiner Mutter nicht zu unterschätzen sind. Zum Zweiten die Erkenntnis, dass die Oper «Il barbiere di Siviglia» mit der Inszenierung von Serebrennikov ein absolutes Highlight ist, das ich nur weiterempfehlen kann. Und zum Dritten der Gedanke, dass ich mehr solche Anlässe besuchen will. Gerade das Theater Basel hat sensationelle Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene, die von Billetpreisen zwischen 20 und 30 Franken für jegliche Darbietung profitieren können.