Mutproben begleiten uns schon seit klein auf. Wer erinnert sich schon nicht an die Aufgaben, die wir im Kindergarten so schrecklich fanden: Wer wagt es, fünf Minuten alleine im dunklen Keller auszuharren? Wer hat den Mut, den älteren Kindern «Idioten» hinterher zu brüllen? Wer traut sich, im Dorfladen heimlich einen Kaugummi einzustecken? Je älter man wurde, desto mehr verloren diese Mutproben ihren Reiz. Plötzlich kosteten andere Dinge Überwindung: Sich zu entschuldigen. Den Eltern seine schlechte Note in Mathe zu zeigen. Seinem Schwarm seine Liebe zu gestehen. Dem Schultyrann gehörig seine Meinung zu sagen.

Was am Anfang furchtbar schwer wirkt, scheint im Nachhinein gar nicht mal so schlimm gewesen zu sein. Wenn man etwas von all dem geschafft hat, scheint alles so einfach zu sein. Als wäre der Rest genau so einfach, als könnte man jetzt alles schaffen. Und irgendwann muss man für all diese Sachen gar kein Mut mehr aufbringen; man kann es plötzlich. Doch die grösste Mutprobe des Lebens ist meiner Meinung nach nicht, «Entschuldigung» zu sagen oder ehrlich zu sein. Die grösste Mutprobe ist es, sich selbst zu sein. Und an dieser scheitern viele.

«Sich selbst zu sein» klingt so einfach. Wer ist am Morgen nicht schon einmal aufgestanden und hat sich gedacht «Heute bin ich Ich», und im Verlauf des Tages fand man sich auf einmal in einem Moment wieder, in dem man sich verstellte? In dem man eine Rolle spielte, vorgab, etwas zu sein, das man nicht ist. So gut wie jeder hat schon mal mit dem gekämpft. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Man findet wieder zu sich selbst, oder man lässt es zu. Doch wieso entscheiden sich letztendlich so viele dafür, etwas zu sein, das sie nicht sind?

Wir sind von so vielen Menschen umgeben, die alle etwas von uns erwarten. Sie erwarten von uns, dass wir so sind, wie es für sie am einfachsten ist. Wenn wir eine andere Meinung haben, ist es für unsere Mitmenschen schwierig, damit klar zukommen. Das spüren wir meistens durch giftige Blicke, genervtes Aufstöhnen und harsche Worte. Wer mit seinem Kleiderstil aus der Menge heraussticht, muss oft Geflüster und schräge Blicke über sich ergehen lassen. Wer nicht der heteronormativen Gesellschaft entspricht, muss sich bei teilweise fremden Leuten für seine Sexualität rechtfertigen. Wer etwas macht oder mag, das nicht der typischen Geschlechterrolle entspricht, muss er jedem erklären, wieso. Wer über seine psychische Probleme reden will, wird gleich als «verrückt» oder «überdramatisch» abgestempelt. Wer offen ist, sucht Aufmerksamkeit. Wer schüchtern ist, der hat Probleme mit Menschennähe. Irgendwann gibt man auf. Man will sich nicht mehr ständig selber verletzen und tut einfach so, als wäre man jemand anderes. Es ist einfacher, das stimmt. Doch fühlst du dich dann besser? Geht es dir besser, wenn du normal behandelst wirst, aber du nicht du bist? Sich andauernd zu verstellen macht auf Dauer krank. Du wirst dich nicht besser fühlen, sondern schlechter. Und eines Tages, wenn du nicht mehr eine Rolle spielen wirst, schaffst du es nicht, diese Maske abzulegen. Du bist es dir so sehr gewohnt, das zu sagen, was man von dir hören will, als das, was DU von dir hören willst. Oder dich so zu kleiden, wie es dem Standard entspricht, anstatt deinen Style zu verwirklichen. Mit der Person zusammen zu sein, die anscheinend passt, statt mit der, die man liebt. Lass nicht zu, von den Normen der Gesellschaft übernommen zu werden. Du bist toll so wie du bist. Dir sagt jemand, du seist verrückt? Anders? Verkorkst? Speziell? Dann sei es mit Stolz.

Wieso interessiert dich, was die anderen von dir denken? Keine Person hat das Recht, dir vorzuschreiben, wie du sein sollst. Keine Person hat mehr Wert als du und steht als Mensch über dir. Letztendlich sind alle in einer Hinsicht gleich: Wir sind verschieden. Du musst nicht so sein wie der Rest. Die, die dir sagen, du seist merkwürdig, weil du anders bist, sind genau so anders. Einfach auf ihre eigene Art und Weise. Willst du dein Leben wirklich auf Menschen aufbauen, die dich nicht so akzeptieren, wie du bist? Denn Menschen, die dich akzeptieren, wirst du finden. Glaub mir.

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