Der Herbst ist in vollem Gange und mit ihm weht ein kühler Wind durch Bundesbern. Zwischen Erbschaftssteuer, EU-Verträgen, Ständemehr und Service-Citoyen wird ein wichtiger Pfeiler für die Citoyen langsam, aber sicher, in den Abgrund gefahren: die Bildung. Die Studiengebühren steigen, was schon Belastung genug ist. Nun sollen auch die 13 Wochen Ferien für Gymnasiasten gekürzt werden. Nicht etwa, weil man ganz offensichtlich mit allen Mitteln versucht, dass weniger Menschen studieren. So denken wir nicht! Nein, es sei nur fair, heisst es. Lehrlinge hätten ja auch nur fünf Wochen Zeit im Jahr, sich zu erholen. Aber auch das gilt nur, wenn sie nicht gerade im dritten Lehrjahr stecken, für die Berufsschule lernen, Prüfungen schreiben oder im Betrieb einspringen müssen.
Diese Ungleichbehandlung ist kein Betriebsunfall, sie ist System. Wer sich für eine Lehre entscheidet, trägt früh Verantwortung, schuftet im Betrieb, liefert Leistung und ist trotzdem der Erste, der unter die Räder kommt, wenn es eng wird. Während ihre Altersgenossen im Gymnasium das Lateinwort für Freizeit deklinieren, lernen Lehrlinge, wie man Verantwortung übernimmt. Doch statt die Lehre attraktiver zu machen, will man das Gymi – und damit indirekt auch das Studium – unattraktiver gestalten. Eigentlich ein klassisch sozialistischer Lösungsansatz: Wenn’s den einen zu schlecht geht, müssen halt die dran glauben, denen es zu gut geht. Ähnlich wie bei der Erbschaftssteuer. Grandios.
Lehrlinge kämpfen für Ferien, Gymnasiasten bluten
Anfang Oktober demonstrierten 2000 Studierende in Bern gegen höhere Studiengebühren. Die Erhöhung der Studiengebühren ist nämlich ein Teil des Entlastungspakets 2027 von Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die Gebühren werden schweizweit für inländische Studierende verdoppelt, für ausländische Studierende vervierfacht. Als wäre das nicht Belastung genug für die zukünftigen Intellektuellen unseres Landes, wollen einige Parlamentarier wie SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger die 13 Wochen Ferien an Mittelschulen kürzen. Dies, nachdem 140’000 Lehrlinge mit einem Brief an den Bundesrat acht Wochen Ferien gefordert haben. Eine verständliche Forderung, die aber, statt ernst genommen zu werden, nun gegen die Gymnasiasten ausgespielt wird.
Fairness nur bei Selbstprofit
Selbst in der Mitte schliesst man sich dieser Logik an. Doch wenn es um gerechte Verteilung von Geld geht, wo es dank Erbschaften ohne eigenen Verdienst zu viel gibt und anderswo zu wenig, wollen Mitte und SVP plötzlich nichts davon hören. Die Juso-Erbschaftssteuer-Initiative, die genau dieses Ungleichgewicht ansprechen will, wird als «Neidpolitik» abgetan. Dabei wirkt sie selbst wie das linke Spiegelbild der Ferienkürzungs-Idee: gut gemeint, schlecht durchdacht. Beide Seiten versuchen, mit dem Hammer Gerechtigkeit zu schaffen und treffen am Ende nur das Vertrauen in die Politik.
Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund stösst die Ferienkürzungs-Idee auf wenig Begeisterung:
„Politische Spielchen auf dem Rücken von Mittelschülern ist eine reine Trotzreaktion und bringen den Lernenden gar nichts.“
– Urban Hodel, Co-Leiter Kommunikation und Kampagne SGB, gegenüber 20 Minuten1
Eine erstaunlich vernünftige Aussage, welche fast schon verdächtig vernünftig klingt. Man merkt: Er ist (noch) kein Politiker.
Wo ist die Bildung?
Während also im Bildungsbereich gekürzt wird, wird im Bundeshaus an anderen Fronten um Souveränität, Ständemehr und EU-Verträge gestritten. In der SRF-Arena bezeichnet SVP-Vize Thomas Matter das neue EU-Vertragspaket als Märchenstunde, FDP-Ständerat Damian Müller fordert eine Souveränitätsklausel, die Mitte mahnt zur Ruhe, und die SP redet von globaler Stabilität. Und irgendwo dazwischen bleibt die Bildung auf der Strecke wortwörtlich in der Märchenstunde. Denn wer nicht laut ist, wird überhört.
Lobby: Money, Money, Money
Die Wahrheit ist: Mittelschüler und Studierende haben in der Schweizer Politik keine echte Lobby. Keine Millionenspenden, keine Wirtschaftsverbände, keine Parteisoldaten, die in jedem Gremium sitzen. Die Bürgerlichen machen Politik für jene, die bereits etwas haben – nämlich Vermögen, Einfluss oder zumindest eine Firma. Und die Linke kämpft zwar für Chancengleichheit, aber Bildungspolitik ist selten so polarisiert und medienwirksam wie Klima, Migration oder Mietpreise. Zwischen diesen grossen Themen geht die Bildungspolitik oft unter, obwohl sie die Zukunft betrifft, über die alle so gerne reden.
Es ist also ein Lobby-Vakuum: Lehrlinge, Studierende und Mittelschüler sind zu jung, zu divers und zu wenig profitabel, um als politische Zielgruppe ernst genommen zu werden.
Was bleibt, ist Symbolpolitik. Ferien kürzen, Studiengebühren erhöhen und gleichzeitig von Chancengleichheit reden. Eine Politik, die Bildung nicht als Investition, sondern als Kostenfaktor versteht. Doch Bildungspolitik ist kein Luxusgut. Sie ist die Grundlage dafür, dass überhaupt jemand die Entscheidungen von morgen treffen kann, und zwar hoffentlich klüger als jene von heute.
