Die Landschaft ist von tiefen Nebelschwaden durchzogen und die Bäume wirken trostlos mit ihren kahlen Ästen. Es ist ein typischer Herbsttag, ein perfekter Tag, um drinnen in der warmen Stube eine heisse Schokolade zu geniessen. Trotzdem entscheiden wir uns dazu, einen kleine Wanderung zu machen. Eine sehr merkwürdige Wanderung, wie sich später herausstellen wird.

Ich schliesse die Wohnungstüre hinter mir ab und stecke den Schlüssel in meine Jackentasche. Dann begeben wir uns mit dem Bus in ein nahes Erholungsgebiet mit einem wunderschönen Wanderweg. Die Route erstreckt sich entlang eines tiefblauen Sees. Immer wieder müssen wir kleine Tunnels und kurze Waldabschnitte durchqueren. Nach einer guten Stunde Fussmarsch entscheiden wir uns dazu, auf einer gemütlichen Bank am Seeufer Rast einzulegen. Ich bin so erschöpft, dass ich mich auf der Bank ausstrecke, ein Fehler. Nach der Verschnaufpause wandern wir weiter und sind beinahe bei der Zieldestination, einem Restaurant, angelangt, als ich die perfekten Herbstidylle unbedingt per Foto festhalten möchte. Als ich jedoch in meine Jackentasche greife, um das Smartphone hervorzuziehen, breche ich in Panik aus. Ich finde den Schlüssel nicht mehr. Tatsächlich habe ich das erste Mal in meinem Leben den Schlüssel verloren, aber früher oder später musste es ja passieren. Aus der anfänglichen Panik wird zunehmend Verzweiflung. Wie sollten wir auf dem mit Laub überhäuften Waldboden den kleinen, silbernen Schlüssel jemals wiederfinden? Es war ein Rennen gegen die Zeit, den es dunkelte bereits ein, was die Suche noch schwieriger gestaltete. Meter für Meter suchten wir den Boden ab, nach Sonnenuntergang, mithilfe der Handytaschenlampe. Doch die Suche bleibt auch nach einer guten Stunde erfolglos. Plötzlich trifft es mich wie der Blitz: Der Schlüssel muss während der Pause auf der Bank rausgefallen sein, als ich mich hingelegt habe – meine Faulenzerei zahlte sich nun wieder einmal im negativen aus. Wir rennen los und senden gleichzeitig ein Stossgebet gen Himmel, dass der Schlüssel noch bei der roten Parkbank am See sein möge.

Nach einer eindrucksvollen sportlichen Leistung, die ich uns nicht zugetraut hätte, kommen wir endlich beim genannten Platz an. Es ist stockdunkel, nur der Mond und ein paar Sterne beleuchten das Himmelszelt. Keine Menschenseele begegnet uns. Wir sind völlig allein, mitten im Nirgendwo. Deshalb bin ich verwundert, als ich am Seeufer plötzlich ein Licht sehe, dem ich mich langsam nähre. Die orangenen Flammen durchbrechen das Schwarz der Nacht. Es ist ein Feuer. Doch weit und breit keine Spur von einem Menschen, der es entfacht haben könnte. Komisch. Wir kümmern uns nicht weiter darum, denn unsere oberste Priorität ist es, den Schlüssel zu finden. Dieses Mal ist das Glück auf unserer Seite und wir finden, nein nicht den Schlüssel, aber den Schlüsselanhänger. Ein Hinweis darauf, dass der Schlüssel in der Nähe sein musste. Doch er ist es nicht. Eigentlich war es doch eine Sache der Unmöglichkeit, dass sich der Schlüssel von dem metallenen, fest zugeschweissten Ringen gelöst hatte. Da musste jemand am Werk gewesen sein. Doch ich kann mir kaum weiter Gedanken darüber machen, denn just in dem Moment schreit meine Begleitung plötzlich voller Euphorie, sie habe den Schlüssel gefunden. Uns ist mulmig zumute und wir wollen nur noch weg, jetzt wo wir den Schlüssel in unserem Besitz wissen. Doch gerade als wir uns auf den Nachhauseweg machen, taucht einige Meter von uns entfernt eine riesige, dunkle Gestalt auf. Es war ein Mann in einen schwarzen Mantel gehüllt, der im Wind wehte. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Wir bleiben einige Sekunden wie angewurzelt stehen, dann rannten wir durch das Adrenalin gedroschen los. Auch er erhöhte sein Tempo. Wir rennen und schreien. Irgendwann blicken wir erschöpft zurück, doch es ist niemand mehr zu sehen.

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