Obwohl Josia mehr als 500 Bücher gelesen habe, hatte er lange das Gefühl gehabt, sich nirgendwo selbst wieder zu finden. Woran das liegt, wie sich das geändert hat und was er selbst zur weiteren Veränderung beitragen möchte, erzählt der 18-jährige Josia Jourdan in diesem Gastbeitrag.

Bücher sind meine grosse Liebe. Worte, die fremde Welten kreieren, spannende Abenteuer und Figuren, die mich während mehrerer Stunden, teilweise Tage oder sogar Wochen und Jahre begleiten. Bücher haben mir ermöglicht aus dem Alltag zu entfliehen und gleichzeitig den Grundstein für eine Leidenschaft gebildet, der ich heute nach gehe und weswegen ihr diesen Artikel hier auch gerade lest. Ich bin Buchblogger und beschäftige mich mittlerweile semiprofessionell tagtäglich mit Büchern und Autor*innen. Dadurch lerne ich nicht nur spannende Geschichten kennen, sondern lerne auch viel für mein eigenes Leben.

Bild: Josia Jourdan
Lesen ist Josias grosse Leidenschaft

Wieso ist in den Büchern keiner wie Ich?

Lange habe ich mich in keinem der gelesenen Büchern so wirklich wiedergefunden. Nur Teile von mir… Ich habe mich gefragt, ob es in irgendeinem Buch auch jemanden wie mich gibt oder ob ich allein bin. Zu anders für diese Welt, für Bücher und so habe ich weitergelesen, was ich immer gelesen habe. Die gleichen Fantasybücher, Jugendromane und Krimis.

Es war schliesslich nicht so, dass ich mich mit den Protagonist*innen in diesen Büchern gar nicht identifizieren konnte. Ich definiere mich schliesslich über viel mehr als bloss über meine Sexualität. Viele Themen bleiben die gleichen und so habe ich einige Figuren in mein Leserherz geschlossen.

Aber trotzdem blieb da die ganze Zeit der Wunsch nach einer Figur, in der ich mich zu hundert Prozent wiederfinden konnte. Der Wunsch eine Geschichte zu lesen, der die zentralen Konflikte meines Lebens darstellt.

Dass es niemals eine Figur geben wird, die mir eins zu eins gleicht, wusste ich- Trotzdem habe ich es mir gewünscht.

Josia Jourdan
Wo sind die queeren Protagonistinnen und Protagonisten? Eine Frage, die sich Josia oft stellte.

Natürlich: Ich hätte einfach nach diesen Büchern suchen können. Es war mir bewusst, dass es irgendwo Bücher geben muss, in denen zumindest die Geschichte von Menschen meiner Sexualität erzählt werden würden. Aber die Angst nach diesen Büchern zu fragen war zu gross, meine Unsicherheit, die Furcht, dass jemand sehen könnte, was ich lese, zu präsent.

Mittlerweile blicke ich auf mein vierzehnjähriges Ich und möchte mich in die Arme nehmen, sagen: «Alles wird besser, ignoriere die Meinung der anderen und lese Bücher, die du lesen willst.» So leicht war es aber leider nicht und so ist mir mehr durch einen Zufall mein erstes Buch mit einem queeren Protagonisten in die Hände gefallen. Das erste Buch von vielen, die folgen sollten und folgen werden.

Denn mit all diesen Büchern, die ich gelesen habe, sind Jahre verstrichen, ich bin stärker und selbstbewusster geworden. Ich habe gegen meine Ängste gekämpft und beschlossen zu lesen, was ich lesen will, mich nach Büchern umzusehen, in denen ich mich wiederfinde. Das war ein längerer Prozess, aber um diesen Prozess soll es hier nicht gehen, sondern darum, weshalb ich so lange gebraucht habe, dass mir ein Buch mit einer queeren Figur in die Hand gefallen ist.

Der Buchmarkt, fehlende queere Stimmen und Repräsentation

Die Welt ist weiss, hetero und cisgender. Zumindest ist es das, was einem die Buchbranche vorzumachen versucht. In den letzten Jahren ist mehr Diversity gefordert worden und die Verlage geben diesem Wunsch langsam nach. Trotzdem lassen sich die queeren Neuerscheinungen im Jugendbuchbereich in den deutschsprachigen Grossverlagen an wenigen Händen abzählen. Wie gut die Repräsentation in diesen Büchern dann ist, wer sie geschrieben hat und ob auch Own Voice-Autor*innen die gleiche Chance bekommen, ihre Geschichten zu erzählen, wie Non-Own Voice Autor*innen, ist ein ganz anderes Thema.

Fakt ist: es gibt tausende queere Jugendliche allein im deutschsprachigen Raum. Jugendliche, die wie ich nach einer Figur suchen, mit der sie sich identifizieren können, einer Geschichte, die ihre Konflikte zeigt, die ihnen Hoffnung gibt und in denen queere Figuren leben, lieben und geliebt werden. Und wir haben eine Verantwortung, dass diese Bücher gesehen werden und diese Menschen auch erreichen.


Autor*innen, Verlage, Medien und der Buchhandel sind verantwortlich, dass diese Geschichten geschrieben, veröffentlicht, gesehen und verkauft werden. Aber auch jede einzelne Person hat eine Verantwortung, welche Medien konsumiert werden. Denn letzten Endes entscheiden doch auch oft Verkaufszahlen über die Sichtbarkeit von Büchern und so braucht die queere Community auch die Unterstützung von cis-hetero Personen. Glaubt mir, es schadet nicht, einmal ein Buch zu lesen, über eine Figur mit einer anderen Sexualiät. Habe ich auch die meiste Zeit über gemacht und ich würde behaupten, ich bin nicht allzu sehr geschädigt davon (höchstens ein bisschen).

Aber ganz ehrlich: Es hilft meist sogar, ein noch besserer Ally zu sein, Empathie zu entwickeln und selbst etwas zu lernen.

Ich persönliche habe mir vorgenommen, selbst noch mehr queere Bücher oder im ganz Allgemeinen Bücher mit vielfältigen Figuren zu lesen, diese zu empfehlen, zu kritisieren und meine kleine Reichweite in dieser Welt zu nutzen. Damit auch die richtigen queeren Bücher gelesen werden, jene mit guter Repräsentation.

Gleichzeitig hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, wie ein Ort für lesebegeisterte queere Jugendliche und Allys (Verbündete) entstehen kann. Ein sicherer Ort, mit Buchtipps, positiver Repräsentation und Identifikationsmöglichkeit, sowie einem Austausch. Die Schwierigkeit diesen Ort auch sicher zu gestalten, am besten anonym, damit auch jene, die (noch) nicht wissen, wer sie sind oder es noch nicht auszusprechen wagen, teilhaben können.

Irgendwann war die Idee da: ein digitaler Buchclub auf Instagram. Und nun ist er da: «Das pinke Sofa» ist seit dem 14. Februar 2021 auf Instagram. Jeden Monat lesen Kai Spellmaier, Ich und unsere Community ein queeres Buch. Willkommen sind alle auf dem pinken Sofa. Mein Wunsch ist, dass Menschen so schon früher ein Buch in die Hände bekommen, in dem sie sich wiederfinden. Also nehmt Platz auf dem pinken Sofa und taucht ein in Bücher so bunt wie die Welt da draussen.

Bild: Josia Jourdan
Der 18-Jährige Buchblogger Josia Jourdan kommt aus Basel. Auf seinem Blog www.josiajourdan.com und seinen Social Media Kanälen spricht er nicht nur über seine aktuelle Lektüre, sondern auch über wichtige Themen, wie z.B Feminismus oder Sexualität.

Bildquellen

  • DSC_0165: Josia Jourdan
  • DSC_0166: Josia Jourdan
Geschrieben von:

Was ist deine Meinung? Schreib einen Kommentar!