Patchworkfamilien – den Ausdruck kennt man. Doch was bedeutet es eigentlich, in einer Patchworkfamilie aufzuwachsen? Welche Rolle hat man als ältestes Kind?

Als Einzelkind wünschte ich mir immer Geschwister. Jemanden zum Spielen haben, an Familienfesten die Langeweile mit jemandem zu teilen oder sich einfach mal mit jemandem prügeln. Ich stellte mir das Leben mit einer Schwester oder einem Bruder wunderbar vor – bis ich neun Jahre alt wurde und meine Eltern, die getrennt sind, beschlossen, je eine neue Familie zu gründen. In den nächsten vier Jahren bekam ich dann plötzlich nicht nur ein neues Geschwister – nein, ich hatte plötzlich vier. Luna und Noé sind mittlerweile dreizehn und zehn Jahre alt und leben bei meinem Vater. Céleste und Lino sind sechs und acht Jahre alt und leben bei meiner Mutter. Je ein Junge und ein Mädchen, zur Ältesten habe ich einen Altersunterschied von neun Jahren und zur Jüngsten einen von sechzehn Jahren. 

Gewöhnungsbedürftige Situation

Da ich nicht bei meinem Vater, sondern bei meiner Mutter wohnte, habe ich zu meinen Geschwistern väterlicherseits eine andere Beziehung als zu meinen Geschwistern mütterlicherseits. Ich liebe sie alle vier – auch wenn es mit ihnen teilweise nicht ganz leicht war. Als Erstes war da der Fakt, dass ich nicht mehr mit meiner Mutter allein lebte. Mein Stiefvater zog bei uns ein und später hatten wir die zwei Kleinkinder im Haus. Nicht nur meine Eltern bekamen keinen Schlaf mehr. Dann die Umstellung vom Einzelkind zur ältesten Schwester. Plötzlich gab es Verantwortung zu tragen, manchmal auf die Jüngeren aufpassen, manchmal ein bisschen mehr zurückstecken – was völlig normal ist, aber als Einzelkind ungewohnt. Und alle Wutanfälle, Schreikrämpfe und Trotzphasen. Viermal die Trotzphase durchzustehen war ein nervenaufreibendes Erlebnis, die Jüngste steckt noch mittendrin. Zum Schluss darf man etwas nicht vergessen: Als dreifache Mutter ist man sich Gefahren aller Art gewohnt – als grosse Schwester nicht. Wenn die Kleine auf dem Hochbett herumhüpft, gehen mir Visionen von gebrochenen Knochen und ausgeschlagenen Zähnen durch den Kopf. Während ich ihr sage, sie soll sofort herunterkommen, zuckt meine Mutter mit den Achseln und sagt «Lass sie nur.»

Einmal im Leben cool zu sein

Klar ist es manchmal schwer, in so einer Situation die richtige Balance zwischen grosser Schwester und Aufsichtsperson zu finden. Trotzdem bedeuten mir alle vier so viel und ich könnte mir mein Leben nicht mehr ohne sie vorstellen. Die Rolle der grossen, coolen Schwester gefällt mir. Ich kann diejenige sein, die ihnen zuhört bei Problemen, die sie nicht mit den Eltern besprechen wollen, oder ich kann diejenige sein, die sie ins Kino mitnimmt, wenn der Vater nicht mitgehen will. Und die Freude in den Augen meiner kleinen Geschwister, wenn ich wieder einmal zu Besuch komme oder wenn ich sie von der Schule abhole und sie aufgeregt zur Lehrerin und ihren Freunden sagen: 

Lueged, das isch mini grossi Schwöster!

ist unbezahlbar.

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