Der Schrei nach Gleichberechtigung wird in der Welt immer lauter. Frauen formieren Bewegungen, kämpfen um ihre Rechte und stehen für ihr Geschlecht ein, sei es in der Politik oder im Kampf gegen den Sexismus. An vielen Orten mit Erfolg: Die Stimme der Frau wird gehört, der Frauenstreik im letzten Jahr ging als die «grösste politische Aktion seit dem Generalstreik von 1918» in die Schweizerische Geschichte ein. Doch um mehr als nur gehört zu werden, muss ein Ruck durch unsere Gesellschaft gehen – und dabei darf eines nicht vergessen werden: Der Mann.

Es handelte sich um einen der ersten Befreiungsschläge für die Frauen in der Schweiz, als im Jahre 1971 das Frauenstimmrecht auf Bundesebene angenommen wurde. An vorderster Front im politischen Kampf um das Stimmrecht: die Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft der Schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau, Marthe Gosteli. Im europäischen Vergleich hinkte die Schweiz dennoch stark nach. Denn die Eidgenossenschaft war das letzte Land, welches das Stimmrecht für die Frauen in den 70er Jahren eingeführt hatte. Innerhalb der Landesgrenzen kam es zu Widerstand. So weigerte sich beispielsweise der Kanton Appenzell Innerrhoden bis zum Jahre 1990, den Frauen ihre Rechte zu gewähren. Unter dem Druck des Bundes musste die Appenzeller Regierung schliesslich nachgeben.

30 Jahre später erleben wir, man könnte es fast schon so betiteln, eine Art «zweite Welle» der Emanzipation der Frau. Während das Verständnis für die Gleichstellung der Frau in der Bevölkerung stetig mehr Anklang findet, wächst in unserer immer schnelllebiger werdenden Welt die Sexualisierung und Oberflächlichkeit. Davon sind nicht nur die Frauen betroffen.

«Sei ein Mann!»

Wie der Motivationsredner und Football-Star Joe Ehrmann von der Zeit.de zitiert wird: «Sei ein Mann, sind die furchterregendsten drei Worte, die je an Jungen und Männer gerichtet wurden und werden. Es ist ein Satz, der wie kein anderer unsere Kultur zerstört hat und weiter zerstört.» Was Ehrmann im Dokumentarfilm The Mask You Live In damit beschreibt, beinhaltet vieles in einem. Man(n) kennt Aussagen, wie «Jungen weinen nicht» oder «Männer zeigen keine Schwäche». Häufig kommen solche Anschauungen aus dem Munde der älteren Generationen oder werden zumindest von solchen bis in die heutige Zeit geprägt.

«Sei ein Mann! Das sind die furchterregendsten drei Worte, die je an Jungen und Männer gerichtet wurden und werden. Es ist ein Satz, der wie kein anderer unsere Kultur zerstört hat und weiter zerstört.»

Joe Ehrmann, Motivatiosnredner und Football-Star

Zur Zeit der Weltkriege war es für den Mann ein Tabu, Schwäche oder gar Angst zu zeigen. Besonders vom Nationalsozialismus wurde dieses Bild gestärkt und verwendet, um junge Männer kontrolliert heranzuziehen. Adolf Hitler formulierte sein Männerbild, welches unter seiner Diktatur im Dritten Reich galt, wie folgt: «In unseren Augen, da muss der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.» Was durch diese Ideologie entstand, ist allseits geläufig: Eine zwölfjährige Schreckensherrschaft, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen, die meisten durch Massenvernichtungen. Auch Frauen waren in den turbulenten Kriegswirren des 20. Jahrhunderts den Vorurteilen und der Diskriminierung ausgesetzt, das steht ausser Frage. Damals galt die «tüchtige» Hausfrau, die zu Haushalt und Kind Sorge trug, als das Ideal.

«Wer hat den Längeren?»

Dass solche Rollenbilder bis in unser modernes 21. Jahrhundert Nachhall finden, seien sie gegenüber der Frau oder des Mannes, wirkt kurios, ist aber Tatsache. Gemäss Aussagen (die der Redaktion vorliegen) werden Männer in der Schweiz besonders auf ihre körperlichen und sportlichen Leistungen differenziert, gerade wenn es um das Militär geht. In einem Milizsystem ist die Armee im alltäglichen Gespräch gegenwärtig, wie ein Leser berichtet: «Wenn ich im Ausgang neue Leute kennenlerne, ist schon nach den ersten Sätzen das Militär ein Thema.» Schnell würde ein Wetteifern stattfinden, wer das bessere Sportabzeichen besitzt oder den höheren Rang innehat. Und das alles nur, um bei den umliegenden Frauen und Männern Eindruck zu schinden, ganz im Sinne von «Wer hat den Längeren?»

Der Körper des Mannes als Werbe- und Verkaufsmittel

Ein Bild des «idealen Mannes» wird auch durch Werbung für Parfum und Unterwäsche vermittelt, genau wie bei der Frau. Meistens ist bei AXE oder H&M ein Sixpack zu sehen, hautenge Kleidung oder kurze Röcke bei Frauen. Dass junge Männer dadurch in hohen Druck geraten, beschreibt der Autor und Journalist Jack Urwin in seinem Buch «Boy’s don’t cry». Nach seinen Recherchen ist die Suizidrate bei Männern drei Mal so hoch, wie die bei den Frauen. Laut Urwin liegen die Ursachen für den Selbstmord eines Mannes häufig bei den Erwartungen an sich selbst und automatisch, wie der Mann selbst beim anderen Geschlecht ankommt. Wie die Welt berichtet, sind gerade Trennungen für Männer Auslöser von emotionalen Krisen und Minderwertigkeitsgefühlen.

Manchmal ist reden Gold

Den schnellen Schlussstrich der Männer in einer solchen Krise begründet Urwin damit, dass es in unserer Gesellschaft als «zu verpönt» gelte, wenn Männer Hilfestellungen suchen, über ihre Probleme und Gefühle reden oder auch mal gegenüber ihren Mitmenschen ein, zwei Tränen zeigen. Es nage am Stolz des Mannes, innere Schwäche und sich als verletzlich zu präsentieren. An dieser Stelle kann man sich fragen: Weshalb? Eine Antwort auf diese Frage zu finden, wäre zu einfach und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Sich für die Emanzipation der Frau einzusetzen ist also richtig und wichtig. Nur sollten dabei die Rufe des anderen Geschlechts nicht überhört werden, auch wenn diese noch so leise sind.

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